»Kollaps ist kein Weltuntergang«

Aktivist Tadzio Müller übers Scheitern der Klimaschutzbewegung und das solidarische Leben, das daraus entstehen könnte

  • Interview: Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 7 Min.
Lützerath im Januar 2023: Die Aktivist*innen rückten eng zusammen. Auch Tadzio Müller war bei der Besetzung des Dorfs dabei.
Lützerath im Januar 2023: Die Aktivist*innen rückten eng zusammen. Auch Tadzio Müller war bei der Besetzung des Dorfs dabei.

Ihr gerade erschienenes Buch »Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps« besteht aus einer Sammlung von Texten, die eine Mischung aus Essay und Brief an die Klimagerechtigkeitsbewegung darstellen. Sie stammen aus Ihrem Blog »Friedliche Sabotage«, den Sie seit 2022 schreiben. Wie entstanden die Ideen zum Blog und zum Buch?

Um es ganz offen zu sagen: Zuerst war das Ziel des Blogs eine Monetarisierung meiner Strategiearbeit für die Klimabewegung. Von Anfang an war das Schreiben auch eine Art Selbsttherapie. 2022 begann die Letzte Generation auf die Straße zu gehen, wurde von allen gehasst, und die Regierung zeigte sich unwillig, das Klima zu schützen. Gleichzeitig verarbeitete ich das Ende einer schlimmen Beziehung, die von gegenseitiger emotionaler Brutalität und zu vielen Drogen geprägt war. Mir fiel auf, dass diese Dinge, die ich privat erlebt hatte, die politische Entwicklung erklären können, viel besser als jede politische Theorie. Also entwickelte ich eine eigene Analyse. Zwei Jahre später bekam ich mit, dass sich viele Menschen dieselbe Frage stellten: Warum redet trotz Klimakatastrophe niemand mehr über Klimaschutz? Damit entstand Anfang 2024 die Idee zu meinem Buch als eine Art politpsychologischer Ratgeber. Ich glaube, viele progressiv denkende Menschen sehen gerade eine tiefe Dunkelheit beim Blick auf die Welt – und da will ich sie abholen. Nicht mit politischer Theorie, sondern bei ihren Gefühlen.

Interview

Tadzio Müller (48) ist Politikwissenschaftler und engagiert sich seit den 2000er Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im Oktober erscheint sein Buch »Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben« im Mandelbaum-Verlag (310 Seiten, 18 Euro). Darin stellt er die These auf, dass der Kampf um Klimaschutz gescheitert ist und sich die Klimabewegung als solidarische Kollapsbewegung neu aufstellen muss.

Die einzelnen Texte decken einen Zeitraum von zwei Jahren ab, in dem Sie Ihre Ansichten immer wieder überdacht haben: 2018 haben Sie noch daran geglaubt, dass die Gesellschaft offen für rationale Argumente ist. Ein Jahr später, als die Bundesregierung trotz großer Fridays-for-Future-Demos das völlig unzureichende Klimapaket verabschiedete, änderte sich das.

Genau – wie in meiner damaligen Beziehung. Mein Ex-Partner hat mir immer wieder Dinge versprochen, die auch in seinem eigenen Interesse waren, hielt sich aber nicht daran. Ich verstand das nicht: Warum handelt er so irrational? Und warum handelt diese Regierung so irrational, deren Interesse es eigentlich sein müsste, das Klima zu schützen? Jedes gebrochene Versprechen führt zu Scham und diese wiederum zu Verdrängung, auch in der gesamten Gesellschaft.

Ist es nicht ein wenig überheblich, den Ex-Partner auf die Gesellschaft, die verdrängt, zu projizieren und sich selbst als personifizierte Klimabewegung mit den rationalen Argumenten darzustellen?

Ja, ist es. Aber mir geht es dabei ums Personalisieren einer Geschichte. Ich teile meine Erfahrungen und Gefühle, die andere Menschen nachempfinden können. Wie ich merkte, dass alles, wofür ich mein bisheriges Erwachsenenleben gekämpft habe, nicht funktionierte; dass die Klimabewegung gescheitert ist.

Sie schreiben, der Konflikt zwischen Klimabewegung und Verdrängungsgesellschaft eskalierte Anfang 2023, als der nordrhein-westfälische Ort Lützerath für die darunter liegende Braunkohle geräumt wurde. Sie waren in einem besetzten Haus dabei und haben dort wieder Hoffnung geschöpft. Dabei wurde Lützerath doch abgerissen.

Als ich in Lützerath ankam, war ich psychisch am Ende. Ich kam in ein besetztes Haus mit etwa 20 anderen, völlig unterschiedlichen Aktivist*innen. Und innerhalb von vier Tagen wuchsen wir durch den äußeren Druck und die gemeinsame Mission so eng zusammen, dass sich alle umeinander kümmerten. Wir wurden zwar geräumt, aber ich hatte auch etwas wiedergefunden. Nämlich die Verbindung zur Bewegung. Und dann ist mir klar geworden, dass Selbstwirksamkeit und Hoffnung nicht unbedingt vom Sieg abhängen, sondern vom Erlebnis eines gemeinsamen Kampfes. Wir werden die klimagerechte Revolution gegen den fossilen Kapitalismus nicht schaffen – aber wir können die Zielvorstellung ändern. Das war der absolute Wendepunkt meiner Depression.

In Ihren früheren Texten schreiben Sie, die Letzte Generation sei der einzige Akteur der Bewegung mit einer angemessenen Strategie. Später bezeichnen Sie dann auch deren Blockaden als gescheitert. Warum?

