US-Wahl ohne linke Gesundheitspolitik

Bei einem Sieg der Republikaner droht Deregulierung – Demokraten wollen nur kleine Verbesserungen

  • Julian Alexander Hitschler
  • Lesedauer: 4 Min.
Hat keine Agenda für eine linke Gesundheitspolitik, aber Pläne für ein geringeres Übel: Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris
Hat keine Agenda für eine linke Gesundheitspolitik, aber Pläne für ein geringeres Übel: Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris

Langsame Erholungskur statt akuter Intervention – so könnte man den Ansatz der US-Demokraten in der Gesundheitspolitik unter Präsident Joe Biden beschreiben. Eine Herangehensweise, die sich auch seine Vizepräsidentin Kamala Harris für ihren Wahlkampf zu eigen gemacht hat. Damit sollen möglichst wenige Wählerinnen durch allzu »radikale« Vorschläge verschreckt werden. Gleichzeitig – und dieser Grund wiegt mindestens ebenso schwer – bekommt die Partei auch viele Großspenden aus dem Gesundheitssektor, der mehr als 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Trotzdem haben Biden und Harris während ihrer Amtszeit kleine, aber signifikante Verbesserungen erzielt. Am wichtigsten ist wohl eine Neuregelung im Pharmasektor, die es Medicare, dem öffentlichen Versicherungssystem für Seniorinnen und Senioren, erlaubt, die Preise für zahlreiche Medikamente direkt mit den Herstellern zu verhandeln, statt Marktpreise einfach akzeptieren zu müssen. Die Reform wurde als Teil des Klima- und Investitionspakets »Inflation Reduction Act« beschlossen und gilt als größte gesundheitspolitische Errungenschaft der Biden-Regierung.

Harris erklärte vor Kurzem im Wahlkampf, wo sie den größten weiteren Handlungsbedarf im Gesundheitsbereich sieht: bei der häuslichen Pflege. Deren Kosten sollen künftig deutlich großzügiger übernommen werden als bisher. Harris will hierfür die Gelder verwenden, die durch die Neuregelung der Medikamentenbeschaffung frei werden. So soll vor allem die »Sandwich-Generation« entlastet werden, deren Eltern langsam pflegebedürftig werden, deren Kinder aber noch nicht vollständig im Berufsleben stehen.

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Weit weniger konkret sind die offiziellen Vorschläge ihres Kontrahenten, Ex-Präsident Donald Trump. Im TV-Duell mit Harris äußerte er sich nur kryptisch und sagte, er habe »Konzepte eines Plans« für eine Gesundheitsreform – ein offensichtlicher Versuch, sich um das Thema zu drücken, das nicht nur für Trump, sondern für die gesamte Republikanische Partei eine politische Hypothek darstellt. Über Jahre hat sich die Partei darauf konzentriert, Barack Obamas große Gesundheitsreform schlechtzumachen, ohne eigene konkrete Vorschläge zu unterbreiten – wohl wissend, dass ihre eigene marktradikale Herangehensweise mehr als unbeliebt ist. Damit manövrierten sich die Republikaner in eine Position, in der sie den Wählerinnen und Wählern etwas wegnehmen wollen, ohne eine greifbare Alternative parat zu haben.

Etwas klarer wurde auf Nachfrage erst Trumps Vizepräsidentschaftskandidat James David Vance, Senator aus Ohio. In einem Interview mit dem Fernsehsender NBC erklärte Vance, Ziel einer zweiten Trump-Regierung werde die Deregulierung des Krankenversicherungsmarktes sein. Auf diese Weise solle den »individuellen Bedürfnissen« verschiedener Bevölkerungsgruppen besser Rechnung getragen werden.

Zur Wahl stehen ein radikaler Kahlschlag oder vorsichtige Trippelschritte hin zu mehr Sozialstaat.

Vance stellt damit eine der wichtigsten Errungenschaften von Obamas Reform infrage: Die Regelung, dass Versicherungen potenzielle Kundinnen und Kunden nicht aufgrund von Vorerkrankungen ablehnen dürfen, eröffnete Millionen von gesundheitlich vorbelasteten oder chronisch kranken Menschen den Weg zurück in den Versicherungsschutz. Dass die Republikaner sich bei ihren Plänen nur sehr verklausuliert ausdrücken, zeigt, wie politisch explosiv ein solches Unterfangen der Konservativen wäre.

Das soll nicht heißen, dass mit Bidens Reformen und den Vorschlägen von Harris alle Probleme im US-Gesundheitswesen gelöst wären. Die Verbesserungen betreffen fast ausschließlich die Versicherungssysteme für Seniorinnen und Senioren (Medicare) und Geringverdiener (Medicaid). Doch eine große Bevölkerungsgruppe, die zu jung für Medicare ist oder für Medicaid marginal zu gut verdient, kommt nicht in deren Genuss. Sofern der Arbeitgeber den Versicherungsschutz nicht übernimmt, muss dieser auf dem teuren Privatmarkt eingekauft werden. Kleinselbstständige oder Teilzeitbeschäftigte etwa stehen oft vor horrenden Kosten.

Von einem ambitionierten Reformprojekt, das hier Abhilfe schaffen könnte, hat sich Harris allerdings verabschiedet: Im Vorwahlkampf von 2020 hatte sie ihre Unterstützung für eine allgemeine gesetzliche Krankenversicherung bekundet. Auch, um neben linken Kandidierenden wie den Senatsmitgliedern Bernie Sanders und Elizabeth Warren mithalten zu können. Denn die Idee, das Gesundheitssystem der USA auf eine grundsätzlich solidarische Basis zu stellen, fand damals enormen Anklang, und das nicht nur bei der progressiven Kernwählerschaft der Demokraten.

Allein vier Jahre später will Harris von »Medicare for All« nichts mehr wissen: Als eine der ersten öffentlichen Verlautbarungen distanzierte sie sich nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur von diesem Projekt. Sie setzt auf die Mitte und möchte moderate Republikaner nicht verschrecken, die von Donald Trump angewidert sind. Zur Wahl stehen in den USA am 5. November also ein ziemlich radikaler Kahlschlag für die Gesundheitsversorgung der arbeitenden Mitte aufseiten der Republikaner oder vorsichtige Trippelschritte hin zu mehr Sozialstaat bei den Demokraten. Ein grundsätzlicher Wandel dürfte in der US-Gesundheitspolitik hingegen auf sich warten lassen.

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