Klimawandel: Barcelona an der Spree

Wie wappnet sich Berlin für die erwartete Erwärmung im Zuge des Klimawandels?

Berlin wird sich in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich weiter aufhitzen.
Berlin wird sich in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich weiter aufhitzen.

Einstellen auf wärmere Tage: »Berlin könnte von der klimatischen Situation her wie Barcelona werden«, sagt Fritz Reusswig, Wissenschaftler am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am Donnerstag vor dem Umweltausschuss des Abgeordnetenhauses. Der weltweite Klimawandel ziehe auch an der Hauptstadt nicht vorbei. Schon in den vergangenen Jahren habe man feststellen können, dass Berlin sich erwärmt. »Wir haben zu viele zu warme und zu trockene Jahre«, sagt Reusswig. Schon 2021 habe es etwa 400 Hitzetote in Berlin gegeben.

Künftig könnten es noch viel mehr werden, warnt Reusswig. »Wir werden deutlich mehr Tage mit Temperaturen über 30 Grad erleben«, sagt er. Aktuell gebe es davon im Jahresschnitt nur acht – künftig könnten es 30 und mehr werden. Das habe auch ökonomische Auswirkungen: »Wir beobachten an heißen Tagen einen Rückgang der Produktivität«, sagt Reusswig. Auch der Einzelhandel berichte von geringeren Einnahmen an besonders heißen Tagen.

Wie aber umgehen mit der absehbaren Erhitzung? »Berlin ist nicht darauf vorbereitet auf das, was an Erderwärmung stattfinden wird«, sagt Stephan Rammler, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. »Klimaanpassung wird in der Zukunft fast ein wichtigeres Ziel sein als Klimaneutralität.« Die ökologische Krise müsse in das Zentrum der Stadtentwicklung gestellt werden. »Alle gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Innovationsprozesse müssen auf Erderwärmung ausgerichtet werden«, so Rammler.

»Berlin könnte von der klimatischen Situation her wie Barcelona werden.«

Fritz Reusswig
Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung

Konkret bedeute das, dass Berlin mehr für die hiesige Energieproduktion tun müsse, sagt Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. »Dezentrale Energieproduktion hat eine Zukunft in Berlin«, sagt er. »Die gute Nachricht ist, dass es technisch kein Problem ist, das zu lösen.« Die entsprechenden Technologien seien bereits vorhanden, nun komme es darauf an, sie gezielt auszubauen. Berlin könne eigenen Wasserstoff produzieren und Geothermie im Stadtgebiet fördern, um sie für die Gebäudewärme nutzbar zu machen.

Allein werde es Berlin aber nicht schaffen, so Hirschl. »Wir können mehr Energie erzeugen als bisher, aber mindestens 50 Prozent wird weiter von außerhalb Berlins kommen.« Daher brauche es eine enge Zusammenarbeit mit dem Nachbarbundesland Brandenburg. Denkbar seien etwa Pipelines für Wasserstoff, die nach Berlin führen. Auch könnte Biomasse aus Brandenburger Mooren gewonnen werden und stillgelegte Braunkohletagebaue in der Lausitz mit Wasser aus der Spree geflutet werden, um die Grundwasserbestände zu sichern. »Das wäre eine Lösung, um Berlin resilienter zu machen für den Klimawandel«, so Hirschl.

Um die Zusammenarbeit zwischen den zwei Bundesländern zu sichern, schlägt Hirschl einen »strategischen Gesamtplan Hauptstadtregion« vor. Die dort getroffenen Vereinbarungen könnten über Staatsverträge festgeschrieben werden. Bislang gebe es zwar Absprachen und gemeinsame Konferenzen zwischen Berlin und Brandenburg. »Aber das hat häufig nur Einstiegscharakter«, so Hirschl. Dort würden nur gemeinsame Ziele vereinbart, die Umsetzung liege aber bei den einzelnen Bundesländern.

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Der Linke-Abgeordnete Ferat Koçak verweist darauf, dass es Maßnahmen brauche, um sich an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen. »Wir müssen die Berliner vor Hitze schützen«, sagt er. So müssten Orte geschaffen werden, an denen man vor den heißen Temperaturen Zuflucht finden könne. Berlin müsse zur »Schwammstadt« werden – es brauche also mehr Flächen, in denen Regen in das Grundwasser absickern könne. Sonst drohe Berlin zu vertrocknen.

»Aktuell werden mehr als doppelt so viele Bäume gefällt wie nachgepflanzt«, sagt Koçak. Eine Bürgerinitiative strebt ein Volksbegehren an, das das ändern soll: Nach dem Willen der Initiatoren sollen 300 000 neue Bäume gepflanzt werden – einer alle 15 Meter Gehweg. Die sogenannten Baumscheiben, die unversiegelten Flächen rund um die Wurzeln, sollen deutlich größer werden. Läuft es nach dem Plan der Bürgerinitiative, soll der Volksentscheid parallel zu der Abgeordnetenhauswahl 2026 stattfinden.

»Ich unterstütze den Baumentscheid«, sagt Umweltstaatssekretärin Britta Behrendt (CDU). Bäume trügen zur Resilienz bei. Ob sie damit auch für ihre Partei spricht, dürfte allerdings zweifelhaft sein. Unabhängig vom Ausgang des Entscheids kündigt Behrendt an, ein »Entsiegelungskataster« einführen zu wollen. Dort sollen alle Flächen verzeichnet werden, wo Flächenversieglung rückgängig gemacht werden könne. »Wir brauchen erst mal einen Überblick«, so Behrendt.

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