Michael Harriots Buch: Racist Baby muss aufgeben

Michael Harriot handelt in seinem Buch 400 Jahre US-amerikanische Geschichte ab

  • Michael Ferschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Die vorherrschende rassistische weiße Märchenerzählung stellt Harriot auf den Kopf.
Die vorherrschende rassistische weiße Märchenerzählung stellt Harriot auf den Kopf.

Ein weißgewaschenes Märchen ist die offizielle Geschichte Amerikas. Michael Harriots Buch stellt dagegen ins Zentrum, wie diese Geschichte seit der Ankunft der ersten europäischen Siedler vor 400 Jahren maßgeblich von den Schwarzen geprägt wurde.

Der renommierte Journalist und Kulturkritiker Harriot stellt in seinem 500-seitigen Buch die vorherrschende Schulbuchgeschichte der USA auf den Kopf. Er zeigt, wie bereits die ersten europäischen Siedler ohne schwarzes landwirtschaftliches Know-how verhungert wären. Und beim Unabhängigkeitskrieg mit England (1775 bis 1783) ging es nicht nur um Steuern auf Tee oder die mangelnde politische Repräsentation der amerikanischen Kolonie. Die weißen Siedler störten sich daran, dass in Großbritannien die Sklaverei nicht erlaubt war und befürchteten, London würde »einen rechtschaffenen Amerikaner um seinen Sklaven bringen«. Im Unabhängigkeitskrieg selbst waren schwarze Soldaten ein wesentlicher Faktor – und beide Seiten, »Patrioten« wie »Loyalisten«, versprachen partielle Befreiung von der Versklavung, um auf diese Ressource zugreifen zu können. Noch größer war der Beitrag der schwarzen Soldaten hundert Jahre nach der Revolution für den Sieg über die sklavenhaltenden Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg. Nichts wurde von den Weißen geschenkt, jeder Fortschritt hart erkämpft, jeder Millimeter Freiheit musste verteidigt werden gegen stete rassistische Rückschläge. Drastisch schildert Harriot diese Rückschläge etwa in Form der Lynchmordwellen nach der Niederlage der Südstaaten und der Abschaffung der Sklaverei, und erneut nach dem Ersten Weltkrieg, als schwarze Soldaten zurückkamen und selbstbewusst ihre Rechte einforderten.

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Die Beschreibungen sind erschütternd und ebenso die Tatsache, dass der damalige US-Präsident Woodrow Wilson 1915 im Weißen Haus den Ku-Klux-Klan-Propagandafilm »Birth of a Nation« öffentlich aufführen ließ. Der KKK führte in den Folgejahren die Lynchmobs an, die unzählige Menschen folterten, verstümmelten, verbrannten und erhängten. Der gleiche Präsident setzte übrigens auch den berüchtigten Geheimdienstchef Edgar Hoover ein, der in den 1920er Jahren die kommunistische Bewegung mit allen Mitteln bekämpfte und sich später noch drastischerer Mittel im staatlichen Kampf gegen die Bürgerrechtsbewegung bediente. Harriots Buchkapitel, in dem diese Geschichte enthüllt wird, heißt bezeichnenderweise »Die Verschwörungstheorie, die wahr war«.

Harriots Erzählung ist historisch fundiert durch reichhaltiges Quellenmaterial und basiert auf realen Fakten und Personen. Es ist allerdings kein akademisches Buch, sondern popularisierte Geschichte in umgangssprachlichem Erzählton, gespickt mit ironischen Bemerkungen. Stellenweise werden historische Begebenheiten fantasievoll ausgeschmückt, wenn etwa der detaillierte Ablauf eines Aufstands filmreif geschildert wird.

Die Zugänglichkeit des sehr umfangreichen Werkes wird noch gesteigert durch die aufgelockerte Form. Nach jedem Kapitel gibt es bissige »Verständnisfragen« und Aufgaben, wie etwa folgende:
Was löste den Rassenterrorismus während der Reconstruction aus?

a. Die Vorherrschaft der Weißen.

b. Weiße Menschen, um ihre politische, ökonomische und soziale Vorherrschaft aufrechtzuerhalten.

c. Die Angst, dass die Weißen nicht vorherrschen.

d. Vorherrschendes Weißsein.

Harriot bedient sich unterschiedlicher Erzählweisen. Neben Kapiteln mit klassischen Abhandlungen der geschichtlichen Ereignisse, gibt es kurze Exkurse nach Afrika oder in die Südstaatenküche. Manchmal ergreift der 20 Jahre ältere »Uncle Rob« das Wort, um auf eine weniger intellektuelle, freischnäuzigere Art politische Gemengelagen zu erklären – etwa wie es zum kompletten Wechsel der Demokraten und Republikaner in Bezug auf die schwarze Wählerschaft gekommen ist. Dazwischen gibt es Dialoge mit dem »Racist Baby«, welches von seinem Vater übernommene Lügen und Vorurteile mit sich trägt. »Racist Baby« zeigt sich entsprechend zuerst völlig uneinsichtig gegenüber der Forderung nach Reparationen, also Entschädigungen für das an den Afroamerikanern begangene Unrecht. Dieses ungesühnte Unrecht hat viele Facetten: die Versklavung, die Segregation, rechtliche und soziale Diskriminierung. Und auch nach den Bürgerrechtsgesetzen hörte die Benachteiligung nicht auf, beispielsweise in Form des Diebstahls an schwarzen Steuerzahlern, deren Gelder in Projekte und Infrastruktur fließen, die vorwiegend Weißen zugutekommen. Durch hartnäckige und überzeugende Argumentation muss »Racist Baby« letztlich seinen Widerstand gegen die Reparationsforderung aufgeben. Sehr stark ist das Kapitel über die weitläufig völlig unterschätzte Rolle schwarzer Frauen in der Befreiungsbewegung, wie Mary Terrell oder Ella Baker. In Form eines Briefes »an seinen inhaftierten Cousin« illustriert Harriot, wie das Gefängniswesen mit seinen weit überproportional schwarzen Insassen zu einer neuen Art der Sklaverei mit unterbezahlter Zwangsarbeit ausgebaut wurde.

Die Agonie weißer Vorherrschaft ist mit Donald Trump sehr gegenwärtig. Harriot schreibt, Trump habe »seine weißen Mitverschwörer schlichtweg davon überzeugt, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sie den Menschen, die anders aussehen als sie, mit dem Fuß den Hals zudrücken. Den dunkelhäutigen Menschen. Den schwarzen Menschen. Den nichtchristlichen Menschen. Ist das nicht die amerikanischste Idee schlechthin?«

Harriots Buch will den Widerstand gegen diesen Backlash bestärken, und es bleibt zu hoffen, dass das nächste Kapitel der US-Geschichte nicht erneut vom »vorherrschenden Weißsein« handelt.

Michael Harriot: Black As F***. Die wahre Geschichte der USA. Verlagsgruppe Harper Collins, 560 S., geb., 26 €.

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