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Liv Lisa Fries: »Die ganze Geschichte war für mich extrem«

Liv Lisa Fries über ihre Rolle der Widerstandskämpferin Hilde Coppi in Andreas Dresens Drama »In Liebe, Eure Hilde«

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Könnten auch als alternatives Paar im heutigen Berlin durchgehen: Hans (Johannes Hegemann) und Hilde Coppi (Liv Lisa Fries)
Könnten auch als alternatives Paar im heutigen Berlin durchgehen: Hans (Johannes Hegemann) und Hilde Coppi (Liv Lisa Fries)

Liv Lisa Fries, Andreas Dresens Film, in dem Sie die Hauptrolle spielen, widmet sich dem NS-Widerstandsnetzwerk Rote Kapelle und den Widerstandskämpfern Hilde und Hans Coppi. War Ihnen die Rote Kapelle ein Begriff, bevor Ihnen die Rolle vorgeschlagen wurde?

Überhaupt nicht. Ich habe vielleicht eher unbewusst wahrgenommen, dass es in Berlin eine Coppistraße gibt sowie ein Wohnheim, das nach Hans und Hilde Coppi benannt ist, aber die Rote Kapelle war mir fremd. Beim Lesen des Drehbuchs musste ich an »Breaking the Waves« und »Dancer in the Dark« von Lars von Trier oder auch »Hunger« von Steve McQueen denken. Das sind Filme, die es einem nicht leicht machen und mit tiefen Abgründen konfrontieren. Hilde Coppi ist für mich auch schauspielerisch eine interessante Figur gewesen, weil sie wenig verbalisiert und ein ganz anderer Mensch ist als ich.

Interview

Liv Lisa Fries, 1990 in Berlin-Pankow geboren, nahm als Jugendliche Schauspielunterricht und hatte 2006 ihre erste Hauptrolle in einem Film der ARD-Kriminalreihe »Schimanski«. Einem breiteren Publikum wurde sie durch ihre Rolle der Charlotte Ritter in der Serie »Babylon Berlin« bekannt. In diesem Jahr erschien der sechsteilige Fernsehfilm »Kafka«, in dem sie Milena Jesenská spielt, die mit dem Schriftsteller eine Beziehung führte.

Sie hatten in »In Liebe, Eure Hilde« meist nur wenige Worte zur Verfügung, um auszudrücken, was Sie denken und fühlen, mussten also körperlich an die Rolle rangehen. Können Sie ein Beispiel nennen, wie Sie sich die Rolle erschlossen haben?

Es gibt die Szene, in der Hilde dem Gefängnispfarrer Harald Poelchau (Alexander Scheer) den Abschiedsbrief an die Mutter diktiert. Andreas Dresen hatte mir für die Szene das Bild von einem Tier im Käfig gegeben. »Fiebrig« hat er auch noch gesagt. Ich hatte vorher mehr über Angstzustände nachgedacht und habe diese verschiedenen Emotionen dann zusammenfließen lassen. In der Szene sitze ich Poelchau gegenüber. Eigentlich hätte ich ihm zugerichtet sitzen sollen, aber ich habe mich seitlich hingesetzt – Andreas hat danach zu mir gesagt, dass er gar nicht so genau verstanden hat, was ich da gemacht hätte, aber er hätte mich einfach spielen lassen. Es ging ihm zum Glück nie darum, mich zu korrigieren, sondern mit mir gemeinsam die Rolle zu erarbeiten. Übrigens war es auch eine gute Entscheidung von Andreas Dresen, mit Judith Kaufmann an der Kamera einen weiblichen Blick auf Hilde Coppi zu wählen.

Laila Stieler, die Drehbuchautorin, hat die Figuren durch reduzierte, sehr starke Dialoge charakterisiert. Was bedeutete das für Ihre Arbeit?

Das Drehbuch hatte eine Qualität, wie man sie nicht ständig vorgelegt bekommt. Grundlegend arbeite ich immer noch selbst an den Texten oder an der Figurengestaltung, aber das war in diesem Fall gar nicht nötig. Hilde Coppi wendet sich einmal an Hans Coppi (Johannes Hegemann) und sagt: »Traust du mir keinen eigenen Willen zu?« Und dann geht sie einfach. Sie spricht damit indirekt auch das Publikum an. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich ihr auch manchmal keine eigene Meinung zutraue. Aber es gilt zu verstehen, dass man auch eine klare Haltung haben kann, wenn man nicht so viel sagt.

2013 verkörperten Sie in »Frauen, die Geschichte machen« die Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Hilde Coppi ist leiser und weniger bekannt, ärgert Sie das?

