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Deutschland ist das China Europas
Das Erreichen der EU-Klimaziele hängt vor allem vom größten CO2-Emittenten ab
Sehr viel Zeit ist nicht mehr: Deutschland hat sich gesetzlich verpflichtet, bis Ende 2045 klimaneutral zu werden. Die Europäische Union gibt sich fünf Jahre mehr Zeit – dann soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent des Planeten sein.
Im Moment hat der europäische Klimapfad eine Zwischenmarke: Mit dem »Green Deal« sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Diese haben aber die unschöne Eigenschaft, dass ihre Reduzierung umso schwerer fällt, je näher die Null-Linie kommt. Die noch verbleibenden Emissionen gehören immer stärker zu denen, die als schwer oder gar nicht vermeidbar gelten. Der Kohleausstieg ist nahezu ein Kinderspiel, verglichen mit der Emissionsminderung in Verkehr, Grundstoffindustrie oder Landwirtschaft. Die EU-Kommission hat, einem Beratergremium folgend, eine dritte Wegmarke vorgeschlagen, die dieser Einsparlogik Tribut zollt: Bis 2040 sollen die Emissionen um mindestens 90 Prozent gesunken sein. Beschlossen ist aber noch nichts.
So ein dicker Einspar-»Brocken« von 2030 zu 2040 weckt Zweifel, wie jetzt in einer Studie des Beratungsunternehmens Climate Desk und des Future Camp Climate ausgeführt wird. Auftraggeber sind der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Die Arbeit bietet einen zahlenreichen Überblick über die klimapolitische Lage in der EU.
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Aus dem Datenwust ragen ein paar Dinge hervor. So stellen allein Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen und Italien zwei Drittel der gesamten EU-Klima-Emissionen. Auf die nächsten fünf – Niederlande, Rumänien, Belgien, Tschechien und Griechenland – entfallen 17 Prozent. Die restlichen 17 Länder teilen sich die verbleibenden 17 Prozent. Ob das 2030er Ziel erreicht wird, hängt für die Studienautoren daher vor allem davon ab, ob die großen fünf ihre Vorhaben schaffen. Die kleinen Länder könnten dies nicht ausgleichen, dazu sind ihre Mengen einfach zu gering, stellte Mitautor Andreas Wehrl von Climate Desk bei der Präsentation der Ergebnisse klar.
Besondere Probleme bereitet europaweit der Straßenverkehr. Auf diesem Sektor sollte daher das Hauptaugenmerk liegen, so der Politikwissenschaftler. Derzeit gebe es in Europa nur wenige Länder wie Norwegen – das nicht einmal der EU angehört –, denen die Dekarbonisierung in diesem Sektor gelingen werde. Selbst im klimapolitischen Vorzeigebereich, der per Emissionshandel regulierten Energiewirtschaft und Großindustrie, droht bis 2030 ein Zuviel an CO2. Um das 2030-Ziel zu schaffen, müssten laut der Studie die Emissionen jährlich um mehr als 65 Millionen Tonnen sinken. Derzeit liegt der Schnitt bei nur 46 Millionen Tonnen.
Läuft es weiter schlecht, bleiben allein in den Bereichen Verkehr, Gebäude und kleine Industrie, die ab 2027 über ein zusätzliches Emissionshandelssystem gesteuert werden, mehr als 200 Millionen Tonnen CO2 »übrig«, die bis 2040 zusätzlich eingespart werden müssten. Kein Wunder, dass die Studie zum Schluss kommt: Derzeit reicht das Einspartempo nicht aus, um das EU-Ziel für 2030 zu erfüllen.
Mit einem Anteil von etwa 20 Prozent in der EU ist Deutschland unter den großen fünf der mit Abstand größte Emittent. Sollte dieser seine geplanten Emissionsminderungen nicht schaffen, befürchtet die Studie nachteilige Folgen für andere EU-Mitglieder. »Deswegen ist es wichtig, dass wir die Ziele einhalten können, die wir zusagen«, betonte Wehrl. Ansonsten gefährde ein so großer Player die Erreichbarkeit der EU-Ziele insgesamt. Anders ausgedrückt: Im europäischen Klimaschutz spielt Deutschland eine ähnliche Rolle wie China für den ganzen Globus. Scheitert Deutschland bei seinen Klimazielen, scheitert auch die EU.
