»Ohne Vorurteile und Hemmungen«

Elisabeth Neuhäusler über Inklusionsspielplätze und ein gutes Miteinander in allen Lebensbereichen

  • Interview: Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 5 Min.
Inklusionsspielplatz: »Ohne Vorurteile und Hemmungen«

Im Juni wurde im oberbayerischen Miesbach der erste Inklusionsspielplatz des Landkreises eingeweiht, und als Behindertenbeauftragte waren Sie maßgeblich daran beteiligt. Wie wird der Spielplatz angenommen?

Die breite Bürgerschaft war neugierig und setzte hohe Erwartungen in den Arbeitskreis Abenteuer-InklusionsSpielplatz. Entsprechend sind unsere Spendenaufrufe und -aktionen sehr gut angenommen worden und wir konnten den Spielplatz rein aus Spendengeldern finanzieren – wir sprechen hier von knapp 390 000 Euro. Frequentiert wird der Platz weit über unsere Erwartungen hinaus. Er ist zum sozialen Treffpunkt geworden.

Wie viel Inklusion steckt drin?

Es ist im kleinen Team gelungen, einen Spielplatz für alle Kinder und jung gebliebene Erwachsene zu konzipieren. Beim ersten Blick unterscheidet sich der Platz durch die Fallschutzbeläge. Alle Wege und Zuwege sind barrierefrei, kontrastreich, mit Leitlinien für Sehbeeinträchtigte beziehungsweise Blinde gestaltet. Mobil eingeschränkte oder auf rollende Hilfsmittel angewiesene Besucherinnen und Besucher erreichen so jedes Spielgerät. Wir setzten stark auf Kommunikation und haben versucht, eine große Schnittmenge verschiedener Bedürfnisse zu berücksichtigen. Final kommt es immer auf die Wünsche und Möglichkeiten des oder der Einzelnen an, aber auch auf deren Mut, etwas Neues auszuprobieren. Durch die Beratung unserer Heilpädagogin konnten wir viele Spielgeräte mit speziellen Spielelementen ausstatten. Eine große taktile Tafel mit Spielplatzplan in Brailleschrift war uns wichtig und eine auf Piktogrammen basierende Kommunikationstafel unterstützt Nichtsprecher und Besucher mit unterschiedlichen Sprachfähigkeiten.

Interview

Elisabeth Neuhäusler engagiert sich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Ihre 42-jährige Erfahrung im klassischen Musiktheater als Solistin im Mezzofach nutzt sie in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Behindertenbeauftragte der oberbayerischen Stadt Miesbach.

2006 verabschiedete die UN das »Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung«. Darin ist von Gleichberechtigung durch Inklusion die Rede. Was hat sich seitdem getan?

Es hat sich einiges bewegt, aber wenn man bedenkt, dass bereits 18 Jahre vergangen sind, sind wir doch verhältnismäßig weit entfernt vom Ideal, Inklusion in allen Lebensbereichen zu leben. Das grundsätzliche Verständnis für den beeinträchtigten Mitmenschen wird viel zu wenig fokussiert, geschweige denn gefördert.

Laut einer Studie von Aktion Mensch gibt es in Deutschland immer noch zu wenige inklusive Spielplätze, obwohl die ersten bereits in den 1990er Jahren entstanden sind. Fehlt es am politischen Willen?

Leider muss ich hier eindeutig mit »ja« antworten. Menschen mit Beeinträchtigung – immerhin sind es deutschland- und weltweit zehn Prozent – haben lange nicht die Lobby, die sie bräuchten. Das Thema Inklusion rückt bei Nichtbetroffenen regelmäßig in den Hintergrund. Viele verlassen sich darauf, dass alles rechtlich geregelt ist. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das, was vorgeschrieben ist, nur die Mindestausstattung, oft aber nicht ausreichend ist. Neben dem Willen und dem Bewusstsein fehlt auch das Geld.

Wie wichtig ist Inklusion von klein auf?

Bereits für Kinder Inklusionsangebote zu schaffen, ist Gold wert. Sie gehen ohne Vorbehalte auf ihr Gegenüber zu, es werden Freundschaften geschlossen, die nicht selten ein Leben lang halten, ohne das Handicap als Nachteil zu erleben.

Sie selbst sind Mutter eines erwachsenen, geistig beeinträchtigten Sohnes …

Felix ist geistig, motorisch und sensomotorisch beeinträchtigt. Mit Hilfestellung konnte er sich als Kind relativ gut auf Spielplätzen bewegen. Durch die allmähliche Reduzierung seiner körperlichen Fähigkeiten schränkte sich das Angebot für ihn immer mehr ein. Weil er sich »zu alt« vorkam, wollte er irgendwann nicht mehr auf den Spielplatz. Dann steht man als Eltern vor einem Problem, denn Bewegung ist auch für beeinträchtigte Menschen wichtig. Auf unserem Spielplatz gibt es jetzt einen Kletter- und Balancier-Parcours, den auch er mit seinen mittlerweile 30 Jahren und 1,82 Metern Körpergröße noch »cool« findet.

Sie wissen auch um die Probleme einer Mehrfachbelastung …

Felix ist unser zweites Kind. Sein Bruder ist etwa zwei Jahre älter. Meine Arbeit als Mezzosopranistin am Freien Landestheater Bayern nahm ich ziemlich bald wieder auf. Trotz Unterstützung meines Mannes war es eine große Herausforderung, weil der Haushalt sich auch nicht von alleine machte. Es wurde bei Felix erst mit etwa einem Jahr deutlich, dass er künftig wesentlich mehr Hilfe benötigen würde als ein gesundes Kind. Als Felix viereinhalb Jahre alt war, haben wir ein Au-pair hinzugezogen.

Und heute?

Vor eineinhalb Jahren habe ich meine Tätigkeit als Sängerin quasi an den Nagel gehängt und damit meine Tätigkeit am Theater erheblich reduziert. Dadurch gibt es freie Zeitfenster, in denen ich mich meiner starken sozialen Neigung, für andere Menschen da zu sein, widmen kann.

Sie engagieren sich auch privat für behinderte Menschen …

Ja, dafür hatte ich immer schon ein Faible und durch Felix bin ich noch stärker mit diesen wunderbaren Menschen in Kontakt gekommen. Es ist mir eine große Freude zu sehen, was ich für andere bewirken kann.

Wie wichtig ist dabei Ihre Arbeit im Theater?

Im Musiktheater braucht es viele Typen von Menschen in unterschiedlichsten Aufgabenbereichen. Um Freude am Beruf zu haben, ist Offenheit für jeden Einzelnen unabdingbar. Eine Rangordnung darf es nicht geben – wir sitzen alle in einem Boot und haben ein gemeinsam zu erreichendes Ziel. Das lässt sich eins zu eins auf unser soziales Leben umsetzen. Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sind dann stark, wenn sie bereit sind, offen füreinander zu sein und sich gegenseitig zu (unter-)stützen. Ohne Vorurteile und Hemmungen!

Als Preisträgerin für Kultur und Gesellschaft Ihrer Stadt genießen Sie öffentliche Aufmerksamkeit. Wie hilfreich ist diese?

Eine gute Position in der Öffentlichkeit zu haben, schadet sicherlich nicht. Meines Erachtens kommt es neben der Begeisterungsfähigkeit für eine Sache wohl auch auf das Auftreten und eine gute Kommunikationsfähigkeit an. Final ist wohl entscheidend, eine gute Vernetzung mit Behörden und politischen Funktionsträgern zu haben, im Gespräch zu bleiben und nicht aufzugeben. Der Weg ist das Ziel!

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