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Hennigsdorf: Die Schweitzer Garde

60 bewegte Jahre Albert-Schweitzer-Schule in Hennigsdorf – was anders wurde und was blieb

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Ist erhalten geblieben: Albert-Schweitzer-Büste in der Albert-Schweitzer-Schule
Ist erhalten geblieben: Albert-Schweitzer-Büste in der Albert-Schweitzer-Schule

»Weil ich auf die Kraft der Wahrheit und des Geistes vertraue, glaube ich an die Zukunft der Menschheit.« Wenn ein neu eingeschultes Kind täglich an diesem Satz von Albert Schweitzer vorbeiläuft, ist ihm, da es ja erst lesen lernt, noch lange der Sinn verschlossen, ist ihm dieser Satz ein Buch mit sieben Siegeln. Erst im Laufe der Jahre ändert sich das.

Der Spruch in Bronzebuchstaben und die Büste von Albert Schweitzer sind so ziemlich das Einzige vom Innenleben der Albert-Schweitzer-Schule im brandenburgischen Hennigsdorf, was vom Einweihungsjahr 1964 noch übrig geblieben ist. Die Inneneinrichtung einer Schule ist schließlich hoher Beanspruchung ausgesetzt und muss von Zeit zu Zeit erneuert werden. Dem Autor dieser Zeilen fällt an diesem Ort einiges auf. Er empfing dort 1966 seine Zuckertüte, durchlief die Schule bis zur 8. Klasse und hatte Gelegenheit, am 16. Oktober die Feierstunde zum 60. Geburtstag der Schule mitzuerleben. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ließ es sich nicht nehmen, mit seinem Besuch der Veranstaltung zusätzlich Gewicht und Größe zu geben.

Wiederzuerkennen ist für den einstigen Schüler Matthias Krauß der Grundaufbau des Komplexes, der von drei Seiten von Wald umgeben ist und als DDR-Vorzeigeschule konzipiert war. Die Albert-Schweitzer-Schule enthielt großzügige Fachkabinette, einen Turnsaal und zusätzlich noch einen Gymnastiksaal, eine Küche, in der Speisen frisch zubereitet wurden, und einen Schulgarten, aus dem sich die Küche bediente. Das Beckenbad, in dem alle Kinder schwimmen lernten, wurde wenig später eröffnet.

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Die Stahlwerkstadt Hennigsdorf hatte hier etwas zu bieten, als man Anfang der 60er Jahre auf die Idee kam, den im afrikanischen Lambarene tätigen und wohltätigen Tropenarzt Albert Schweitzer zu bitten, die Bildungsstätte nach ihm benennen zu dürfen. Zitiert wurde während der Feierstunde aus dem zustimmenden Brief, den Schweitzer damals nach Hennigsdorf sandte: »Möge in der Schule ein guter Geist walten« und mögen die Schüler befähigt werden, »tüchtige und gütige Menschen zu werden«.

Davon berichtete Sybille Kutschke-Stange, viele Jahre Lehrerin für Russisch, Geografie und Englisch. Sie war zwischen 1995 und 2012 Schulleiterin und fand anerkennende Worte für den inzwischen verstorbenen Hans Potempa, der von der ersten Stunde an bis 1991 hier Direktor war. Zweifellos erfüllte die Schule zu seiner Zeit alle Parameter einer sozialistischen Bildungseinrichtung. Es gab das »Abzeichen für gutes Wissen« für die guten Schüler und für die Kleinen den Mittagsschlaf. Die Hausaufgaben machten die Jüngsten im Hort unter Anleitung. Der wirtschaftlich starke Patenbetrieb Stahlwerk machte vieles möglich.

An die Kollegen gewandt, sagte die einstige Schulleiterin Kutschke-Stange: »Können Sie sich vorstellen, einmal im Schuljahr alle Eltern Ihrer Klasse zu Hause zu besuchen?« Der sogenannte Elternbesuch war in der DDR Standard. Die Lehrer sollten sich mit eigenen Augen davon überzeugen, in welchen Verhältnissen die Schüler lebten und ob sie den Platz haben, ihre Schularbeiten zu erledigen. Kutschke-Stange berichtete von Solidaritätskonzerten an der Schule, deren Erlöse über die Schweiz direkt in das Urwald-Hospital von Lambarene gingen.

