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- »Erinnerungsort Torgau«
Gedenken in Sachsen: Späte Genugtuung für Ludwig Baumann & Co.
Im »Erinnerungsort Torgau« wird endlich angemessen an die Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz erinnert
Walter Holländer weigerte sich. Der junge Mann aus dem Mansfeld, der in der Wehrmacht in einer Radfahrereinheit diente, sollte in den Niederlanden eine Bäuerin erschießen, die sich weigerte, ihre Schweine beschlagnahmen zu lassen. Holländer kam ins Torgauer Gefängnis Brückenkopf, wurde nach einem Fluchtversuch von der NS-Militärgerichtsbarkeit zum Tode verurteilt und zum Schein hingerichtet. Nach Kriegsende sprach er darüber nie. »Das war hier eingeschlossen«, sagte er Jahrzehnte später vor einer Kamera und klopfte sich auf die Brust: »Da war eine Betonplatte. Aus.«
Jetzt wird Holländers Schicksal erzählt: in einer neuen Dauerausstellung, die im Erinnerungsort Torgau im dortigen Schloss Hartenfels gezeigt wird. Die Fenster öffnen sich auf der einen Seite zur barocken Pracht des Schlosshofes, auf der anderen zur Elbe und, am gegenüberliegenden Ufer, einer Festungsanlage: dem »Brückenkopf«, wo Holländer und viele Leidensgenossen inhaftiert waren.
NS-Militärrichter verurteilten überall in Europa Soldaten, die Befehle verweigerten oder desertierten, aber auch Dienstverpflichtete, Zivilisten und Widerständler. Die Militärjustiz war »keine neutrale Instanz, sondern ein von NS-Ideologie getränktes Repressionsinstrument«, sagt Elisabeth Kohlhaas, Leiterin des Erinnerungsortes Torgau. Sie agierte mit äußerster Härte. Insgesamt wurden 50 000 Todesurteile verhängt und 20 000 vollstreckt. Die nordsächsische Stadt war eines ihrer Zentren. 1943 wurde das oberste Kriegsgericht aus Berlin dorthin verlegt. Die Haftanstalten Brückenkopf und Fort Zinna durchliefen im Laufe des Krieges 60 000 Häftlinge. Viele wurden in Bewährungstruppen gesteckt, die Himmelfahrtskommandos glichen. »Der Strafvollzug war Selektion«, sagt Kohlhaas: »Es ging darum, wer noch für den Vernichtungskrieg zu gebrauchen war.«
Wegen der zentralen Stellung von Torgau im System der NS-Militärjustiz sollte in der dortigen Gedenkstätte schwerpunktmäßig auch an diese erinnert werden. Doch eine 2004 eröffnete Dauerausstellung namens »Spuren des Unrechts« wurde der Verpflichtung, die 1999 in einer Vereinbarung zwischen Bund und Freistaat Sachsen fixiert worden war, nicht gerecht. Die Bundesvereinigung Opfer der Wehrmachtsjustiz kritisierte etwa, dass die ohnehin bescheidene Ausstellungsfläche von 230 Quadratmetern zu gleichen Teilen der NS-Militärjustiz sowie den sowjetischen Speziallagern und dem DDR-Strafvollzug gewidmet war, die ab 1945 in Torgau eingerichtet wurden. Das galt als Ausdruck eines sächsischen »Sonderwegs« in der Erinnerungspolitik, der nicht zwischen NS-Verbrechen und späterem Unrecht differenzierte. Nationalsozialismus, sowjetische Besatzung und DDR galten gleichermaßen als Diktaturen, die sich nur in Nuancen unterschieden. 2004 kam es zum Eklat. NS-Opferverbände stellten die Mitarbeit in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ein, unter deren Dach auch der Erinnerungsort Torgau agiert.
