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Linke-Parteitag: Außerordentliche Ermutigung
Die Linkspartei will mit einem dezidiert sozialpolitischen Programm wieder in den Bundestag einziehen
Wer am Sonnabend zum Außerordentlichen Parteitag der Linken wollte, brauchte eine gewisse Ausdauer. In der »Station« in Berlin-Kreuzberg – ein riesiger früherer Postbahnhof – führt eine langgestreckte Halle zum Tagungssaal, und auf dem Weg dorthin hatte die Parteitagsregie lebensgroße Pappaufsteller von Gregor Gysi, dem Silberlocken-Trio Gysi-Ramelow-Bartsch sowie von den beiden Spitzenkandidaten Heidi Reichinnek und Jan van Aken platziert. In dieser Reihenfolge. Ein dezenter Hinweis darauf, auf wem die größten Hoffnungen im Wahlkampf liegen.
Der Parteitag war deshalb ein außerordentlicher, weil er angesichts der vorgezogenen Bundestagswahl kurzfristig organisiert werden musste. Regulär tagt Die Linke wieder im Mai in Chemnitz – das wäre für den ursprünglichen Wahltermin im September der eigentliche Wahlparteitag gewesen. Nun wird Chemnitz zur Bilanz und Standortbestimmung nach der Wahl, wie auch immer sie ausgeht.
Außerordentlich, jedenfalls gemessen an der linken Stimmung in den letzten Jahren, war das Delegiertentreffen am Sonnabend aber auch, weil sich hier eine Partei versammelt und präsentiert hat, die nach langer Durststrecke augenscheinlich wieder an sich glaubt. »Wir glauben, dass mehr möglich ist. Dass das noch nicht alles gewesen sein kann – für Die Linke, für das Land, für euch«, schreiben Reichinnek und van Aken in einem Grußwort an die Adresse der Wählerinnen und Wähler. Die Linke stehe bedingungslos an der Seite der arbeitenden Menschen und Familien, der Menschen, bei denen das Geld kaum zum Leben reicht und die keine Lobby haben – »kurz: an der Seite der Mehrheit dieser Gesellschaft«.
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Gregor Gysi, der gern als Alterspräsident den nächsten Bundestag eröffnen möchte, zeigte sich begeistert darüber, »wie aktiv und leidenschaftlich viele junge Mitglieder die Mission Silberlocke unterstützen«. Junge Leute produzieren Videos mit Gysi für die sozialen Netzwerke, Silberlocken-Kollege Bodo Ramelow lernt nach eigenem Bekunden in diesem Wahlkampf, »wie man sich auf Tiktok bewegt«. Am Rande des Parteitags wurde mitgeteilt, dass Die Linke erstmals seit langer Zeit wieder mehr als 60 000 Mitglieder hat. Die PDS und Die Linke seien oft totgesagt worden, rief Gysi in Erinnerung, aber das habe sich nie bewahrheitet. Auch diesmal werde nicht funktionieren, was Sahra Wagenknecht kurz vor Gründung ihres BSW erklärte – dass man erst etwas Neues aufbauen müsse, bevor man das Alte zerstören könne.
Die Linke, so Gysi, habe zwar im Bund nie regiert, aber den Zeitgeist verändert und so beispielsweise entscheidend dazu beigetragen, dass der gesetzliche Mindestlohn eingeführt und die Praxisgebühr bei Arztbesuchen wieder abgeschafft wurde. So wolle man auch künftig im Bundestag den Zeitgeist beeinflussen – für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Abrüstung und die Gleichstellung zwischen Ost und West. Alle Bundesregierungen hätten den Osten wie ein Stiefkind behandelt, sich nicht ernsthaft für ihn interessiert und die Lebensleistung von Ostdeutschen abgewertet: »Es wird Zeit, dass sich eine Bundesregierung mal dafür entschuldigt.«
Das dürfte von einer Regierung unter Führung von Friedrich Merz erst recht nicht erwarten sein. Vielmehr erwartet die Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner, dass das Projekt Merz »die soziale Hölle für Arme und Arbeitende« bringt und mit der angekündigten Agenda 2023 »den Sozialstaat kurz und klein schlagen will«. Schon jetzt laufe ein »organisierter Angriff« konservativer, liberaler und rechter Politiker und Meinungsmacher auf den Sozialstaat. Die Linkspartei sei im Widerstand gegen die Agenda 2010 von Gerhard Schröder entstanden und werde auch hart gegen die Agenda 2030 von Merz kämpfen, so Schwerdtner.
