Missbrauch: Kirche spielt weiter auf Zeit

In Zivilprozessen von Opfern sexualisierter Gewalt ziehen Bistümer die Verjährungskarte

Das Ansehen der Kirche sinkt – auch wegen des Umgangs mit dem Missbrauchsskandal
Das Ansehen der Kirche sinkt – auch wegen des Umgangs mit dem Missbrauchsskandal

Seit fast 15 Jahren muss sich die katholische Kirche mit dem Thema auseinandersetzen: Mindestens 1670 Geistliche und Mitarbeiter von Gemeinden haben seit 1946 Kinder und Jugendliche sexuell misshandelt, oft über lange Zeiträume. Diese Zahl mutmaßlicher Täter ermittelten Experten, die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) eine Studie erarbeiteten und 2018 veröffentlichten. »Wir sind nach wie vor immer noch bei der Spitze des Eisbergs«, sagte der Psychiater Harald Dreßing fünf Jahre später. Er hatte die Untersuchung mehrerer Institute koordiniert. Ein wesentlicher Grund: Vorgesetzte deckten die Täter oft über lange Zeit.

Das Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen kämpft derweil weiter um echte Anerkennung des Leids und angemessene Entschädigung. Am Dienstag protestierten Aktive in Frankfurt am Main unter anderem gegen Verzögerungstaktiken. Anlass war ein Treffen der Kommissionen zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in den 27 deutschen Bistümern. Vertreter des bundesweiten Zusammenschlusses der Betroffenenbeiräte waren dazu nicht geladen.

Bereits am Montag hatten das Aktionsbündnis und der Verein Eckiger Tisch, der die Interessen Betroffener verrtritt, Kritik am Verhalten der Verantwortlichen geübt. Derzeit geht es ihnen insbesondere um Zivilprozesse um Schmerzensgeld. Dort greifen die Anwälte der Kirche vermehrt zum Mittel der »Einrede der Verjährung«, um finanziellen Schaden von der Institution abzuwenden. Denn in einigen Zivilverfahren wurden Bistümer bereits mehrfach zu Entschädigungszahlungen von mehreren Hunderttausend Euro verurteilt.

Matthias Katsch, langjähriger Sprecher des Eckigen Tischs und einer der ersten Betroffenen am privaten, von Jesuiten betriebenen Gymnasium Canisius-Kolleg in Berlin, die im Jahr 2010 ihren Leidensweg öffentlich machten, findet die juristischen Kniffe, die die Kirche nutzt, skandalös. Sie nutze den »Spielraum im bürgerlichen Zivilrecht im Abwehrkampf gegen höhere Entschädigungszahlungen aus«, sagt er. Es gebe zudem Bistümer, die die Amtshaftung der Kirche für Täter infrage stellen.

Deren Anwälte bezweifelten selbst in Fällen, in denen die zuständigen Kirchenverwaltungen Opfern bereits Leistungen angeboten und gezahlt haben, »dass die Taten überhaupt stattgefunden haben«. Oder sie stritten ab, dass es einen Zusammenhang zwischen den Verbrechen und psychischen Leiden der Opfer gebe. Dies zwinge Betroffene zu aufwendigen und häufig retraumatisierenden Begutachtungen, so Katsch.

Gegen die »Einrede der Verjährung« und andere Abwehrstrategien richtet sich eine Petition an die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die deutsche Ordensoberenkonferenz. Die Betroffenenverbände haben sie auf der Petitionsplattform des Kampagnennetzwerks Campact gestartet. Darin heißt es, die Kirche spiele mit Hilfe der »Einrede der Verjährung« auf Zeit, obwohl Richter und Opferanwälte darin ein »rechtsmissbräuchliches Verhalten« sehen. Dies müsse aber in höheren Instanzen geklärt werden, wodurch sich Verfahren über Jahre hinzögen. So lange sei der Weg für erfolgreiche Klagen der meist ohnehin bereits betagten Betroffenen auf Schmerzensgeld blockiert.

Weiter monieren die Petenten die Strategie der Kirche zu behaupten, die Priester hätten die Taten »in ihrer Freizeit begangen«, weshalb man nicht verantwortlich sei. Klar sei aber, dass die Taten einen »dienstlichen Hintergrund hatten«. Denn Geistliche hätten sie nur aufgrund der Autoriät ihres Amtes, die in traditionellen Milieus nicht hinterfragt wurde, ungehindert begehen können. Sie hätten zudem gewusst, »dass ihre Institution sie schützen, notfalls versetzen würde«, was sie auch »hunderte Male getan« habe.

Das Aktionsbündnis forderte die Bischöfe auf, endlich Verantwortung für die Taten von Priestern zu übernehmen. Zugleich müssten die 2019 von einer von der DBK eingesetzten interdisziplinären Arbeitsgruppe vorgelegten Vorschläge für eine »faire, transparente und außergerichtliche Entschädigung« endlich umgesetzt werden.

In der Petition wird auch die Politik kritisiert. Sie wolle sich nicht mit den Kirchen anlegen und stütze so deren »katastrophales Krisenmanagement«. Demgegenüber habe der Staat in anderen Ländern der Kirche »Auflagen für die Aufarbeitung erteilt, Wahrheitskommissionen eingesetzt, Verjährung ausgesetzt, Akten beschlagnahmt, Bischöfe verurteilt und gesetzliche Regelungen für Entschädigungen getroffen«.

Die Betroffenenvertreter übergaben den Tagungsteilnehmern in Frankfurt zudem ein Forderungspapier. Darin verlangen sie, Prozesse, die unter anderem von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen der katholischen Kirche geführt werden, müssten für Betroffene nachvollziehbar sein. Sie müssten zudem vollständigen Zugang zu relevanten Dokumenten bekommen. Eine »angemessene und betroffenensensible Gedenk- und Erinnerungskultur« müsse Erfahrungen und Leid der Opfer anerkennen und sicherstellen, »dass Täter nicht posthum geehrt werden«.

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