Konfrontation oder Kuschelkurs?

Die Grüne Jugend kritisiert weiterhin die eigene Partei. Ob die Widerworte Wirkung erzielen, wird sich zeigen müssen

  • Yaro Allisat, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.
Jakob Blasel und Jette Nietzard, beide neugewählte Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, beim Bundeskongress der Jugendorganisation
Jakob Blasel und Jette Nietzard, beide neugewählte Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, beim Bundeskongress der Jugendorganisation

Der erste Knall war der Austritt des gesamten Bundesvorstands der Grünen Jugend aus der eigenen Partei vor drei Wochen. Der zweite: Am Freitagabend entlastete der Bundeskongress der Jugendorganisation den nun ehemaligen Vorstand nicht. Jetzt soll Waffenruhe einkehren, so zumindest die Stimmung auf dem Kongress in Leipzig. Denn so weit sei man inhaltlich nicht voneinander entfernt, wie mehrere Redner*innen betonen.

Der Leitantrag, der die inhaltliche Ausrichtung der Parteijugend für das kommende Jahr bestimmt und das Statement der »Zeit für was Neues«-Kampagne der ausgetretenen Bundesvorständ*innen lesen sich tatsächlich ähnlich: Auch der Leitantrag drückt eine Anti-Haltung zur aktuellen Politik der eigenen Partei aus, insbesondere zur Asylpolitik. Er setzt einen Fokus auf soziale Gerechtigkeit und Umverteilung und ist im Selbstbild ein linker Motor in Politik und Gesellschaft. Vertreten werden soll das Programm durch ein neues Führungsduo: Jette Nietzard – sie unterstützte die Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen – und Jakob Blasel, der Fridays for Future in Deutschland mitgegründet hatte. Die Frage stellt sich aber: Wird der erneuerte Jugendverband bei der Partei vor die gleiche Wand laufen, wie der ehemalige Vorstand?

»Wir wollen die Gesprächsebene mit der Partei ausbauen«, erklärte Jakob Blasel bei einer Pressekonferenz. »Das heißt nicht, dass wir weniger kritisch sein wollen, aber wir wollen mehr miteinander und weniger übereinander reden.«

Die Frage, ob die Oppositionsrhetorik zur eigenen Partei sich nicht als zahnloser Tiger herausstellen wird, steht unausgesprochen im Raum. Die Stimmung auf dem Kongress dazu ist geteilt. Die einen sprechen in der Mittagspause darüber, ob man nicht das Anhängsel einer sich immer weiter nach rechts verschiebenden Partei werde, die nach den Wahlen im kommenden Jahr eine schwarz-grüne Regierung auf Bundesebene forciere. Die anderen sehen einen Neustart in der strategischen Ausrichtung. Man habe sich in den letzten Jahren zu viel um sich selbst gekümmert, äußern mehrere Teilnehmende des Kongresses gegenüber dem »nd«. Durch eine Neuorientierung könne man aber als linkes Korrektiv für die Partei wirken, hoffen sie.

Max Lucks, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Grünen Jugend, relativierte jedoch die Parteientscheidungen. Man hätte dem sogenannten Sicherheitspaket zustimmen müssen, sonst wäre »alles noch schlimmer« gekommen, erklärte er am Samstag. Er forderte Abschiebeverbote für »vulnerable Gruppen« und Geflüchtete, die zur Schule gehen, eine Ausbildung oder Arbeit haben. Die Redner*innen vor ihm hatten das Gesetzespaket und die Instrumentalisierung Schutzsuchender als Arbeiter im Niedriglohnsektor noch kritisiert. Lucks erntete höflichen Applaus.

In fast jedem Redebeitrag wurde vor allem das Verhältnis zur Partei besprochen. Inhaltliche Tiefe fand sich wenig, Außenpolitik spielte gar keine Rolle, denn dafür reichte die Zeit nicht. Der Austritt des Vorstands ist ein Kraftakt: Neuwahlen prägten den Kongress.

Nach so viel Kritik an der eigenen Partei stand die Stimmung eher auf Sturm, als die Ex-Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und der Vorstandskandidat Felix Banazsak gemeinsam mit Blasel und Nietzard auf der Bühne standen. Doch das Gespräch war in keiner Weise konfrontativ, sondern ein nettes Beisammensitzen mit halb scherzhafter Frage, warum alle im Publikum bei der Ankündigung der alten und möglicherweise neuen Parteispitzen denn so böse geschaut hätten. Lang und Banaszak bekamen viel Raum für die Rechtfertigung ihrer Politik. Applaudiert wurde den Bundespolitiker*innen fleißig fast nach jedem fünften Satz.

Das Verhältnis von Partei und Jugend wurde bereits im vergangenen Jahr schwieriger: Beim Bundesparteitag der Grünen im November 2023 hatte der nun ausgetretene Vorstand der Grünen Jugend hitzig die immer konservativere und rechte Richtungsnahme der Partei beim Thema Asylpolitik angeprangert. Aufhänger war ein Beitrag von Ricarda Lang und Winfried Kretschmann gewesen, die eine Begrenzung der Aufnahmekapazitäten forderten – damals noch ein Novum für die Partei. Wirtschaftsminister Habeck hielt noch gegen die Grüne Jugend, man müsse eben Kompromisse mit den Koalitionspartnern machen.

Die Jugend sitzt nicht am längeren Hebel und die Partei ist im letzten Jahr weiterhin nach rechts gerückt: Sie trägt Grenzkontrollen mit, die Asylrechtsreform der EU, die Einführung der Bezahlkarte, das Abschiebegesetz, Waffenlieferungen an die Ukraine, zahlreiche Kürzungen im Sozialbereich und zuletzt das sogenannte Sicherheitspaket.

Für die ehemaligen Vorständ*innen war eine Perspektive mit der Grünen-Partei schließlich gestorben. Sie traten aus der Partei aus, denn sie gingen »nicht davon aus, dass eine personelle Neuaufstellung zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung der Partei in unserem Sinne führen wird«, hieß es im offenen Brief vor drei Wochen. Eine klassenpolitische Ausrichtung, ein sich-Anlegen mit den Reichen und Mächtigen repräsentierten die Grünen nicht mehr, so die Gruppe um die Vorständinnen Katharina Stolla und Svenja Appuhn. Mit ihnen waren auch einige Dutzend Mitglieder der Grünen Jugend ausgetreten.

Wohin die Grüne Jugend also geht, wird von vielen Aspekten abhängen: Wie lange es dauert, bis noch mehr Enttäuschung über den unvermeidlichen Rechtsruck der Partei entsteht. Ob es einen Kuschelkurs geben wird. Wie stark Jugendgruppen der Linken in die Grüne Jugend intervenieren werden. Oder wie überzeugend sich die Gruppe um die Ausgetretenen sich präsentieren wird.

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