- Politik
- Parteitag in Halle
Neue Führung der Linkspartei plus Aktion Silberlocke
Ines Schwerdtner und Jan van Aken als Parteivorsitzende gewählt. Linke peilt 2025 Wiedereinzug in den Bundestag an. Ramelow erwägt Kandidatur
Manchmal werden, wenn es gerade schwierig ist, die Altvorderen bemüht. »Trotz alledem!«, rief Sören Pellmann, der Chef der linken Bundestagsgruppe, in den Parteitagssaal, »die Linke war stark, sie ist da und wird weiter eine politische Kraft sein. Trotz alledem!« Trotz alledem, das ist eine Losung des Revolutionsdichters Ferdinand Freiligrath und die Überschrift des letzten Artikels von Karl Liebknecht, erschienen am Tag seiner Ermordung im Januar 1919.
Trotz alledem, das meint bei Pellmann den rechten Zeitgeist, die linke Schwäche, das Leiden unter der Wagenknecht-Abspaltung – die ganze linke Misere eben, in der diese Partei feststeckt und aus der sie beim Parteitag in Halle einen Aufbruch versucht hat. Die Mutmaßungen darüber, ob Die Linke sich noch mitten in der Talsohle aufhält oder schon fast durch ist, fallen unterschiedlich aus.
Einer, der zur optimistischen Variante neigt, ist seit Sonnabend Parteivorsitzender. »Mein Name ist Jan van Aken und ich finde, es sollte keine Milliardäre geben« – so begann er seine Bewerbungsrede und hatte den Saal sofort auf seiner Seite. Wer Milliarden besitze, habe dieses Geld »uns allen weggenommen, und wir müssen uns das wiederholen«, sagte er. Er wolle eine Linke, »die sich mit den unanständig Reichen anlegt und die wieder Hoffnung macht«. Van Akens kurze Rede war so etwas wie »das deutliche Signal einer starken Leidenschaft und Willenskraft«, das sich etwas später Gregor Gysi von diesem Parteitag wünschte.
Van Aken wurde mit 88 Prozent der Delegiertenstimmen zum Vorsitzenden gewählt; Ines Schwerdtner, die gemeinsam mit van Aken Die Linke führen wird, bekam fast 80 Prozent. Die Publizistin sagte, sie sei im Sommer 2023 als Sozialistin in eine sozialistische Partei eingetreten, weil diese gebraucht werde, sagte sie. Sehr viele Menschen hätten eine Sehnsucht nach einer solidarischen Kraft, »und die heißt Die Linke«. Die Krise der Partei lastet Schwerdtner maßgeblich jenen an, »die ausgetreten sind und die Angst bewirtschaften«.
Wer gemeint war, verstand jeder im Saal. Wobei man feststellen kann, dass die Auseinandersetzung mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht immer noch von ziemlichem Frust geprägt ist, wegen der Trennung inklusive folgender Verwerfungen und wegen der politischen Entwicklung des BSW. Er habe »eigentlich keine Lust mehr, noch ein Wort über diese Leute zu verlieren«, sagte der bisherige Parteivorsitzende Martin Schirdewan, sagte dann aber doch, dass die Trennung früher hätte kommen müssen und »die Auseinandersetzung unsere Politikfähigkeit blockiert« habe. Schirdewans Partnerin im Amt, Janine Wissler, erklärte, sie habe versucht, als Vorsitzende die Partei zusammenzuhalten, aber wenn sie die BSW-Leute heute reden hört, müsse sie sagen: »Die Abspaltung war nicht zu verhindern.«
Der Chef der Bundestagsgruppe Sören Pellmann bedauert den Weggang einiger, »aber nicht aller«. Auch Janis Ehling, der nach einem erfolglosen Anlauf vor zwei Jahren diesmal zum Bundesgeschäftsführer gewählt wurde, ist froh, »das Frau Wagenknecht nicht mehr in unserer Partei ist«. Er kritisierte aber auch das bisherige Krisenmanagement: »Man kann in eine Krise geraten, aber dann muss man sich zusammensetzen und über Schlussfolgerungen reden. Das haben wir zu wenig gemacht.«
Sebastian Walter, der als Spitzenkandidat in Brandenburg gerade erst die maximal denkbare Wahlpleite erlebte, sprach sogar – auch selbstkritisch – von einer Überheblichkeit der Linken. Die Linke müsse in ihrer schwierigen Lage anfangen, zunächst mehr Fragen zu stellen, als Antworten zu geben, meinte er. Zum Beispiel: »Wir könnten über BSW, Rechtsruck und Medien reden – aber die wichtigste Frage lautet: Warum können wir nicht die entscheidende Alternative sein? Warum fühlen sich Leute, die abgehängt sind oder Angst vor dem Rechtsruck haben, sich nicht bei uns zu Hause? Warum trauen uns die Menschen nicht zu, für bessere Sozialpolitik zu sorgen?« Andere Delegierte haben indessen zumindest erste Antworten: Die Linke könne sich Vielstimmigkeit etwa bei Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mehr leisten, sagte ein junger Mann; die Krise sei selbstverschuldet, denn Die Linke sei auf Anpassungskurs, zu sehr auf Wahlen, Parlamente und Regierungsbeteiligungen fixiert, meinte eine Delegierte.
