Lithium in Serbien: »Wir verschenken das weiße Gold«

Massenproteste stoppten den Bau einer Lithium-Mine in Serbien. Jetzt soll doch gebohrt werden

Tausende demonstrieren im Juni 2024 in Loznica (Westserbien) gegen den Bau der Lithium-Mine.
Tausende demonstrieren im Juni 2024 in Loznica (Westserbien) gegen den Bau der Lithium-Mine.

In der Jadar-Region entsteht die weltweit erste Lithium-Mine in einem besiedelten landwirtschaftlichen Gebiet. Was hat die Bewegung dagegen ins Rollen gebracht?

Die serbischen Behörden setzen die Umweltschutzgesetze nicht effizient um. Viele industrielle und andere Arten von Verschmutzung werden nicht dokumentiert, geschweige denn bestraft. Deshalb bildeten sich ab 2016 in praktisch jeder Siedlung lokale Initiativen, die dafür kämpfen, die Natur und ihren Lebensunterhalt zu bewahren. In Ostserbien gibt es bereits die sogenannten Opferzonen. Jeder vierte Mensch in den Städten, die intensivem Bergbau ausgesetzt sind, hat Krebs. Die Bevölkerung ist sich also der Gesundheitsrisiken bewusst, die der Bergbau mit sich bringt. Außerdem ist Rio Tinto, das Unternehmen, das das Lithium abbauen soll, dafür bekannt, weltweit Umweltprobleme zu verursachen. Ab 2020 haben sich die Umweltaktivist*innen deshalb zusammengeschlossen und auf dieses Problem konzentriert.

Nun soll die Mine doch gebaut werden. Was hat sich geändert?

Die Bewegung nahm 2021 an Fahrt auf. Es gab Massenversammlungen in mehr als 100 Siedlungen und koordinierte Straßen-, Autobahn- und Grenzblockaden. Dies geschah einige Monate vor den vorgezogenen Parlaments- und regulären Präsidentschaftswahlen 2022. Die rechtsextreme Regierung von Aleksandar Vučić befürchtete, dass die Opposition ihren Einfluss einschränken könnte. Also setzte sie das Projekt vorübergehend aus und nannte diese Pause »das Ende« der Mine. Allerdings kaufte Rio Tinto weiterhin Land. Als die Partei von Vučić ihre Macht bei den Wahlen 2022 und 2024 bestätigte, revitalisierte sie das Projekt und die Erzählung darum. Diesmal wurde die serbische Regierung von EU- und insbesondere deutschen Politiker*innen unterstützt, Olaf Scholz zum Beispiel.

Scholz argumentiert, dass die EU durch dieses Projekt ihren Klimazielen näher kommen und die innereuropäische Zusammenarbeit stärken wird …

Im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal trat im Mai 2024 das Gesetz zu kritischen Rohstoffen in Kraft. Ziel ist, so steht es im Gesetzestext, von China autonom zu werden und die Bedürfnisse der europäischen Industrie und auch des Militärs zu bedienen. Das Gesetz über kritische Rohstoffe ist auch auf die Interessen der deutschen Automobilindustrie abgestimmt. Der Lithium-Abbau in Serbien beschafft die Ressourcen für die Batterien der Elektroautos. Diese Pläne basieren auf dem Dogma wirtschaftlichen Wachstums und der Automobilstrategie in Transport-, Stadt- und Wirtschaftspolitik.

Interview

Iskra Krstić arbeitet in Serbien als Journalistin und Aktivistin, unter anderem für das Medienportal »Mašina«.

Sie kritisieren den grünen Kapitalismus?

Definitiv. Statt uns auf das BIP-Wachstum zu konzentrieren und individuellen Verkehr zu fördern, sollten wir alternative Wirtschaftsmodelle und den öffentlichen Verkehr entwickeln.

Serbische Wissenschaftler*innen haben den Umgang mit der Lithium-Mine als eine Form des Neokolonialismus bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?

