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»Das erinnert eher an Business-Konzepte von Konzernen«
Die Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger zu den Reformplänen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Die Ministerpräsident*innen der Länder haben sich auf Reformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) geeinigt. Was ist der Hintergrund dieses Vorhabens?
Seit Jahren steigt der Reform- und Effizienzdruck beim ÖRR. Nach dem Willen der Politik sollen ARD, ZDF und DLF sparen, zukunftsfähiger werden und mehr jüngere Nutzer*innen ansprechen. Der dahinterliegende Druck kommt vor allem von zwei Seiten: Eine Mehrheit der Bevölkerung will, dass der Rundfunkbeitrag nicht weiter steigt. Presseverlage wiederum wollen, dass die Sender im Internet und in sozialen Medien weniger aktiv sind, da sie sie als Konkurrenz wahrnehmen. Die Maßnahmen des Reformstaatsvertrags sind somit klar politisch motiviert: mit ihnen sollen die ewigen Diskussionen um den Rundfunkbeitrag umgangen werden. Zugleich versucht man Antworten auf die Digitalisierung der Medien zu finden.
Die vorgeschlagenen Änderungen sind umfangreich: Unter anderem sollen Hörfunkprogramme reduziert und Informationskanäle sowie Angebote für junge Menschen zusammengelegt werden.
Für die inhaltliche Vielfalt im Journalismus haben diese Kürzungen große Auswirkungen. Schon heute sind viele Kultur-, Service- und Informationsprogramme im Radio faktisch Halbtagsprogramme, dazu gibt es nur wenige Spartensender und -sendungen wie Cosmo oder Die Maus. Auch im Fernsehen haben es Kulturjournalismus, Bildungsprogramme und die Auslandsberichterstattung schwer. Der Reformstaatsvertrag stärkt sie alle nicht. In der ARD wird sogar diskutiert, ob es reicht, dass es im Radio zu kulturellen Ereignissen, also Premieren in Theater, Oper und Konzert, aber auch der freien Szene sowie bei Film und Buch, möglichst nur noch einen Kommentar gibt. Wie soll da die Meinungsbildung unterstützt werden? Abgesehen davon, dass durch den Abbau von Sendeflächen über viele Ereignisse gar nicht mehr berichtet wird. Die beschriebenen Zusammenlegungen stehen auch für einen Trend, den es beim ÖRR schon länger gibt – nämlich eine wachsende institutionelle Zentralisierung.
Dr. Mandy Tröger ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin und derzeit Walter Benjamin-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Tübingen. Sie hat zur Transformation der DDR-Presse promoviert und für die Rosa-Luxemburg-Stiftung an der Publikation »Zwischen Anspruch und Auftrag – Die öffentlich-rechtlichen Medien in der Kritik« mitgewirkt.
Was ist damit gemeint?
Seit Jahren scheint das Zusammenlegen von Institutionen, Aufgabengebieten und Verantwortungsbereichen die entscheidende Antwort auf den wachsenden Druck aus der Politik zu sein. Die Idee ist, dass man durch mehr Zentralisierung effizienter Mittel einsetzen und Inhalte produzieren kann. Ich bezweifle aber zutiefst, dass das der richtige Weg ist. Denn Informationen sind ja kein Produkt, das besser wird, wenn man sie zentral produziert – beispielsweise in der regionalen Berichterstattung braucht es stattdessen Vielfalt und Diversität, sowie kompetente Journalist*innen vor Ort. Das zeigt uns auch das Schicksal der Lokalzeitungen. Seit Jahren gibt es hier wirtschaftsbedingt ähnlich zentralisierende Tendenzen mit dem Resultat, dass die Qualität der Lokalberichterstattung sinkt und Leser*innen wegbleiben. Wichtige Ereignisse fallen aus der Berichterstattung oder werden nach Schema-F abgearbeitet. Hier könnte der ÖRR regionale Lücken füllen, die aktuellen Reformpläne gehen aber genau in die entgegengesetzte Richtung.
Was hat es mit den Plänen auf sich, das digitale Textangebot einzuschränken?