Der weitgehend neu zusammengesetzte Vorstand muss nun die Partei wieder in Schwung bringen, erneuern und schleunigst den Bundestagswahlkampf vorzubereiten. Dabei wird er sich eine Autorität erarbeiten müssen, die dem bisherigen Vorstand zuletzt fehlte, auch infolge der Auseinandersetzungen um Wagenknecht. Jan van Aken machte da in Halle schon mal eine Ansage: Er sei nicht nur »der nette Jan von nebenan, nicht nur die Friedenstaube mit dem Kapuzenpulli, sondern auch ein Vorsitzender, der mal sagt: Jetzt ist Schluss mit Zoff!« Zur engeren Parteispitze gehören künftig auch Sebastian Koch als Bundesschatzmeister sowie Luise Neuhaus-Wartenberg, Sabine Ritter, Ates Gürpinar und Maximilian Schirmer als stellvertretende Vorsitzende.
Mehrere Redner erklärten nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr, Die Linke habe nicht das Recht aufzugeben. Der frühere Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi warnte davor, dass linke Argumente völlig aus der medialen Debatte verschwinden würden, wäre Die Linke nicht mehr im Bundestag vertreten. Das dürfe auch im Interesse der gesamten Gesellschaft nicht geschehen.
Gysi, der seit Jahr und Tag Direktmandate für den Bundestag holt, machte noch ein spezielles Angebot: Im Herbst würden sich drei ältere Herren – Dietmar Bartsch, Bodo Ramelow und er selbst – treffen und diskutieren, ob es mit der Linken nach dem Parteitag von Halle wieder aufwärts geht. Falle die Antwort positiv aus, dann würden die Drei sich mit vollem Einsatz in den Wahlkampf werfen, um fünf Prozent und um den Sieg in ihren Wahlkreisen kämpfen. Gysi hat für die Seniorenkampagne auch schon einen Namen: Aktion Silberlocke.
In den Bundestagswahlkampf soll Die Linke mit ein oder zwei Kernforderungen gehen. Das hatten die nunmehr gewählten Vorsitzenden schon vor dem Parteitag angekündigt. Worum es dabei gehen könnte, das deutet sich im Leitantrag »Gegen den Strom« an. Darin wird zum einen bei der Suche nach Gründen für die Parteikrise Selbstkritik geübt: »Wir waren nicht gut genug dabei, Skepsis und Verunsicherung genauso anzunehmen wie Ungeduld und Empörung.« Der Linken sei es nicht gelungen, die Verteilungsfrage auf die öffentliche Agenda zu setzen und den Unmut über die Ampel-Politik von links zu besetzen; ebenso habe sie »keine ausreichend wirksamen Strategien gegen den Rechtsruck gefunden«. Zum anderen deuten sich als mögliche zentrale Wahlkampfthemen bezahlbare Mieten und Mietendeckel, eine solidarische Gesundheits- und Pflegevollversicherung, höhere Renten und der Einsatz für Frieden an.
Ines Schwerdtner sagte dazu, Die Linke wolle die Partei der Mieterinnen und Mieter werden und sei »die Verteidigerin des Sozialstaats«. Die Partei soll »im Alltag wieder den Unterschied machen« und den Menschen, »die von der Politik nichts mehr erwarten, ein ehrliches Angebot machen«.
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