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Hisbollah steht im Libanon in der Kritik
Israels Premier Benjamin Netanjahu plant weiter für einen Vergeltungsangriff auf den Iran
Sidon ist normalerweise eine lebhafte Stadt im Süden des Libanon. Frischer Fisch ist hier einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Doch nun liegen die Netze ungenutzt am Strand, die vielen Boote im Hafen. Der Fischmarkt: menschenleer. Israel hat die Fischer davor gewarnt, hinaus aufs Meer zu fahren. Das Militär befürchtet, dass die Hisbollah die Boote für den Waffenschmuggel nutzen könnte. Viele Käufer hatte es aber ohnehin nicht mehr gegeben. Ein großer Teil der rund 200 000 Einwohner ist geflohen, in Richtung Norden, wo es ruhiger ist. Oder nach Syrien, von wo Reporter und Mitarbeiter der Vereinten Nationen berichten, dass das syrische Militär den Fliehenden hohe Gebühren für den Grenzübertritt abnimmt. Eigentlich sind Syrien, die Hisbollah, der Iran enge Verbündete.
Auch im Gazastreifen geht der Krieg ein Jahr nach seinem Beginn weiter. Israels Militär hat nun die Schließung mehrerer Krankenhäuser im Norden des Landstrichs angeordnet. Außerdem gab es erneut Luftangriffe und Militäreinsätze. Die Stadt Dschabalia soll Berichten von Hilfsorganisationen zufolge komplett umstellt sein; es gebe »Dutzende Tote«. Insgesamt liegt die Zahl der Opfer im Gazastreifen nun in den Zehntausenden; große Teile des Landstrichs sind zerstört.
Wann kommt Israels Vergeltungsangriff auf den Iran?
Und gleichzeitig stellt sich die Frage, wann der israelische Militärschlag gegen den Iran kommt, und vor allem wo. Werden es die Atomanlagen sein? Einrichtungen der Revolutionsgarden? Gar der Sitz des Obersten Führers? Anfang der Woche sprachen in den Außenministerien der Vereinigten Arabischen Emirate, Katars und Saudi-Arabiens die iranischen Gesandten vor, am Mittwoch wollte Irans Außenminister Abbas Araqtschi auch persönlich nach Saudi-Arabien reisen. Die Nachricht, eine klare Warnung: Man solle keinesfalls zulassen, dass Israels Luftwaffe den Luftraum dieser Länder nutzt.
Im Libanon zeigte sich derweil der amtierende Chef der Hisbollah, Naim Qassem, offen für Waffenstillstandsgespräche. Er unterstütze eine Initiative des der Organisation nahestehenden Parlamentssprechers Nabih Berri. In einer Ansprache nannte er erstmals auch nicht das Ende des Gaza-Krieges als Vorbedingung. Matthew Miller, Sprecher des US-Außenministeriums, wertete das in einem Briefing als deutliches Zeichen dafür, dass die Hisbollah schwer angeschlagen ist. Ein Großteil ihrer Führung ist tot, ihre militärische Infrastruktur dürfte stark gelitten haben. Aber vor allem ist der öffentliche Druck enorm. Die Kritik am Kriegskurs der Hisbollah wird immer lauter.
»Wir werden unser Schicksal nicht mit dem Schicksal Gazas verbinden.«
Walid Dschumblat prominenter Vertreter der drusischen Bevölkerung des Libanon
Vor allem die Verbindung zwischen dem Krieg im Gazastreifen mit einer Feuerpause in Israel stößt auf deutlichen Unmut: »Wir werden unser Schicksal nicht mit dem Schicksal Gazas verbinden«, sagte Walid Dschumblat, ein prominenter Vertreter der drusischen Bevölkerung des Libanon. Und auch Vertreter der libanesischen Christen äußern sich mittlerweile ähnlich.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wandte sich derweil in einer Videobotschaft an die libanesische Öffentlichkeit: »Sie haben die Gelegenheit, den Libanon zu retten, bevor er in den Abgrund eines langen Krieges fällt, der zu Zerstörung und Leid wie in Gaza führt«, sagt er. Wirkung zeigten seine Worte aber vor allem in Washington, wo vor allem US-Präsident Joe Biden auf deutliche Distanz gegangen ist. Netanjahu wolle erstmals seit über 50 Tagen wieder mit Biden telefonieren, hieß es am Mittwoch in vielen Medienberichten. Das Problem dabei: Biden ruft nicht zurück. Seit zehn Tagen warte der Premier nun schon auf einen Anruf aus Washington, meldete der israelische TV-Sender Kanal 12.
Israels Verteidigungsminister sagt USA-Reise kurzfristig ab
Eigentlich wollte Verteidigungsminister Joaw Galant diese Woche nach Washington reisen, um mit seinem Amtskollegen Lloyd Austin und dem nationalen Sicherheitsbereiter Jake Sullivan zu sprechen. Für Washington ist Galant bevorzugter Ansprechpartner in der israelischen Regierung: Er gilt als moderat und realistisch, was die Erreichbarkeit der Kriegsziele betrifft.
Doch nun wird aus der Reise erst einmal nichts: Netanjahu untersagte sie ihm. Mehreren israelischen Medienberichten zufolge wolle er zunächst selbst mit Biden über den Iran sprechen, oder anders gesagt: den Präsidenten dazu zwingen, ihn anzurufen statt den Verteidigungsminister. Die Frustration in Washington wird deshalb mittlerweile auch bei den Republikanern größer, während Netanjahu offen darauf hofft, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt, und ihm nicht reinredet, so wie früher. Doch ein Krieg mit dem Iran könnte auch die US-Basen im Irak und anderswo im Nahen Osten in die Schusslinie bringen, die USA mit in den Krieg reißen.
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