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Moldau steuert auf Brüssel zu

Hauchdünne Mehrheit beim Referendum zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union

  • Ulf Mauder
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Frau gibt ihre Stimmen für die Präsidentschaftswahlen und das Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union in einem Wahllokal im Dorf Bulboaca in Moldau ab.
Eine Frau gibt ihre Stimmen für die Präsidentschaftswahlen und das Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union in einem Wahllokal im Dorf Bulboaca in Moldau ab.

Chisinau. In der Ex-Sowjetrepublik Moldau hat die Bevölkerung bei einem Referendum mit hauchdünner Mehrheit für die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung gestimmt. Nach Auszählung fast aller Wahlzettel (99,7 Prozent) stimmten laut Wahlkommission 50,46 Prozent der Wähler für die Verfassungsänderung, mit der ein proeuropäischer Kurs unabänderlich als strategisches Ziel festgeschrieben werden soll.

Laut moldauischen Medien stimmten die Menschen in der Mehrheit der Regionen im Land gegen die Verfassungsänderung. Den Ausschlag in die andere Richtung gaben die Hunderttausenden Moldauer, die im Ausland leben – vor allem in der EU. Die prowestliche Staatschefin Maia Sandu dankte der Diaspora, die die Abstimmung gerettet habe.

Moldau hat 2,5 Millionen Einwohner, ist zwischen dem Westen und Russland traditionell hin- und hergerissen. Das verarmte Agrarland, gelegen zwischen EU- und Nato-Mitglied Rumänien und der von Russland angegriffenen Ukraine, ist ein EU-Beitrittskandidat. Die 52 Jahre alte Sandu hatte mit einem deutlich besseren Ergebnis gerechnet.

Stichwahl fürs Präsidentenamt

Das Referendum ist zwar gültig, muss aber durch das Verfassungsgericht bestätigt werden. Die Richter könnten es etwa wegen Unregelmäßigkeiten noch kippen. Wenn sie es bestätigen, wird die Verfassung geändert.

Sandu kam bei der zeitgleich abgehaltenen Präsidentenwahl unter den insgesamt elf Kandidaten zwar als erste durch Ziel, verfehlte aber die absolute Mehrheit und muss deshalb in zwei Wochen in eine Stichwahl. Sandu bat um die Stimmen jener Wähler, die für einen der vier anderen proeuropäischen Kandidaten gestimmt hätten.

Die Beteiligung an der Abstimmung über das Präsidentenamt lag nach Angaben der Wahlkommission bei 51,68 Prozent. Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Wahlzettel kam Sandu auf rund 42,3 Prozent der Stimmen. Bei der zweiten Runde am 3. November wird der frühere Generalstaatsanwalt Alexandru Stoianoglo ihr Gegner sein. Er erhielt 26 Prozent der Stimmen und trat für die traditionell starke Sozialistische Partei des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon an.

Angebliche prorussische Einflussnahme

Es gebe Beweise, dass 300 000 Stimmen gekauft worden seien, sagte Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau. Dutzende Millionen Euro seien von kriminellen Gruppen zusammen mit ausländischen Mächten ausgegeben worden, um Lügen und Propaganda zu verbreiten. »Wir haben es mit einem beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun«, sagte Sandu.

Details nannte die Staatschefin nicht. Allerdings hatten moldauische Sicherheitskräfte schon vor der Abstimmung Wählerbestechung und prorussische Desinformation aufgedeckt. Die Bundesregierung in Berlin verurteilte anhaltende Manipulations- und Einflussversuche. Russland fordere Beweise für die von Sandu erhobenen schweren Anschuldigungen, sagte hingegen Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Als einflussreicher Akteur in der moldauischen Politik gilt neben Russland der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Shor. Er wurde in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt und ist zur Fahndung ausgeschrieben. Russischen Staatsmedien zufolge warf Shor seiner Rivalin Sandu vor, bei der Wahl gescheitert zu sein – Moldau brauche die EU nicht.

Russland wirft der Europäischen Union vor, mit Versprechen in Milliardenhöhe Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Chisinau und einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8 Milliarden Euro an Fördergeld in Aussicht gestellt.

Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die Präsidentenwahl und das EU-Referendum miteinander verknüpfte. Mehrere Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager boykottierten das Referendum und sprachen von einem rechtswidrigen Prozess. »Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollten erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle Bedingungen klar sind«, sagte Ex-Präsident Dodon. Erst dann sei ein Referendum möglich.

Kritik an Referendum und Sandu

Das Bewerberfeld bei der Präsidentenwahl dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind. Sie sehen seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte – etwa im immer wieder proklamierten Kampf gegen Korruption. Weil sie einen Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die Energiepreise, was viele Verbraucher ärgert.

Um Reformen umzusetzen, braucht Sandu eine Parlamentsmehrheit. Die hat sie, doch 2025 stehen Wahlen an, dann könnte der Machtkampf seinen Höhepunkt erreichen. »Für eine starke, politikgestaltende Rolle als Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig«, sagte Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der Deutschen Presse-Agentur. Sie erwartet nicht, dass Russlands Einflussversuche in Moldau nachlassen werden. dpa/nd

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