Seit Jahren kritisieren Verlage, dass der ÖRR durch seine Online-Angebote zu »presseähnlich« sei und so ihre ökonomischen Interessen gefährde. Solch ein Verbot von »Presseähnlichkeit« scheint heute eigentlich überholt, denn die Grenzen zwischen Text, Bild und Ton verschwimmen im digitalen Raum. Zudem stehen die Presseunternehmen vor allem deswegen unter hohem finanziellen Druck, weil ihre Werbeeinnahmen an US-Digitalkonzerne wie Google abwandern. Konkret bedeutet der Vorschlag, dass es zwar eine stärkere Online-Präsenz von ARD und ZDF auf einer eigenen Plattform geben soll, gleichzeitig dort aber weniger Text und Informationen geboten werden würden.
Was wären die Folgen?
Ein gutes Beispiel sind Nachrichten: Zu schwierigen Themen wie Krieg, Klima oder Armut braucht es Text, um komplexe Hintergründe zugänglich zu machen. Das Bereitstellen von Informationen und Faktenchecks, gerade auch für jüngere Nutzer*innen, wäre ohne textbasierte Inhalte stark eingeschränkt. Ohne Text wird man außerdem in den Weiten des Internets kaum gefunden. Zusätzlich braucht man solche Inhalte, um barrierefrei zu kommunizieren. Ein Auftrag des ÖRR ist, Menschen vor Ort auf allen Wegen schnell zu informieren. Die Beschränkung textbasierter Inhalte würde mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass der ÖRR diesen Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Im Übrigen wird der ÖRR so auch nicht konkurrenzfähig mit den US-Digitalkonzernen wie Google oder Meta werden. Ihm gelingt es bereits jetzt kaum, Nutzer*innen für seine Plattformen zu gewinnen. Dazu fehlen ihm auch die notwendigen Daten. Diese Aufholjagd kann er kaum gewinnen – und erst recht nicht, wenn er weniger Informationen und Texte veröffentlichen darf.
Inwiefern muss der ÖRR konkurrenzfähig mit Digitalkonzernen sein? Ist er nicht von seiner Grundidee her frei vom Marktdruck?
Der ÖRR ist der einzige Akteur in unserem Mediensystem, der sich – zumindest theoretisch – nicht an den Marktinteressen, sondern den Interessen einer demokratischen Gesellschaft orientiert. Liest man allerdings Strategiekonzepte des ÖRR, geht dieser Aspekt fast völlig unter. Die Sprache, Argumentationen und Perspektiven erinnern eher an Business-Konzepte großer Konzerne als an eine öffentlich-rechtliche Anstalt. Der Entwurf des Reformstaatsvertrag ist letztlich beides: ein Zugeständnis und die Folge des jahrelangen Drucks beispielsweise der Politik, den ÖRR an Marktnormen wie Quoten und Klicks zu messen und ihn dadurch zu legitimieren. Gleichzeitig ist der Vertragsentwurf aber auch der Versuch, sich von der Vormachtstellung digitaler Konzerne wie Google oder Meta zu emanzipieren. Für diesen Versuch steht zum Beispiel die gemeinsame Plattform von ARD und ZDF. Ich verstehe die Intention, bezweifle aber, dass die vorgeschlagenen Schritte tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen. Der ÖRR sollte sich auf den öffentlichen Auftrag und seine Stärken besinnen: Das sind tiefe Regionalität, breite Diversität und vielfältige Inhalte. Wir benötigen als Gesellschaft sichere institutionelle Räume und Ressourcen für guten Journalismus. Diese Räume kann der ÖRR bieten – auch, wenn er es aktuell nicht in dem Ausmaß tut, wie er sollte. Wird die Reform beschlossen, verliert die kulturelle, internationale und politische Berichterstattung noch mehr an Qualität. Dieses Vorhaben verändert nicht nur den ÖRR tiefgreifend, sondern unser ganzes Mediensystem.
Es gab Kritik von ÖRR-Beschäftigten, dass sie zu wenig in die Reformpläne einbezogen waren. Zurecht?
