»Schreckliche Dimensionen sexualisierter Gewalt«

Vertreter des katholischen Bistums Osnabrück nehmen Stellung zu Studie über Verbrechen an Kindern

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Meint, die »Schweigespirale« müsse nun durchbrochen werden: der Osnabrücker Generalvikar Ulrich Beckwermert (r). Neben ihm auf der Pressekonferenz des Bistums am 10. Oktober: Heinz-Wilhelm Brockmann von der Monitoring-Gruppe zu sexualisierter Gewalt von Klerikern in der Diözese.
Meint, die »Schweigespirale« müsse nun durchbrochen werden: der Osnabrücker Generalvikar Ulrich Beckwermert (r). Neben ihm auf der Pressekonferenz des Bistums am 10. Oktober: Heinz-Wilhelm Brockmann von der Monitoring-Gruppe zu sexualisierter Gewalt von Klerikern in der Diözese.

Mindestens 409 Kinder und Jugendliche haben seit 1945 im Bistum Osnabrück sexualisierte Gewalt erlitten. Mindestens 122 Priester, Diakone und andere Mitarbeitende der Diözese wurden in einer Studie der Universität Osnabrück als Tatverdächtige ermittelt. Deren Abschlussbericht wurde vor einer Woche veröffentlicht. Das »Dunkelfeld« ist demnach riesig: Die Zahl der Täter könnte zehnmal so groß sein.

Zu den Ergebnissen nahm am Mittwoch der Osnabrücker Generalvikar Ulrich Beckwermert Stellung. Die Studie offenbare »schreckliche Dimensionen sexualisierter Gewalt« an jungen Menschen, sagte er auf einer Pressekonferenz. In der Diözese, die einen Bereich des westlichen Niedersachsens und einen Teil Bremens umfasst, leben etwa 553 000 Katholiken.

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Bei der Aufarbeitung der Fälle, die durch Aussagen von Betroffenen und durch die Begutachtung von Akten ans Licht gekommen sind, dürfe nicht nachgelassen werden, betonte Beckwermert. Es gelte nun, Betroffene bestmöglich zu unterstützen und alles Erdenkliche dafür zu tun, dass es im Raum der Kirche nie wieder zu solchen Verbrechen komme.

Dafür soll die Präventionsarbeit mit Mitarbeitenden aller Einrichtungen des Bistums und in der Ausbildung aller kirchlichen Berufsgruppen sorgen. Ziel sei es, die Wahrnehmung zu schärfen »und der verheerenden Schweigespirale den Boden zu entziehen, die Täter oft geschützt hat«, sagte der Generalvikar.

Beim Geld endet der gute Wille

Zur Kritik der Studienautoren an den aus ihrer Sicht zu geringen Geldleistungen der Kirche an Opfer äußerte sich das Bistum indes eher abwehrend. Die Wissenschaftler hatten auch den hohen bürokratischen Aufwand für Betroffene bemängelt, die die sogenannten Anerkennungsleistungen aktiv beantragen müssen.

Aus der Leitung der Diözese heißt es dazu, man wolle am bisherigen Verfahren zur Anerkennung des Leids bis auf Weiteres festhalten. Die an der Studie beteiligten Juristen hatten festgestellt, dass die Kirche erst reagiert, wenn Betroffene einen Antrag stellen, und nicht selbst aktiv wird. Die bisher geleisteten Summen blieben dann in den meisten Fällen hinter dem zurück, was staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zusprächen. Die Kirche selbst verweist auf das »niedrigschwellige Verfahren«, das Fälle auf Plausibilität hin prüft, ohne dass gerichtsfeste Beweise im Rahmen eines Schadenersatzprozesses vorgebracht werden müssten.

Kritik an Altbischof Bode

Zur Zusammenarbeit mit dem im Bistum aktiven Betroffenenrat Nord sagte der Generalvikar, man wolle Möglichkeiten schaffen, ihn weiter »in den Diskurs« einzubinden. Die Sprecherin des Rates, Ilona Düing, übte derweil mit Blick auf den Abschlussbericht zur Studie deutliche Kritik am Bistum, wenngleich sie diesen einen »Meilenstein« bei der Aufarbeitung nannte.

Im März 2023 war der frühere Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode angesichts des Vorwurfs der Pflichtverletzung im Umgang mit Tatverdächtigen zurückgetreten, nach 28 Jahren im Amt und ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Zwischenberichts der Forscher. Anders als im Fall des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki nahm Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch an. Bodes Nachfolger ist Dominicus Meier, der erst im September sein Amt angetreten hat. Er hatte sich am Mittwoch wegen einer Erkrankung vom Generalvikar vertreten lassen.

Bode hatte die Erstellung der Studie, die vom Bistum mit 1,3 Millionen Euro finanziert worden war, noch auf den Weg gebracht. Er und seine Amtsvorgänger waren im 2022 veröffentlichten Zwischenbericht der Wissenschaftler mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sexuelle Gewalt, die von Priestern ausgeübt worden war, vertuscht zu haben. Ilona Düing sagte am Mittwoch, Bode habe bis zum Ende seiner Amtszeit den Schutz seiner »Brüder« oft stärker im Blick gehabt als das Wohl der Opfer.

Im Untersuchungsbericht heißt es, im Bistum seien Fürsorgepflichten »erheblich« verletzt worden, indem keine Maßnahmen gegen in der Seelsorge eingesetzte Verdächtige ergriffen worden seien. Dies habe sich erst in der jüngeren Vergangenheit geändert. Auch Pflichten zur Unterstützung von Opfern seien »in erheblichem Maß« verletzt worden.

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