• Politik
  • Prozess gegen Reichsbürger

Waffen für die Entführung von Karl Lauterbach

Ein bayrischer Neonazi, der Umsturzpläne militanter »Reichsbürger« unterstützte, kommt vor Gericht glimpflich davon

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Julian V. wollte »Kaiserreichsgruppe« tonnenweise Waffen zukommen lassen.
Julian V. wollte »Kaiserreichsgruppe« tonnenweise Waffen zukommen lassen.

Es ist nicht leicht, die Übersicht zu bewahren angesichts all der »Reichsbürger«, die den gewaltsamen Umsturz in Deutschland angestrebt haben sollen. Da ist nicht nur die »Patriotische Union« um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß, deren mutmaßlichen Mitgliedern derzeit in drei Großverfahren in Frankfurt, München und Stuttgart der Prozess gemacht wird. Es gibt, nicht nur namentlich zum Verwechseln ähnlich, auch noch die »Vereinten Patrioten«.

Deren, nun ja, patriotischer Plan soll es gewesen sein, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen und mit Sprengstoffanschlägen für einen wochenlangen Stromausfall im ganzen Land zu sorgen. Das Ziel: die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Am Montag wurde ein Neonazi, der der »Kaiserreichsgruppe«, wie die umstürzlerische Truppe von den Behörden auch genannt wird, tonnenweise Waffen in Aussicht gestellt hatte, vom Oberlandesgericht in München zu einer 20-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

»Es spielt für den Schuldspruch keine Rolle, ob der Angeklagte das ernst gemeint hat.«

Philipp Stoll Senatsvorsitzender

Der Staatsschutzsenat befand, dass sich Julian V. der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht habe. Der 42-jährige, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat aus Wolfratshausen, hatte den Verschwörer*innen angeboten, zehn Tonnen Waffen und Munition aus einem angeblich vergessenen NATO-Depot im einstigen Jugoslawien zu besorgen. Kostenlos, wie er versprach. Dazu kam es allerdings nie. Genauso wenig wie zu der »konstituierenden Versammlung« in Berlin, bei der 277 Männer von Gnaden der Umstürzler*innen das Ende der Bundesrepublik sozusagen offiziell beschließen sollten und für die auch Julian V. zugesagt hatte.

»Es spielt für den Schuldspruch keine Rolle, ob der Angeklagte das ernst gemeint hat«, sagte Senatsvorsitzender Philipp Stoll. Entscheidend sei, dass er den Putschplänen, so irrwitzig und aussichtslos sie auch gewesen seien, mit seinen Zusagen weiteres Futter gegeben habe. »Wenn man auf diese Weise zündelt, muss man damit rechnen, dass ein Großbrand ausbricht.«

Das Gericht sah in Julian V. zwar mehr als einen Mitläufer. Ideologische Überzeugung aber sprach es ihm ab: Der weitgehend geständige Angeklagte sei weder »Reichsbürger« noch Anhänger von Verschwörungserzählungen. »Er hat eine besondere militaristische Vorliebe und ein Geltungsbedürfnis«, sagte Stoll. Er fabuliere gerne, vor allem unter Alkoholeinfluss, und habe »eine gewisse Distanz« zur Corona-Politik. Das war’s. Auf die tiefbraune Gesinnung, die Julian V. im Internet offen an den Tag legt, ging der Richter bei der Urteilsbegründung mit keinem Wort ein.

Dabei nennt der Angeklagte auf seinem Facebook-Profil, das er noch bis kurz vor seiner Verhaftung im Oktober 2023 pflegte, als »Lieblingszitat« den SS-Wahlspruch »Unsere Ehre heißt Treue«. Er postete Vernichtungsfantasien gegen die Grünen und ein Video, das, unterlegt mit dem Propagandasong einer rechtsextremen Liedermacherin, die nationalsozialistische Wehrmacht verherrlicht. Bei Seiten, die SS-Einheiten oder der NSU-Terroristin Beate Zschäpe gewidmet sind, klickte er auf »Gefällt mir«. Und auch für die faschistische kroatische Ustascha zeigt er Sympathien.

Julian V. ist bereits der dritte verurteilte Mitverschwörer der »Vereinten Patrioten«. Wie er war im Juli in Hamburg auch der Rentner Frank M. mit einer Bewährungsstrafe davongekommen – der 67-Jährige aus Schleswig-Holstein hatte sich unter anderem bereit erklärt, in einem Segelboot über die Ostsee zu schippern, um bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Unterstützung für den Staatsstreich nachzusuchen. Strenger urteilte im August das Oberlandesgericht in Düsseldorf: Es schickte Marc G., einen ehemaligen Bundestagskandidaten der Corona-Leugner*innen-Partei »Die Basis«, für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Der 50-Jährige hatte gestanden, dass er sich an den geplanten Anschlägen auf Stromleitungen beteiligen wollte.

Weitere Prozesse gegen mutmaßlich Beteiligte laufen noch in Frankfurt und Koblenz. Und ebenfalls vor dem Koblenzer Oberlandesgericht wird seit nunmehr bald anderthalb Jahren gegen vier Männer und eine Frau verhandelt, die die Bundesanwaltschaft für den harten Kern der »Vereinten Patrioten« hält. Die Verhandlung gestaltet sich äußerst zäh, erst kürzlich wurden weitere Termine bis zum März 2025 angesetzt. Was die Gerichte andernorts ohne allzu viel Federlesen für bewiesen erachteten, ist hier noch hart umkämpft: dass die Angeklagten tatsächlich eine Vereinigung gebildet haben. Und dass die Ziele, die sie verfolgten, eindeutig terroristisch waren.

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