Es ist ein großes Versäumnis, dass die Mitarbeiter*innen des ÖRR kaum in die Debatten einbezogen werden. Auch bei den Diskussionen um die Auswirkungen der Reformen werden die Folgen für Mitarbeiter*innen, Autor*innen oder Produzent*innen kaum thematisiert. Was wir stattdessen beim ÖRR sehen, sind Eigendynamiken, die man auch aus anderen öffentlichen Institutionen kennt. Fragen von Verwaltung, Karrierewegen und Ressourcenverteilung sind da manchmal wichtiger als Fragen des gesellschaftlichen Auftrags und der Mitbestimmung. Der Vertragsentwurf ändert an diesen strukturellen Dynamiken wenig. Denn mehr Zentralisierung bindet letztlich mehr Macht und Ressourcen bei weniger Akteur*innen. Das widerspricht einer inneren Demokratisierung des ÖRR. Eine progressive Reformidee könnte sein, Praktiker*innen in den Reformprozess einzubeziehen und sie auch verstärkt in Führungspositionen zu setzen. Hierfür haben wir ein historisches Vorbild: Vor 35 Jahren gab es in der DDR Medienreformen, die von den Mitarbeiter*innen getragen wurden. Beispielsweise wählten im Herbst 1989 Mitarbeiter*innen ihre Chefs bis zu den Intendant*innen. Medien, in die ein großer Teil der Bevölkerung kein Vertrauen hatte, schafften es, sich in kurzer Zeit zu reformieren und gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen. Daraus könnte man lernen.
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Es gibt aus verschiedenen politischen Richtungen immer wieder den Vorwurf eines zu engen Meinungskorridors im ÖRR. Wie bewerten Sie das?
In dieser Diskussion geht es eigentlich um die Frage, was wir als Wissen beziehungsweise Wissenskanon akzeptieren und warum. Diese Frage ließe sich auf verschiedene gesellschaftlich brisante Themen übertragen, für die Aushandlung dieser Frage gibt es keine Blaupause. Tatsächlich sind aber die Debatten im ÖRR teilweise sehr eng und eher nah an den Regierungspositionen. Das zeigen beispielsweise Medieninhaltsstudien zur Ukraine-Berichterstattung. Oft fehlen in der Berichterstattung Hintergrundinformationen, Quellenvielfalt und kritische Debatten. Relevante Entwicklungen und Fragen werden ausgeblendet: Wer sind etwa die Kriegsgewinnler im Westen? Solche Fragen sind wichtig, fallen aber oft durch das Nachrichtenraster. Letztlich, und das dürfen wir nicht vergessen, ist der ÖRR eine hierarchisierte, arbeitsteilige und hochkomplexe Institution. In solchen Orten sind Debatten oft schwerfällig und intransparent. Hier gibt es Reformbedarf, der lässt sich aber ebenfalls nicht durch mehr Zentralisierung lösen.
Theoretisch gibt es als Kontrollorgan des ÖRR die Rundfunkräte. Inwiefern werden diese ihrer Aufgabe gerecht?
Grundsätzlich sind die Kontrollfunktionen der Rundfunk- wie auch der Verwaltungsräte eher begrenzt. In den Rundfunkräten sitzen Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Parteien. In der Theorie sollen sie ihre jeweiligen Interessen vertreten, in der Realität sind Rundfunkräte Orte der Politik. Es geht also oft um Fragen von Ressourcenverteilung und Interessendurchsetzung und weniger um den öffentlichen Auftrag des ÖRR. Seit Jahren gibt es zwar Bestrebungen, das Publikum in die Programmgestaltung einzubeziehen – letztlich findet aber kein wirklicher Dialog statt. Ich denke nicht, dass die oft diskutierten Publikumsräte hier grundlegend etwas ändern würden, denn sie ändern ja nichts an den grundlegenden Strukturen im ÖRR. Ein Schritt könnte dagegen eine externe Evaluierung durch wissenschaftliche Einrichtungen sein. Dies würde den Rundfunkräten, aber auch der Medienpolitik sowie der Bevölkerung Hinweise geben, ob und wie der ÖRR seine Aufgaben erfüllt und in welchen Bereichen es Veränderungen bedarf. Die wissenschaftliche Beratung sollte interdisziplinär und multiperspektivisch sein, quantitative Inhaltsstudien allein können das nicht gewährleisten.
Zusammengefasst: Es braucht also mehr Reformen, nur andere?
Ja, es braucht definitiv Reformen. Die vorgeschlagenen Antworten des Reformstaatsvertrags – steigende Zentralisierung, Technologisierung und Vereinheitlichung – bieten jedoch keine nachhaltigen Lösungen. Auch bleibt offen, wie eine nachhaltige Finanzierung zukünftig aussehen soll. Die Reformen werden so die bereits bestehenden Probleme des ÖRR eher verstärken. Vielfalt und Regionalität gehen zurück – dabei wäre eine Ausweitung nötig. Das ist möglich, erfordert aber politischen Willen.
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