Wie andere Klimastudien warnt auch die Arbeit für VKU und DIHK eindringlich davor, zu viele Minderungen auf die Zeit nach 2030 zu verschieben. Um das 2030er Ziel zu erreichen, muss die EU laut den Angaben ihre Treibhausgasemissionen im Schnitt um jährlich 125 Millionen Tonnen CO2 senken, um das Ziel für 2040 zu erreichen, wären jährlich rund 163 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent nötig, rechnet die Studie vor. Dieser Wert könnte sich aber auf mehr als 200 Millionen Tonnen erhöhen, wenn die Politik nicht bald zusätzliche Maßnahmen ergreife, um die 2030er Zielvorgabe zu erfüllen oder ihr wenigstens nahezukommen.
»Das Problem, das wir bis 2030 sehen, wird danach noch sehr viel größer.«
Andreas Wehrl Climate Desk
»Das Problem, das wir bis 2030 sehen, wird danach noch sehr viel größer«, sagt auch Andreas Wehrl. Zudem würden »in einiger Größe« Klima-Lösungen gebraucht, die heute noch nicht zur Verfügung stünden. »Da können wir an einen Punkt kommen, der uns überfordert«, so der Klima-Analyst. Die Studie hält das Erreichen des 2040-Ziels für »sehr unwahrscheinlich«. Dieses sei »extrem ambitioniert« und beruhe auf vielen optimistischen Annahmen, meint auch VKU-Geschäftsführer Ingbert Liebing, dessen Verband zahlreiche Stadtwerke vertritt. Schon die Klimaziele für 2030 schienen heute in vielen EU-Staaten einschließlich Deutschlands kaum erreichbar, gerade in den Sektoren Verkehr und Gebäude.
Die Warnung ist noch besser zu verstehen, schaut man darauf, wie die EU-Kommission sich das mit der Klimaneutralität vorstellt. Brüssel zufolge können die EU-Länder von 2030 bis 2050 noch über ein Budget von 16 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent verfügen, emittieren werden sie aber wohl 21 bis 24 Milliarden Tonnen. Die Lücke soll mittels CO2-Entnahme durch natürliche und technische Systeme in Einklang geschlossen werden. Ein Drittel bis ein Viertel der Klimaneutralität würde also nicht auf Minderung, sondern auf CO2-Senken beruhen.
Solche Größenordnungen wirken absurd. So sollen etwa Landnutzungsänderungen bei Wäldern oder Mooren europaweit jährlich 220 bis 230 Millionen Tonnen CO2 speichern. Fachleute, die sich hier auskennen, halten das für eine weitgehende Luftbuchung. Ähnliches gilt für 350 Millionen Tonnen, die durch CO2-Abscheidung und -Speicherung, sprich: CCS, vermieden werden sollen.
In Deutschland sollen die Treibhausgasemissionen laut Klimagesetz bis 2030 sogar um 65 Prozent sinken, bis 2040 um mindestens 88 Prozent, gemessen immer an 1990. Auch Letzteres ist ambitionierter als das EU-Ziel, da Landnutzungsänderungen und technische CO2-Entnahmen nicht eingerechnet seien, erläutert Birgit Schwenk, Unterabteilungsleiterin für nationale und europäische Klimapolitik im Bundeswirtschaftsministerium. Eine abgestimmte Haltung der Regierung zum 2040-Vorschlag der EU-Kommission gebe es aber noch nicht. Gegen eine Verschärfung des deutschen Ziels aufgrund europäischer Vorgaben würde man sich allerdings »verwahren«, sagt Schwenk.
Ob die neue EU-Kommission die 90-Prozent-Marke unterstützen und in die Gremien einbringen wird, ist indes ungeklärt. Ebenfalls, wie es dann in Ministerrat und Parlament weitergehen wird. Zugleich muss die Europäische Union im kommenden Frühjahr für die Weltklimakonferenz 2025 in Brasilien ein neues verbindliches Klimaziel für 2035 beschließen, wie es international vorgegeben ist. Angesichts des Zahlensalats stellt sich zunehmend die Frage, wie der Kontinent das mit der Klimaneutralität eigentlich hinbekommen will.
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