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Nach dem Raketenangriff auf Israel: Schwindende Basis
Im Libanon nimmt die Unterstützung für die Hisbollah ab, auch im Iran wächst die Kritik an der Regierung
Ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023, dem Massaker der Hamas in Israel, mit dem alles begann, ist aus dem Gaza-Krieg ein Nahost-Krieg geworden. Im Libanon sind die Menschen auf der Flucht, während in der Großen Mosalla-Moschee in Teheran der Oberste Führer der Islamischen Republik ans Mikrofon tritt, um das Freitagsgebet anzuleiten. Bis zum letzten Platz gefüllt sei das riesige Gebäude, hatte ein Reporter im streng zensierten staatlichen Fernsehen kurz zuvor geschwärmt und von einer Demonstration des Zusammenhalts »aller Iraner mit ihren Brüdern und Schwestern im Libanon und in Palästina« gesprochen.
Es war das erste Mal seit fast fünf Jahren, dass Ajatollah Ali Khamenei, das geistliche und politische Oberhaupt des Landes, an einem öffentlichen Freitagsgebet teilnahm. Und die Propaganda tat alles, um seinem Auftritt die erhoffte Signalwirkung zu verleihen. Der Iran lasse die Hisbollah im Stich, hieß es in westlichen und arabischen Medien. Ein Raketenangriff auf Israel, der zweite in diesem Jahr, erzielte erneut nahezu keine Wirkung. Doch nun widmet Khamenei nahezu das gesamte Gebet dem bei einem Bombenangriff getöteten Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah: »Mein Schatz und mein Stolz; das geliebte Gesicht der islamischen Welt und der redegewandte Wortführer der Nationen der Region; das scheinende Juwel des Libanon.«
Als »Revolutionsexport« hatte Revolutionsführer Ruhollah Khomeini die Strategie bezeichnet, die islamische Revolution im Iran durch Unterstützung von Organisationen wie der Hisbollah in anderen islamischen Ländern zu kopieren. Das Resultat: Milliarden fließen jährlich in den Libanon, den Jemen, nach Syrien und in die palästinensischen Gebiete. Orchestriert werden die Geldflüsse von den Revolutionsgarden, die im Laufe der Jahre eine Aura der Stärke und Unantastbarkeit geschaffen haben, auch weil es das iranische Atomprogramm gibt.
»Ein paar Raketen auf Israel bringen keinen Waffenstillstand in Gaza.«
Ali Mortada zur Strategie der Hisbollah
Doch nun hat all das Risse bekommen. Ein israelischer Militärschlag gegen den Iran gilt nach dem Raketenangriff in der vergangenen Woche als wahrscheinlich. Und im Libanon schwindet die Basis der Hisbollah, deren Führung zum großen Teil getötet wurde. Die Unterstützung für den Krieg scheint gering. Hinter vorgehaltener Hand sagen christliche Libanesen sogar, sie wünschten sich, dass Israel der Hisbollah den Garaus mache. Denn die Organisation ist zwar im schiitischen Teil der Bevölkerung tief verankert. Vor allem bei den Christen ist sie jedoch als repressiv und gewalttätig verschrien.
Aber selbst eingefleischte Unterstützer der Hisbollah vertreten mittlerweile die Ansicht, dass der Libanon als Schlachtfeld im Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Israel missbraucht wird und die Hisbollah ihren Weg verloren hat. »Die Organisation hat viel Gutes für die Menschen getan«, sagt Ali Mortada, ein Arzt, der bislang für die islamische Gesundheitsgesellschaft gearbeitet hat, eine Einrichtung der Hisbollah, die Gesundheitsversorgung anbietet. Mit sozialen und karitativen Angeboten hatte sich die Organisation in den vergangenen Jahrzehnten eine Basis im schiitischen Teil der Bevölkerung aufgebaut, wurde zur gesellschaftlichen und politischen Kraft.
Der Hauptsitz von Mortadas Arbeitgeber wurde nun bei einem Bombenangriff zerstört. Schon in den vergangenen Monaten habe er immer wieder festgestellt, dass gespart wird. Personal wurde abgebaut, das Gehalt kam verspätet. Gleichzeitig warb der bewaffnete Flügel der Organisation tausende junge Männer als Kämpfer an, begann Israels Militär immer wieder zu provozieren. »Ich habe mich gefragt, warum«, sagt Mortada, »die Streitigkeiten, die der Libanon mit Israel hat, können durch Verhandlungen geklärt werden. Die Leute haben kein Geld, die Infrastruktur bricht zusammen, und ein paar Raketen auf Israel bringen keinen Waffenstillstand in Gaza.«
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Am Freitag traf überraschend der iranische Außenminister Abbas Araghchi in Beirut ein. Ein Sprecher des amtierenden libanesischen Regierungschefs Nadschib Mikati sagte, der Premier habe erklärt, dass dringend ein Waffenstillstand gebraucht werde. Schon in den vergangenen Tagen hatte Mikati, der aufgrund der politischen Krise nur eingeschränkte Befugnisse hat, an alle Beteiligten appelliert, die Kämpfe sofort einzustellen. Viel tun kann er selbst nicht: Das Militär ist schwach und schlecht ausgerüstet; es gibt keine funktionierende Regierung. Der Libanon stand schon vor Kriegsausbruch vor dem Kollaps.
Im Iran waren die Reaktionen auf den Raketenangriff auf Israel und Khameneis Rede am Freitag kontrovers. »Bravo Khamenei! Bravo Revolutionsgarden!«, jubelte eine junge Frau nach den Angriffen in einem online geteilten Video. Doch sehr viel mehr Menschen äußerten Besorgnis, Kritik am Regime. Und die Hoffnung, dass ein Militärschlag den staatlichen Institutionen so schweren Schaden zufügt, dass die Reformbewegung wieder Auftrieb bekommt. Denn eine online durchgeführte und als einigermaßen zuverlässig geltende Umfrage hat ergeben: Die Unterstützung für die Islamische Revolution ist nur noch sehr gering.
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