Sie hält es mit Blick auf politische Entwicklungen etwa in Frankreich und Österreich »nicht für ausgeschlossen, dass Merz seine Pläne am Ende mit der AfD durchsetzt«. Ohnehin werde die AfD »alle negativen Tendenzen noch schlimmer machen«, sagte der Ko-Vorsitzende der Linke-Bundestagsgruppe Sören Pellmann. Die AfD sei keine demokratische Alternative, erklärte Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek: »Nichts an dieser Partei ist demokratisch.« Gregor Gysi zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Die Linke viele Konkurrenten habe, »aber nur einen Gegner, und der heißt AfD«. Er erwarte von allen demokratischen Parteien, von Gewerkschaften, Unternehmerverbänden, Kunst- und Kulturschaffenden einen entschiedenen Kampf gegen Rechtsextremismus. Die AfD sei, so mache es auch ihr Wahlprogramm deutlich, »eine asoziale und eine Kriegspartei«.
»Wir sind die Partei für den Frieden ohne das verräterische ›Ja, aber‹«, sagte Parteivorsitzender und Spitzenkandidat Jan van Aken. Um den Ukraine-Krieg schnellstmöglich zu beenden, sei mehr Diplomatie nötig, nicht mehr Rüstung. Van Aken sagte, er sehe auf den Ukraine-Krieg immer aus der Sicht der betroffenen Menschen. Er fügte hinzu, dass es »ohne Freiheit und Demokratie in der Ukraine auch keinen Frieden geben wird. Das unterscheidet uns von den Kreml-Parteien AfD und BSW.« Im Übrigen gehörten alle Kriegsverbrecher wie Putin, Erdoğan und Netanjahu vor Gericht.
In ihrem Wahlprogramm, das der Parteitag bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen beschloss, setzt Die Linke deutliche soziale Schwerpunkte. Der Titel des Papiers »Alle wollen regieren. Wir wollen verändern. Reichtum teilen. Preise senken. Füreinander« zeigt die Richtung an. »Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich ist eines der größten Probleme unserer Zeit«, heißt es im Vorwort des Wahlprogramms. Es geht unter anderem um bessere Gesundheitsversorgung, Entlastung für Familien, höhere und sichere Renten. Um den Alltag für viele Menschen mit kleinen Einkommen wieder bezahlbar zu machen, soll die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Bus- und Bahntickets sowie Hygieneartikel abgeschafft werden.
Energiepreise sollen sozial gestaffelt und staatlich kontrolliert, Mieten mit Hilfe eines bundesweiten Mietendeckels gesenkt werden. Dieser Mietendeckel sei »nicht einfach nur eine Mechanik, sondern er soll verhindern, dass Wohnungen an der Börse verscheuert werden«, sagte Bodo Ramelow. Laut Ines Schwerdtner wären mit einem solchen Mietendeckel mehr als sechs Millionen Menschen vor Mieterhöhungen geschützt. Mit einer speziellen Kampagne sorgt Die Linke für erhebliche Rückzahlungen von überhöhten Heizkosten; mithilfe einer von der Linksgruppe im Bundestag entwickelten Mietwucher-App konnten schon mehr als 20 000 Haushalte Widerspruch gegen überzogene Mieten einlegen. Die Linke setze auf diese Weise schon vor der Wahl um, was andere Parteien nur versprechen, kommentierte Heidi Reichinnek die Aktionen.
Finanzieren will Die Linke ihre Vorschläge – darunter auch steuerliche Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen – mit höheren Steuern für Reiche und Superreiche. Jan van Aken wiederholte sein Bekenntnis vom letzten Parteitag: »Ich finde, es sollte keine Milliardäre geben.« Die Vermögensteuer sei nicht nur gerecht, »sie schützt auch die Demokratie«, sagte er. Unterm Strich würde eine Familie mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen den Linke-Vorschlägen zufolge im Jahr um etwa 20 000 Euro entlastet. Eine Alleinerziehende hätte 16 000 Euro mehr pro Jahr im Portemonnaie, ein zum Mindestlohn Beschäftigter immer noch 9000 Euro.
Noch im Sommer des letzten Jahres hätte man angesichts der Umfragen und des linken Seelenzustands sagen müssen: Die Linke hat kaum eine Chance, aber sie muss sie nutzen. Jetzt kann man festhalten: Sie hat wieder ein Chance, das legen öffentliche Wahrnehmung und wiedererwachtes Selbstbewusstsein nahe. Ob sie sie nutzen kann, wird man am Abend des 23. Februar wissen. Nicht nur Silberlocke Dietmar Bartsch zeigte sich zuversichtlich, als er »eine bekannte ostdeutsche Physikerin« zitierte: »Wir schaffen das!«
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