Früher meinten wir halb im Scherz, dass wir irgendwann das Land unter unseren Füßen, das Wasser, das wir trinken, und die Luft, die wir atmen, verkaufen. An diesem Punkt stehen wir jetzt. Vor einigen Jahren hat unsere Regierung sogar serbische Arbeiter*innen auf CNN als »hoch qualifiziert und billig« beworben. Die Menschen in Serbien sind sich bewusst, dass der grüne Übergang stattfinden muss. Sie glauben nur nicht, dass die Lösung darin besteht, ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet zu zerstören, um Lithium für Autos zu exportieren, ohne zu wissen, wie diese Batterien letztendlich gelagert oder entsorgt werden sollen.

Vučić hält dem entgegen, die Lithium-Mine würde durch die hohen Investitionen das Wirtschaftswachstum in Serbien fördern. Zugleich würde er das Projekt ökologisch »sauber« halten.

Das ist die erwähnte neue Erzählung. Beide Punkte sind heftig umstritten. Was den wirtschaftlichen Aspekt betrifft: Wir wissen aus der Forschung zu Rohstoffindustrien, zum Beispiel aus Lateinamerika, dass die Länder, die Rohstoffe exportieren, in der Regel auf der Verliererseite sind. Die Besteuerung des Bergbaus ist in Serbien sehr niedrig, sie liegt bei etwa drei Prozent. Wir verschenken das neue weiße Gold quasi an ein ausländisches Unternehmen. Eine Gruppe von Wirtschaftsexperten hat kürzlich die Zahlen zu dem Projekt, basierend auf den Daten von Rio Tinto, durchgerechnet. Ihrer Rechnung nach würde jeder serbische Bürger monatlich 2,60 Euro aus dem Jadar-Projekt erhalten. Dafür sollen wir unsere Umwelt opfern.

Laut einer im Fachmagazin »Nature« veröffentlichten Studie werden die Trinkwasserressourcen im Jadar-Gebiet kontaminiert.

In dem Gebiet, in dem die Mine gebaut werden soll, liegt die größte unterirdische Trinkwasserquelle Serbiens. In Reaktion auf diese Studie hat Rio Tinto die Pläne ein wenig verändert.

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Welche Rolle spielt die parlamentarische Opposition? Das Mitte-links-Bündnis »Moramo« hat sich aus den Kämpfen um die Mine entwickelt, oder?

Ein Teil der Opposition hat sich tatsächlich aus Basisbewegungen entwickelt, die gegen Gentrifizierung, Wasser- und Landraub kämpfen. Die zentristisch-linke und zentristisch-rechte Opposition haben gemeinsam Änderungen des Bergbaugesetzes vorgeschlagen, um den Abbau von Lithium und Bor zu verbieten. Dies wurde vergangenen Freitag von der parlamentarischen Mehrheit abgelehnt. Zuvor wurde eine Petition mit demselben Anliegen von 38 000 Menschen ins Parlament eingebracht. Die Regierung behauptet, sie könnte diese Petition nicht mehr finden. Das ist das politische Niveau, von dem wir sprechen.

Wie steht es um internationale Unterstützung?

Es gibt viel Solidarität. Serbische Aktivist*innen haben Verbindungen zu Bewegungen in Lateinamerika, Nordamerika und verschiedenen Orten in Europa wie Finnland, Portugal und Frankreich geknüpft.

Und auf dem Balkan? Die Lithium-Vorkommen liegen nahe Bosnien und Herzegowina. Spielen Grenzkonflikte eine Rolle?

Die meisten Regionen am Balkan sind sowohl ähnlicher Wirtschaftspolitik als auch politischem Druck ausgesetzt. Ihre Aktivist*innen sind gut miteinander vernetzt. Ein Beispiel ist »Verteidigt die Flüsse der Balkanstaaten«, ein Bündnis, das sich ursprünglich um den Schutz der letzten wilden Flüsse Europas gegen Wasserkraftwerke gebildet hat, aber größer geworden ist. In den Umweltkämpfen gibt es ein Gefühl von Zusammengehörigkeit in Armut, Entrechtung und teilweise gemeinsamer Sprache.

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