Der sächsische Gedenkstättenstreit wurde 2012 mit einer Gesetzesnovelle beigelegt. Die Ausstellung in Torgau aber blieb unverändert. Sie wirkte nicht nur in ihrer altbackenen Gestaltung aus der Zeit gefallen; auch grundlegende Defizite blieben bestehen. Die fortgesetzte Diskriminierung der angeblichen »Deserteure« und »Wehrkraftzersetzer« in der Bundesrepublik, die erst 2002 vom Bundestag beendet wurde, kam nicht zur Sprache, ebenso der Umstand, dass kaum ein Militärrichter zur Verantwortung gezogen wurde. 2017 äußerte Ludwig Baumann, der Gründer der Bundesvereinigung, den traurigen Satz, es sei »nicht zu erwarten, dass auch nur eines der Opfer« eine angemessene Würdigung in Torgau, »an diesem zentralen Ort der Verfolgung«, erleben werde. 2018 starb er.
»Die Militärjustiz war keine neutrale Instanz, sondern ein von NS-Ideologie getränktes Repressionsinstrument.«
Elisabeth Kohlhaas Erinnerungsort Torgau
Es hat noch weitere sechs Jahre gedauert, bis es in Torgau endlich eine Ausstellung gibt, die geeignet ist, Ludwig Baumann und seinen Mitstreitern Genugtuung zu verschaffen. »Mut und Ohnmacht« heißt die Schau, die in den gleichen Räumen untergebracht ist wie ihre Vorgängerin, aber sich in Konzept und Gestaltung grundlegend und wohltuend unterscheidet. Statt ermüdend textlastiger Tafeln gibt es knappe und präzise Texte, ergänzt um Bilder, Filmsequenzen oder eindrückliche Objekte wie den »Fahrradlenker«, ein Fesselgeschirr, in das zum Tode verurteile Wehrmachtshäftlinge gezwängt wurden. »Es wurde früher im Kreismuseum als mittelalterliches Folterinstrument präsentiert«, sagt Kohlhaas: »Erst aus Hinweisen von Walter Holländer kennen wir die tatsächliche Verwendung.«
Dessen Biografie wird in einem Kubus erzählt, in dem auch Lebensschicksale von Leidensgefährten dargestellt werden: Ludwig Baumann, der aus der Wehrmacht desertierte, weil er »diesen Krieg nicht mehr mitmachen« und nicht töten wollte und der für diese Entscheidung nach Kriegsende so schikaniert wurde, dass er sich, wie er später freimütig erzählte, fast zu Tode soff. Vorgestellt wird aber auch die polnische Widerständlerin Krystyna Wituska, die sarkastisch schrieb, die »Herren Generäle im Reichskriegsgericht« hätten wichtige Aufgaben: Sie müssten »so viele kleine Mädchen zum Tode verurteilen«.
Die Ausstellung, deren raffinierte Architektur für »Störgeräusche« im barocken Schlossbau sorgt, behebt viele Defizite der Vorgängerin. Rein quantitativ werden andere Akzente gesetzt; der NS-Militärjustiz sind zwei Drittel der Fläche gewidmet. Neben Biografien von Opfern werden auch Täter vorgestellt – die als solche benannt bleiben, auch wenn sie später in einem der sowjetischen Speziallager inhaftiert waren. Auch damit wird ein Streitpunkt mit der Bundesvereinigung ausgeräumt. »Wir stellen dar, dass in den Lagern keine rechtsstaatlichen Bedingungen herrschten«, sagt Kohlhaas, »aber ohne, dass wir NS-Täter deshalb zu Opfern erklären.«
Auch wenn Ludwig Baumann sie leider nicht mehr sehen kann, gibt es damit in Torgau endlich eine Ausstellung, die sein Schicksal und das seiner vielen Leidensgefährten angemessen würdigt. Ein zweiter Gedenkort soll folgen. Sachsens Gedenkstättenstiftung hat Mittel, die ursprünglich für den Bau eines Lehrpfads in der Kriegsgefangenen-Gedenkstätte Zeithain vorgesehen war, nach Torgau umgelenkt. Bis Ende 2025 soll damit eine Ausstellung im »Brückenkopf« errichtet werden. Damit wäre, sagt Elisabeth Kohlhaas, »erstmals ein Gedenken am historischen Ort« möglich.
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