Natürlich gibt es auch für diese Schule ein Davor und ein Danach. Die Wendejahre 1989/90 änderten viel. »Die Gesellschaft löste sich gleichsam auf«, sagte die Pensionärin, gleichwohl diese Schule nicht den oft peinlichen Prozess des
Namenswechsels über sich ergehen lassen musste. Dass eine DDR-Schule nach dem Christen, Arzt und Humanisten Albert Schweitzer benannt wurde, ist aber vielen Westdeutschen schwer begreiflich. Es passt einfach nicht in ihr Weltbild.

Das Programm, das die Schülerinnen und Schüler am Festabend aufführten – die Musikstile Rap und Hip-Hop waren dabei dominant – wäre vor Jahrzehnten sicher nicht als geeignetes Kulturprogramm durchgegangen. Drei Tage hatten die heutigen »Schweitzer« unter der Anleitung professioneller Künstler geprobt. Ein Mini-Theaterstück schilderte, wie Schweitzer vergeblich beim deutschen Kaiser um Hilfe für sein Afrika-Projekt ersuchte, wie der Mediziner aber schließlich aus aller Welt Unterstützung erfuhr. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, wusste Schweitzers Zeitgenosse Erich Kästner.

Vieles änderte sich in den vergangenen 35 Jahren in der Schweitzer-Schule. Das Schwimmbad ist abgerissen. Es hat sich nach der Wende kein Betreiber dafür gefunden. Die Schulküche gibt es nicht mehr. Laut Schulleiter Sebastian Mrosek nehmen von 331 Schülern nur noch 20 das Angebot der Essensversorgung wahr. Das große sozialistische Wandgemälde in der Aula ist verschwunden. Wo einst
der große, staubige Schulhof lag, kann jetzt Basketball und Tischtennis gespielt werden. Anders geworden ist aber vor allem Grundsätzliches. In der DDR war die Albert-Schweitzer-Schule eine Polytechnische Oberschule für die Klassen 1 bis 10. Inzwischen ist sie eine Oberschule nur noch für die Klassen 7 bis 10.

»Die Schule war ein Symbol für Hoffnung und Wandel.«

Sebastian Mrosek Schulleiter

Zwar lobte Ministerpräsident Woidke in der Feierstunde, dass an solchen Schulen »die Hauptarbeit der Integration geleistet« werde und sie keineswegs als Schule zweiter Klasse anzusehen seien. Aber da soll er doch mal die ihn umschwänzelnden Beamten fragen, ob sie etwas anderes als das Gymnasium für ihre Kinder akzeptieren würden. Fromme Wünsche und wohlfeile Sprüche helfen an dieser Stelle nicht weiter.

Schulleiter Sebastian Mrosek beschönigte keineswegs die Jahre nach 1990, in denen zum Teil »Chaos« geherrscht habe. Schwierig sei es gewesen, die Kinder der unteren Klassen auf andere Schulen zu verteilen. Nicht allein, dass auch in Hennigsdorf Tausende ihre Arbeit verloren und die Schulen Schauplätze der sozialen Konflikte und Enttäuschungen gewesen seien. Die Neigung, Schuldige zu suchen, war verbreitet, Rechtsextremismus suchte auch diese Schule heim. Zuletzt knipsten die Corona-Lockdowns den Schulbetrieb zeitweise aus.

Voller Dankbarkeit für seine Kollegen stellte der Schulleiter fest: »Die Schule war ein Symbol für Hoffnung und Wandel.« Nicht zuletzt die Persönlichkeit und das Vorbild des Namenspatrons habe ihre Wirkung nicht verfehlt, zeigte er sich sicher. Das Leben Albert Schweitzers sei eine Ermutigung für all jene, die daran
glauben, die Welt ändern und verbessern zu können.

Zurück im Hier und Heute wandte sich Mrosek mitfühlend an den Ministerpräsidenten, der allem politischen Tagesdruck zum Trotz die Zeit für den Besuch der Schule in Hennigsdorf gefunden habe. Mit Blick auf Schwierigkeiten, nach der Landtagswahl vom 22. September eine neue Regierung aus SPD und BSW zu bilden, gestand der Pädagoge: »Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen.«

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