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- 100 Jahre Rote Hilfe
Rote Hilfe: Die Organisation linker Solidarität
Am 1. Oktober 1924 wurde die Rote Hilfe Deutschlands gegründet. Was lässt sich aus 100 Jahren Geschichte linker Solidaritätsorganisation lernen?
»Die Mitgliederorganisation ›Rote Hilfe Deutschlands‹ ist eine überparteiliche Hilfsorganisation zur Unterstützung a) der proletarischen Klassenkämpfer, die wegen einer aus politischen Gründen begangenen Handlung oder wegen ihrer politischen Gesinnung in Haft gekommen sind; b) der Frauen und Kinder von inhaftierten, gefallenen oder invaliden Klassenkämpfern des Proletariats.« So stellte sich die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) in ihrem Gründungsstatut vom 1. Oktober 1924 vor. 100 Jahre später begreift sich die seit 1978 als Verein eingetragene Rote Hilfe e. V. (RH) in ihrer Satzung als »parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation«.
Die Namensähnlichkeit verdeckt jedoch, dass eine Geschichte der Roten Hilfe nur im Plural möglich ist: Die RHD der Weimarer Republik war eine der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) nahestehende Organisation, aber auch Teil eines internationalen Netzwerkes von Hilfsorganisationen der kommunistischen Bewegung. Sie löste sich 1938, nach über fünf Jahren Illegalität, auf, wurde jedoch in den 70er Jahren mehrfach beerbt. In der Neuen Linken, seit Langem ohne jedwede Parteibindung und internationale Zentralorganisation, gab es zahlreiche Neugründungen von Roten und Schwarzen Hilfen, die sich in ihren Namen auf die Organisation der Weimarer Zeit bezogen. Viele hatten nur verhältnismäßig kurz Bestand, aus einer ging jedoch auch die heutige RH hervor.
Der 100. Jahrestag der Gründung der Roten Hilfe in Deutschland ist für uns Anlass, dieser doppelten Geschichte nachzugehen und nach Kontinuitäten und Widersprüchen in der Solidaritätsarbeit zu fragen. Im Folgenden zeigen wir daher auf, wie sich die Roten Hilfen entwickelt haben und welche Fragen sowie Themen sich für eine weitere Diskussion daraus ergeben.
Praktiken der Solidarität
Solidarität war immer von spezifischen Konstellationen geprägt, die im historischen Fokus näher ausgeleuchtet werden müssen. Insbesondere die Jahre der Covid-Pandemie haben dazu geführt, dass der Begriff medial stärker rezipiert wurde. Auch in der historischen Forschung hat der Begriff mehr Aufmerksamkeit erhalten. Für die Historiker Dietmar Süß und Cornelius Torp hat Solidarität seit dem 19. Jahrhundert einen »erstaunlichen Siegeszug« erlebt, obwohl – oder vielleicht gerade weil – der Begriff im hohen Maße deutungsoffen ist und keine allgemeingültige Definition zulässt. Verbreitet ist die Definition, dass Solidarität eine Praktik von Individuen oder Gruppen ist, die sich mit spezifischen Individuen oder Gruppen verbunden fühlen und diese unterstützen. Diese Vorstellungen waren auch in bürgerlichen oder christlichen Kreisen anzutreffen, aber die stärkste Wirkung hatte die lokale, nationale sowie trans- und internationale »Klassensolidarität« der Arbeiter*innenbewegung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Solidarität prägte insbesondere die Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien im Kaiserreich. Innerhalb und zwischen den Organisationen war der Begriff ein bestimmendes Element – gemeinsame Ziele konnten nur mit gegenseitiger Unterstützung erreicht werden. Sie halfen auch Betroffenen von politischer Repression, die keine Organisationsmitglieder waren, etwa bei Streiks oder während des Sozialistengesetzes. Sie agierten mit anlassbezogenen Sammlungen oder kleineren Hilfsvereinen. Diese Form der Solidarität hatte jedoch Grenzen, beispielsweise gegenüber Angelernten oder Frauen, deren Organisierungen oft von männlich dominierten und berufsbezogenen Gewerkschaften nicht unterstützt wurden.
Mit der organisatorischen Spaltung der Arbeiter*innenbewegung zum Ende des Ersten Weltkriegs in SPD, USPD und ab 1919 KPD erhielt die Unterstützung von Betroffenen politischer Repression eine schärfere Dimension. Jedoch baute nur die kommunistische Bewegung – auch angesichts der vielen in Folge von Aufständen und Aufstandsversuchen Betroffenen von (staatlicher) Repression – eine für diesen Zweck spezifische Organisation auf.
Zunächst äußerte sich die Solidaritätsarbeit der KPD in einer internationalen Dimension. Zur Unterstützung von Betroffenen der Hungerkatastrophe in Sowjetrussland 1921 gründete sie die Internationale Arbeiterhilfe (IAH), deren Vorsitzender Willi Münzenberg wurde. Spenden an die IAH wurden von dieser als »Klassenhilfe« begriffen. Allerdings liefen international auch humanitäre Hilfsaktionen, die finanziell größte Unterstützung für die Sowjetunion stammte von der American Relief Administration, einer Regierungsorganisation zur Hilfe bei kriegsbedingten Krisen in Europa. So entwickelte sich eine »Solidarkonkurrenz« zwischen verschiedenen politischen Richtungen. Später unterstützte die IAH auch politisch Verfolgte und Streikende in westlichen Ländern.
