Wohnkosten: Lücke im System

Die Schere zwischen Sozialhilfe, Gehältern und Wohnkosten klappt weiter auf

Eine Einrichtung für wohnungslose Menschen in Leipzig. Die »Wohnkostenlücke« führt dazu, dass immer mehr Menschen unter dem sozioökonomischen Existenzminimum leben.
Eine Einrichtung für wohnungslose Menschen in Leipzig. Die »Wohnkostenlücke« führt dazu, dass immer mehr Menschen unter dem sozioökonomischen Existenzminimum leben.

Eine junge Familie in Bonn sucht nach einer neuen Bleibe. Die Wohnung, in die der Vollzeit erwerbstätige Handwerker vor neun Jahren eingezogen ist, wird mit 45 Quadratmetern zu klein, seine Partnerin und er erwarten ein Kind. Die Familie sucht schon lange, dann melden die Eigentümer aus Rheinland-Pfalz auch noch Eigenbedarf an und kündigen den Mietvertrag. Sie brauchen die Wohnung für ihren Sohn. Er macht in Köln eine Ausbildung und findet dort ebenso keine Wohnung. Die Familie meldet sich bei der Wohnungslosenhilfe, weil sie Angst davor hat, obdachlos zu werden.

»Die Gruppe der von Wohnungslosigkeit Betroffenen und Bedrohten ist inzwischen sehr heterogen«, stellt Sabine Bösing, Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe, fest. Die Kleinfamilie in Bonn ist ein Beispiel aus der Praxis. Gemeinsam mit Verbänden der Mieterhilfe, der Nationalen Armutskonferenz und dem Bündnis »AufRecht bestehen« fordert die BAG Wohnungslosenhilfe am Donnerstag die »Bekämpfung der Armut statt Stigmatisierung«.

Sogenanntes »Armen-Bashing«, der Umgang mit Armen, als sei ihre Situation selbstverschuldet, sei inzwischen alltäglich in Politik und Medien, sagt Michael David von der Nationalen Armutskonferenz. Das zeige sich zum Beispiel in der Debatte um schärfere Sanktionen im Bürgergeld. Dabei scheine vielen nicht klar zu sein, wie schwierig die Situation als Sozialhilfeempfänger*in bereits sei, ergänzt Helga Röller von »AufRecht bestehen«.

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Wie aus der Beantwortung einer kleinen Anfrage der Gruppe der Linken im Bundestag hervorgeht, mussten 2023 320 000 Bedarfsgemeinschaften in der Grundsicherung, 12,2 Prozent der Bezieher*innen, durchschnittlich 103 Euro aus dem Regelsatz zu den Wohnkosten zuzahlen. Bedarfsgemeinschaften sind in der Sozialhilfe Menschen, die zusammenleben und wirtschaften.

Das bedeutet, die Haushalte müssen einen Teil ihres Regelsatzes für die Unterkunft nutzen, der dann in anderen Lebensbereichen fehlt. Sie haben dann zum Beispiel weniger Geld für die Ernährung, Kleidung »oder den Mitgliedsbeitrag eines Mietervereins«, wie Röller erwähnt. Das führt dazu, dass Personen unter dem sozioökonomischen Existenzminimum leben. Das Phänomen nennt sich »Wohnkostenlücke«.

»Wohnungslosigkeit ist die extremste Form der Armut«, sagt Bösing. Inzwischen seien aber auch Personen mit mittleren Einkommen von den Wohnkosten überlastet, aktuell jeder dritte Haushalt. Das bedeutet, die Haushalte zahlen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete.

»Auch der Anteil der Familien in der ordnungsrechtlichen Unterbringung erhöht sich in den letzten Jahren immer mehr. Das ist besorgniserregend«.

Sabine Bösing BAG Wohnungslosenhilfe

»Auch der Anteil der Familien in der ordnungsrechtlichen Unterbringung erhöht sich in den letzten Jahren immer mehr. Das ist besorgniserregend«, ergänzt Bösing. Die ordnungsrechtliche Unterbringung ist für Personen gedacht, die unfreiwillig obdachlos werden. Kommunen sind verpflichtet, sie vorübergehend unterzubringen. Diese Unterkünfte kritisierten Sozialverbände in der Vergangenheit als menschenunwürdig.

»Verhinderung von Wohnungsverlust sollte zum Präventionsauftrag der Jobcenter werden«, fordert Bösing deswegen. Neuregelungen des Bürgergelds wie die Kürzung der Bezüge um 30 Prozent könnten das Gegenteil, nämlich eine Verschuldungsspirale, bewirken. Denn der häufigste Grund für Wohnungslosigkeit sind Miet- und Energieschulden.

Künftig sollten Jobcenter also Sanktionen auch im Hinblick auf Wohnungsverlust prüfen, so Bösing weiter. Die bewilligten Unterkunftskosten müssen sich am Mietspiegel orientieren. In Kommunen, in denen kein Mietspiegel vorliegt, sollten die Unterkunftskosten an Vergleichsmieten angepasst werden.

Eva-Maria Winkelmann vom Deutschen Mieterbund Hessen fordert darüber hinaus, die Schonfristregelung bei fristlosen Kündigungen auch auf ordentliche Kündigungen zu übertragen. Laut Schonfristregelung können Mieter*innen, die ihre Mietschulden innerhalb einer Frist von zwei Monaten bezahlen, nicht wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden. »Dies wäre ein erster einfacher Schritt, um den Verlust der Wohnung und damit drohende Obdachlosigkeit zu verhindern«, so Winkelmann.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, fährt sie fort, wäre eine Verschärfung der Mietpreisbremse, deren Verlängerung Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) diesen Mittwoch auf den Weg brachte. Laut 2015 eingeführter Mietpreisbremse darf ein neuer Mietvertrag nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Buschmanns Referentenentwurf zufolge soll die Regelung bis Ende 2028 verlängert werden. Im Koalitionsvertrag war ursprünglich eine Verlängerung bis 2029 vorgesehen.

Bisher hapert es aber in der Umsetzung, auch weil die Mietpreisbremse selten geprüft wird. Damit die Maßnahme funktioniere, müsse sie stärker greifen, so Winkelmann. »Weniger Ausnahmen und zum Beispiel eine kommunale Überpüfungsmöglichkeit wären Optionen«. So sehe ein Vorschlag des Mietervereins vor, dass eine Wohnung bei Neuvermietung künftig an die Kommune gemeldet werden solle. Das Amt könne dann »unabhängig prüfen«, ob die Mietpreisbremse eingehalten werde. Aktuell würden Personen aber aufgrund der Wohnungsknappheit auch häufig wissentlich in Wohnungen ziehen, die weit über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

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