Martina Hefter: Schwindel-Freiheit

Martina Hefter gewinnt den Deutschen Buchpreis 2024

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Von der Schriftstellerin zur Dichterin und zurück: Martina Hefter
Von der Schriftstellerin zur Dichterin und zurück: Martina Hefter

Vor 20 Jahren hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sich selbst und der preishungrigen Kulturöffentlichkeit ein Geschenk gemacht: Nach Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers und vor dem Start des Branchen-Mega-Events Frankfurter Buchmesse verleiht man alljährlich den Deutschen Buchpreis. Hinter diesem totalen Titel verbirgt sich der beste Roman des Jahres. Das ist zumindest die Meinung einer Jury, die nicht nur aus Kritiker*innen besteht, sondern, es geht ja um die Branche, auch aus Buchhändler*innen. Der Gewinnerroman wird dann auch fast unvermeidlich ein Bestseller. Dotiert ist der Preis mit 25 000 Euro, die Deutsche-Bank-Stiftung ist Partner.

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Dieses Jahr erhält den Preis Martina Hefter für »Hey, guten Morgen, wie geht es dir?«. Ihre Branchenbiografie ist unüblich: Vor mehr als 20 Jahren erschien Hefters Debütroman »Junge Hunde«. Es folgten weitere, allesamt nicht so sehr erfolgreich. Hefter wechselt das Fach. Sie wird Lyrikerin, ihre Gedichte kennen keine Allüren, brechen die Gattungsschranken auf, werden szenisch, denken essayistisch. Zudem ist sie Tänzerin, verdient ihr Geld mit Performances. Seit vielen Jahren lebt die gebürtige Allgäuerin in Leipzig, wo sie auch am Deutschen Literaturinstitut studiert hat. Längere erzählerische Prosa blieb sie 18 Jahre schuldig.

Bis eben diesen Sommer »Hey, guten Morgen, wie geht es dir?« bei Klett-Cotta erscheint, ein Roman mit einem Chat-Fenster-Titel von beinah barocker Länge über das schambehaftete Thema »Love Scamming«. Hinter diesem Fremdwort verbirgt sich ein relativ perfider Internet-Betrug: Täter, oft arme Männer aus dem globalen Süden, erstellen gefälschte Profile auf Online-Plattformen, gaukeln einsamen Frauen die große Liebe vor, vertrösten sie, was Treffen in der echten Welt angeht, wollen irgendwann Geld, damit die Kommunikation nicht abbricht, ein Familienmitglied eine lebenswichtige OP zahlen kann etc.

In Hefters Roman geht es um die Künstlerin Juno, die ihren Mann Jupiter pflegt. Er hat Multiple Sklerose, sitzt im Rollstuhl. Es besteht eine große Nähe zu Hefters Leben: Sie ist mit dem Dichter Jan Kuhlbrodt verheiratet, der an MS erkrankt ist. Nachts gibt sich Juno jedenfalls dem Love-Scamming-Diskurs hin. Sie dreht den Spieß aber um und spielt Spielchen mit den vermeintlichen Betrügern. Das ist ein bisschen Freiheit, in der Sprache, im Erzählen, im Fühlen vielleicht? Dann aber fängt sie an, mit Benu zu chatten, der schnell versteht, dass Juno seine Masche durchschaut, von ihr keine finanzielle Zuwendung zu erwarten ist, aber trotzdem mit ihr in Kontakt bleibt. So verschieben sich die Regeln des Spiels …

Nun kann man sich nach Preisverleihungen immer kategorisch beschweren: Clemens Meyer, Favorit dieses Jahrgangs auf der Shortlist des Preises, hat mit seinem Karl-May-Epos »Die Projektoren« ein Buch geschrieben, das noch welthaltiger ist und mit Sicherheit übersetzt wird. Ronya Othmanns Roman »Vierundsiebzig« ist expliziter politisch, es geht darin um den Genozid an den Jesiden 2014 durch den IS. Maren Kames Buch »Hasenprosa« ist sprachlich experimenteller. Aber so ein Gezanke ist nicht zielführend. Hefters Roman mit dem langen Titel wurde bereits mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds und mit dem Wiesbadener Literaturpreis ausgezeichnet. Er ist zudem noch für den Bayerischen Buchpreis 2024 nominiert.

Aber das muss einen alles nicht interessieren: Hefters Roman ist ein hervorragender Text über die Unwegsamkeit und Kompliziertheit dessen gelungen, was man mittlerweile Sorgearbeit nennt oder »Care Arbeit«. Es geht um Liebe, romantische Bedürfnisse, körperlichen Zerfall, das kleine Chat-Fenster und die große Welt. Und von all dem erzählt sie in einer klaren Sprache ohne Jammer-Männer-Attitüden. Ein Buch, das viele tausend Leser*innen finden soll, weil es der Gemütsbildung dient, wurde dieses Jahr ausgezeichnet. Und mehr kann man von der Branche nicht erwarten.

Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es Dir? Klett-Cotta, 224 S., br., 22 €.

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