Der zeitliche Aspekt muss dabei beachtet werden. Anfang 2022 war die Strategie der Letzten Generation richtig. Ich erkläre es mal mit einer Fußball-Metapher: Wenn ich 2:0 zurückliege und es sind noch 15 Minuten zu spielen, ergibt es Sinn, eine Auswechslung vorzunehmen und viele Stürmer nach vorne zu stellen. Das macht in der 89. Minute aber keinen Sinn mehr. Dann muss ich nur noch dafür sorgen, dass meine Spieler nicht verletzt werden, denn das Spiel ist schon verloren. Im Herbst 2023 lagen wir schon 4:0 hinten, und die Nachspielzeit war angebrochen. Nun war es an der Zeit, über das nächste Spiel nachzudenken. Genauso war die Fridays-for-Future-Strategie vernünftig, solange bis sie gescheitert war. Die politische und gesellschaftliche Situation hatte sich innerhalb von zweieinhalb Jahren extrem verschoben – von einer, in der Klimaschutz eventuell noch möglich war bis hin zu einer Situation, in der er nicht mehr erreicht werden kann.

In einem weiteren Kapitel erklären sie Demos, Blockaden und alle anderen Strategien für gescheitert. Andere Aktivist*innen halten aber an der Vielfalt von Taktiken fest, auch um weniger militanten Menschen eine Teilhabe zu ermöglichen. Wie stehen Sie dazu?

Davon halte ich nicht viel. Im Grunde heißt das ja, dass alle weiter »business as usual« machen, aber damit gewinnen wir nun mal nichts. Dann hat man im Grunde auch aufgehört, Aktivismus ernst zu nehmen, in dem Sinne, etwas verbessern und gerechter machen zu wollen.

Aber die Menschen vertreten bei Demonstrationen doch eine Haltung.

Ja, aber was die Menschen denken, ist nicht so wichtig wie das, was sie tun. Wenn Leute sagen: »Ich will Klimaschutz, aber ich mache nichts dafür«, dann ist das nicht genug. Wir sollten schon hinterfragen, ob unser Aktivismus noch etwas bringt. Der globale Klimastreik im September zum Beispiel war deprimierend. Es kam kaum noch jemand, weil längst widerlegt ist, dass wir nur auf die Straße gehen müssen und es dann irgendwann Klimaschutz gibt. Verdrängung existiert aber auch in der Klimabewegung, die ihr eigenes Scheitern verdrängt. Sie macht immer weiter die gleichen Aktionen, obwohl die meisten Leute schon wissen, dass es nichts bringt. Ich sage ja nicht, dass alle militanter werden müssen. Ich sage nur, dass wir hinterfragen müssen, ob solche Demos noch der Situation angemessen sind oder eher Ressourcenverschwendung.

2023 kommen Sie zu dem Schluss, dass es für Klimaschutz zu spät und der Kollaps, im Sinne einer Instabilität des Klimas, nicht mehr aufzuhalten sei. Daher gehe es nun vielmehr darum, den Kollaps sozial gerecht zu gestalten, als weiter für Klimaschutz zu kämpfen. Aus Schweden haben Sie die Idee des »solidarischen Prepping« (solidarisches Vorbereiten) mitgebracht. Ist das nicht ein bisschen wenig?

Da muss natürlich noch mehr kommen. Das kann ich mir aber nicht allein im stillen Kämmerlein überlegen. Meine Aufgabe als Bewegungsintellektueller ist es, sich anzuschauen, was Menschen jetzt schon tun. In Schweden gibt es ein riesiges Drogengang- und Gewaltproblem. Da werden regelmäßig jugendliche Drogenkuriere im Wald erschossen oder sterben, weil die Krankenwagen nicht schnell genug kommen. Dort habe ich gesehen, wie Menschen sich einander beigebracht haben, Wunden zu versorgen und das zu tun, was das Gesundheitssystem nicht mehr leisten kann. Das ist total ermächtigend. Prepping verbinden wir heutzutage vor allem mit rechten Individualpreppern, die Vorräte anlegen. Tatsächlich geht es aber um den Aufbau sozialer Beziehungen. Das ist für mich der Anfang einer Praxis im Kollaps. Kollaps bedeutet nicht gleich Weltuntergang, sondern dass ein System instabil wird – sei es durch einen Mangel an Strom, Medikamenten oder Weizenprodukten. Und Anerkennung des Kollapses bedeutet nicht, dass wir aufgeben, sondern dass wir solidarische Netzwerke schaffen, die die entsprechenden Leistungen bereitstellen.

Sind Besetzungen, wie aktuell die Waldbesetzung in Grünheide, nicht ein gutes Beispiel für Kollaps-Aktivismus? Deren Ziel ist der Aufbau solidarischer Parallelstrukturen, Kern des Aktivismus ist das gemeinsame Leben.

Ich glaube, es entsteht gerade eine Art Klimakampf 2.0. Der zeichnet sich zuerst dadurch aus, dass er nicht mehr an die Regierenden appelliert. In dem, was er tut, setzt er selbst um, was er will. Zweitens beinhaltet er das Selbstlernen von Fähigkeiten. Bislang müssen wir nichts über Medizin oder Landwirtschaft wissen – das machen andere in unserem System. Aber wenn das System kollabiert, müssen wir Wissen und Kompetenzen teilen. Und drittens findet er im Kontext begrenzter Ressourcen statt. Besetzungen werden sicherlich ein Teil des Klimakampfes 2.0 sein.

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