Man kann sich in der Welt über einiges ärgern. Ich freue mich eher, dass Andreas eine so stille Person zur Hauptfigur gemacht hat. Ich dachte lange, man müsste total cool und eloquent sein, um auf einer Bühne und in den sozialen Medien Erfolg zu haben. Das ist ein Trugschluss. Auf einem Konzert einer befreundeten Musikerin, Agnes Obel, im Berliner Admiralspalast hatte ich einmal ein Schlüsselerlebnis. Agnes ist privat schüchtern, und ich hatte erwartet, dass sie auf der Bühne aufdreht, aber sie war so wie immer. Das hat mich sehr berührt. Auch Hilde Coppi ist eine wichtige Vertreterin der stillen Stimmen.

Hans Coppi junior, der Sohn von Hans und Hilde Coppi, hat sich als Historiker mit der Roten Kapelle auseinandergesetzt, über einen Vertreter der Bewegung, Harro Schulze-Boysen, sogar promoviert. Sie haben ihn getroffen. Wie war das für Sie?

Das Treffen mit Hans Coppi junior hat mich sehr bewegt. Ich finde es beeindruckend, wie er sich Zeit seines Lebens für das Erbe seiner Eltern eingesetzt hat und einsetzt. Natürlich hat er auch darunter gelitten, dass er Vollwaise war. Für mich waren die Gespräche mit Hans Coppi junior ein bisschen ein Science-Fiction-Film – ich habe ja sozusagen in der Rolle der jungen Mutter meinen Sohn kennengelernt, der älter ist als ich, das Pferd also quasi von hinten aufgezäumt.

Der Film fühlt sich durch die Zeitsprünge trotz der harten Thematik sommerlich-leicht an. Sie haben aber chronologisch gedreht, sind also am Ende auf hartem Boden gelandet …

Ja, so war es. Andreas Dresen meinte im Nachhinein, dass es ein Fehler war, chronologisch vorzugehen, weil wir am Ende nur harte Szenen gedreht haben: Das Gnadengesuch wurde abgelehnt, das Kind weggeben, Abschiedsbrief an die Mutter, Hinrichtung. Das ist einfach ziemlich heftig. Ich habe das auch in mir zuvor nicht bekanntem Ausmaß physisch durchlebt. Das ging auch dem Filmteam so. Ich kannte einige Leute schon aus anderen Projekten, sie machen den Beruf seit vielen Jahren – und haben trotzdem am Set geweint. Es gibt viele Filme über die Nazizeit, in denen es nur darum geht, wie böse die Nazis waren. »In Liebe, Eure Hilde« hingegen abstrahiert nicht, sondern beschäftigt sich damit, was Widerstand konkret bedeutete. Zum Beispiel eben auch zahlreiche Hinrichtungen. Nur ein Funkspruch von Hilde und Hans Coppi und ihren Freunden in die Sowjetunion kam an. Er lautete: »Tausend Grüße an die Freunde«.

Haben Sie versucht, die ganze Zeit bei der Figur der Hilde Coppi zu bleiben?

Das wäre nicht zu ertragen gewesen, auch, weil es eine reale Person war. Deshalb habe ich auch nicht das Gefängnis besucht, in dem Hilde Coppi hingerichtet wurde. Andreas Dresen hat auch nicht am Originalschauplatz gedreht, sondern den Ort nachgebaut. Es gibt einfach Grenzen. Ich wusste, dass ich meine eigenen bei den Dreharbeiten sowieso überschreiten werde. Daher war es wichtig, zu wissen, wie ich mich abgrenze und aus der Figur wieder herauskomme. Es hat mir geholfen, die Filmkleidung bewusst auszuziehen und wegzulegen und meine eigene Kleidung anzuziehen. Ich war im See schwimmen, bin durch den Park gerannt und habe ein bisschen Yoga gemacht. Auch schütteln und bewusst atmen haben geholfen, die Rolle buchstäblich abzuschütteln.

Hilde Coppi starb mit 34, Sie sind 33. Hat das ähnliche Alter dafür gesorgt, dass Sie sich mit der Rolle gut identifizieren konnten?

Das war ein Aspekt von vielen. Die ganze Geschichte war für mich extrem. So etwas kann ich auch nicht immer drehen. Vor zehn Jahren habe ich »Und morgen Mittag bin ich tot« gemacht, einen Film über Sterbehilfe, danach habe ich Projekte dieser existenziellen Art abgesagt. Ich finde es wichtig, auch leichte Filme zu sehen und zu produzieren, aber natürlich sollten wir uns in unserer privilegierten Gesellschaft nicht nur mit den schönen Dingen auseinandersetzen. Explizit in Deutschland müssen wir die historischen Traumata weiterhin aufarbeiten. Aktuell verbreiten sich gewisse politische Ideen, Haltungen und Parteien, die unsere Grundwerte bedrohen, immer weiter. Ein Film wie »In Liebe, Eure Hilde« kann dazu beitragen, dass man sich mit solchen Gefahren stärker konfrontiert.

»In Liebe, Eure Hilde«, Deutschland 2024. Regie: Andreas Dresen, Buch: Laila Stieler. Mit: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer. 125 Min. Ab 17. 10. im Kino.

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