»Die herrschende Politik macht ihren Frieden mit Trump«

Europapolitiker Martin Schirdewan zum künftigen Verhältnis zwischen EU und USA

  • Interview: Uwe Sattler
  • Lesedauer: 5 Min.
Alles bereit für die Amtseinführungs Trumps als US-Präsident: ein Souvenirladen in Washington
Alles bereit für die Amtseinführungs Trumps als US-Präsident: ein Souvenirladen in Washington

Sie waren während der Präsidentschaftswahlen in den USA und haben zahlreiche Gespräche in New York und Washington geführt. Welche Gefahren sehen Sie mit einem Präsidenten Donald Trump insbesondere auf die EU in wirtschaftlicher und handelspolitischer Hinsicht zukommen?

Trump macht sehr deutlich, dass er seinen protektionistischen America first-Ansatz ohne Rücksicht durchsetzen will. In Trumps erster Regierung gab es durchaus Streitigkeiten zwischen neoliberal orientierten und protektionistisch-national eingestellten Kräften. Das ist nicht mehr der Fall, Trump setzt voll auf national orientierten Kräfte, auf America first. Und das wird natürlich die schwächelnde europäische Wirtschaft massiv unter Druck setzen. Er droht ja damit, dass Unternehmen, die nicht in den Vereinigten Staaten investieren, um dort Produktionsanlagen aufzubauen, mit massiven Strafzöllen belegt werden auf ihre Exporte in die USA. Und das ist für exportorientierte Industriezweige wie etwa die deutsche Automobilindustrie fatal. Gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass natürlich auch die Zukunftsfähigkeit unserer Industrien in der Entwicklung und Anwendung moderner Technologien durch diese Politik infrage gestellt wird.

Die EU wird vor Trump kuschen?

Trump baut mit Typen wie Musk an seiner Seite und den 13 Milliardären, die er in sein Kabinett berufen möchte, eine autoritäre Oligarchie in den USA auf. Wie man da einseitig auf die transatlantische Freundschaft setzen kann, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder der Kanzlerkandidat der Union Friedrich Merz es tun, versteht kein vernünftiger Mensch. Man muss stattdessen endlich den Schalter umlegen in Richtung einer strategischen Unabhängigkeit der Europäischen Union. Das meine ich nicht im Sinne eines Europe first, sondern so, dass wir in der Lage sind, unsere strategischen Sektoren zu sichern und weiterzuentwickeln. Dazu zählen für mich zum Beispiel die Landwirtschaft, die Energieversorgung, die Gesundheitsversorgung. Aber ebenso Zukunftstechnologien und vor allem unsere Schlüsselindustrien, die wir in Europa haben. Darin müssen wir massiv investieren. Es geht letztendlich um nicht mehr oder weniger um die Zukunftsfähigkeit der EU.

Martin Schirdewan

Martin Schirdewan ist Europa­abgeord­ne­ter der Linken. Er steht mit der franzö­si­schen Politikerin Manon Aubry der Linksfraktion (The Left) im Europäischen Parlament vor. Schirdewan ist Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den USA und arbeitet unter anderem im Ausschuss für internationalen Handel.

Was könnte die EU denn dem neuen US-Präsidenten entgegensetzen?

Politisches Rückgrat, öffentliche Investitionen, aufgeklärtes Denken und Demokratie! Es geht um Jobs und Zukunftsperspektiven für die arbeitende Bevölkerung. Es geht aber auch um die Verteidigung einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft. Und für mich als Sozialist bedeutet das, dass wir auch in Deutschland und der EU die Superreichen zwingen, ihren gerechten Anteil an gesellschaftlicher Entwicklung durch entsprechende Vermögenssteuern und eine Vermögensabgabe beizutragen. Das bedeutet für mich auch, Konzernmacht immer weiter zu beschränken und den digitalen und ökologischen Umbau zu nutzen, um öffentliches Eigentum zu schaffen und zu stärken. Mark Zuckerbergs Kotau vor Trump und Elon Musks Wahlbeeinflussung und AfD-Pushen zeigen so eindeutig, dass wir diese BigTech-Strukturen mit rechtlichen Mitteln zerschlagen müssen.

Aber wir müssen in Europa auch wettbewerbsfähig produzieren. Und das heißt vor allem, wir müssen an die hohen Energiepreise ran. Ganz konkret: Wir müssen Energiepreise für energieintensiv produzierende Industrien und für kleine und mittlere Unternehmen ebenso wie für private Haushalte, vor allem für die mit geringen Einkommen und mittleren Einkommen, senken.

Von Trump gehen nicht nur Drohungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht aus, sondern auch in politischer Hinsicht. Die Forderung nach Aufrüstung der Nato ist ein solche. Sonst, so der designierte Präsident, würden sich die USA aus dem Pakt zurückziehen.

Fünf Prozent, my ass. Die EU hat auch hier eine eigene Rolle zu spielen. Und zwar eine, die auf Diplomatie und Dialog, also Frieden, ausgerichtet ist. Deshalb sollen Armeen im Sinne einer strategischen Nichtangriffsfähigkeit auf Verteidigungsfähigkeit umgestellt werden. An dieser Stelle braucht es die Kritik an ungebremster Aufrüstung, so wie Trump sie fordert. Jeder unnötige Cent fürs Militär fehlt bei Gesundheit, Bildung oder einer funktionierenden Bahn.

Wie ernst zu nehmen sind Trumps Drohungen, sich Kanada und Grönland einzuverleiben?

Natürlich ist Grönland wegen seiner Lage und Ressourcen von großem strategischen Interesse, sowohl für die EU als offenkundig auch für die USA. Grönlands Status als überseeisches EU-Gebiet führt auch zu recht zu einer vertieften strategischen Beziehung zwischen der EU und Grönland. Trumps Ankündigungen halte ich aber vor allem für Lärm. Dass sich seine Unberechenbarkeit und das scheinbar erratische Handeln in internationalen Beziehungen auch gegen Freunde wie Kanada und Dänemark richtet, kennen wir ja schon aus seiner ersten Amtszeit. Diese Chaotisierungsstrategie dient vor allem der Durchsetzung US-amerikanischer Interessen und trägt leider massiv zur Delegitmierung internationalen Rechts bei.

Der Hauptgegner Trumps scheint China zu sein. Zieht die EU da mit?

Wir stehen vor der grundlegenden Entscheidung zwischen strategischer Unabhängigkeit der EU oder transatlantischer Abhängigkeit. Mit der man übrigens nur zu einer neuen Blockbildung in der Welt beiträgt. Ich halte die Gefahr einer Blockbildung für real und es ebenso für fatal, wenn es dazu käme. Denn damit können alle großen Zukunftsfragen der Menschheit nicht geklärt werden, ob nun Klimawandel, Migration, Hunger oder soziale und finanzielle Armut. Zugleich steigt die Gefahr von Kriegen und militärischen Krisen. Das Beste wäre für die EU, sich strategisch unabhängig aufzustellen, um Glaubwürdigkeit als diplomatische Supermacht zu erlangen. Allein, ich sehe im Moment weder bei der neugewählten Kommission von der Leyen noch bei welcher kommenden Bundesregierung auch immer wenig Neigung, den klügeren Weg zu gehen. Ich sehe vielmehr, dass es doch eine sehr starke Orientierung in Richtung Verstärkung der transatlantischen Bindungen gibt. Oder anders ausgedrückt: Die herrschende Politik macht ihren Frieden mit dem Autokraten Trump und mit der Aufrüstung der Nato. Als Sozialist werde ich niemals mit dem neuen Faschismus und einem neuen Wettrüsten meinen Frieden machen können.

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