Doch auch politisch Aktive in der Weimarer Republik hatten kontinuierlich einen höheren Bedarf an Solidarität: Nach den Märzkämpfen 1921 in Mitteldeutschland schnellte die Zahl politischer Gefangener in Deutschland in die Höhe. Für die Betroffenen hatten sich schon früh lokale Unterstützungsgruppen gebildet. Im April 1921 schließlich rief die KPD in ihrer Zeitung »Die Rote Fahne« zur Bildung von »Roten Hilfe Komitees« auf, die sich an unterschiedlichen Orten im Reich gründeten. Damit beginnt die Geschichte der Roten Hilfe.
Rote Hilfe Deutschlands
Als reichsweite Organisation wurde die RHD am 1. Oktober 1924 durch die KPD gegründet. Auch angesichts der vielen Verfolgten nach dem gescheiterten KPD-Aufstand von 1923 in Hamburg und Nordwestdeutschland schien eine reichsweite Massenorganisation notwendig. Der erste Vorsitzende der RHD war Wilhelm Pieck, 1925 folgte ihm Clara Zetkin.
Die RHD betreute politisch Verfolgte im Laufe von Gerichtsprozessen sowie während und nach einer Haftstrafe. Außerdem wurden Kinder und Familien von Inhaftierten unterstützt. Gefangenenbetreuung hieß: Kontakte nach außen halten, vor allem durch Briefe und durch ins Gefängnis übersandte Bücher und Zeitungen. Auch versuchte sie die Haftbedingungen zu verbessern. Rechtsschutz war das größte Arbeitsfeld der RHD. Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren Erholungs- und Ferienheime für Kinder von Verfolgten oder Inhaftierten. Die RHD hatte damit einen Doppelcharakter als politische Organisation und als Wohlfahrtsverband.
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Der RHD gelang es in den ersten Jahren, über das engere KPD-Milieu hinaus auch andere politische Kräfte als Mitglieder einzubinden. Die Mitgliederzahl – wobei eine hohe Fluktuation und ungenaue Angaben zu berücksichtigen sind – wuchs von 165 000 registrierten Einzelmitgliedern im Jahr 1926 auf etwa 375 000 Mitglieder 1932, die in circa 20 Bezirkskomitees und etwa 3300 Bezirksgruppen organisiert waren. Hinzu kamen etwa 650 000 sogenannte Kollektivmitglieder aus Organisationen mit korporativer Mitgliedschaft in der RHD.
Anfang der 30er Jahre stieg der Anteil parteiloser Einzelmitglieder auf über 60 Prozent – hingegen waren insgesamt nur etwa 2000 Sozialdemokrat*innen Mitglied der RHD, ihr Anteil betrug nie mehr als ein Prozent. Die SPD drohte ihren Parteimitgliedern zum Teil mit dem Ausschluss, wenn sie bei der RHD mitarbeiteten. Für KPD-Mitglieder war der Beitritt zur RHD verpflichtend, dem wurde jedoch nur in Teilen Folge geleistet. Schätzungen gehen dahin, dass etwa die Hälfte der KPD-Mitglieder auch bei der Roten Hilfe eingeschrieben war. Funktionär*innen in leitenden Gremien auf Bezirks- oder Reichsebene gehörten meist zur Partei, ab 1929 wurde die Ausrichtung der RHD an der KPD dominierender. Die soziale Praxis der RHD war in der Außendarstellung weiterhin parteiübergreifend. Sie orientierte sich aber stark an den Bedürfnissen der Genoss*innen aus den eigenen Reihen und fokussierte sich auf die praktische Solidarität für Kommunist*innen.
Für Heinrich Mann war die Rote Hilfe »vor allem ein zivilisatorisches Werk, sie wirkt der uns bedrohenden Barbarei entgegen«.
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Finanziert hat sich die Solidaritätsorganisation etwa zur Hälfte durch Mitgliedsbeiträge, zudem durch die Sammlung von Geld-, Sach- und Zeitspenden und den Verkauf von Postkarten, Klebemarken und Abzeichen. Wichtig war auch der Einsatz von Medien, die insbesondere durch das Medienimperium von Willi Münzenberg, Geschäftsführer der IAH und Mitglied im KPD-Vorstand, propagandistisch und finanziell erfolgreich auch für die RHD wirkten. Als politische Organisation trat sie überparteilich auf und unterstützte auch sozialdemokratische oder unorganisierte proletarische Gefangene und gewann prominente Unterstützer*innen wie Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Käthe Kollwitz, Otto Dix und Carl von Ossietzky für Kampagnen. Für Heinrich Mann war die Rote Hilfe »vor allem ein zivilisatorisches Werk, sie wirkt der uns bedrohenden Barbarei entgegen«. Heinrich Zille sah in der RHD als Schutzorganisation »eine nötige Abwehr gegen die Übergriffe der Parteijustiz und des blutsaugenden Kapitalismus«.
Die RHD der Weimarer Republik kann laut dem Historiker Nikolaus Brauns, der die Geschichte der RHD umfassend dargestellt hat, »als die wichtigste und erfolgreichste Organisation im Vorfeld der KPD« bezeichnet werden. Sie war zudem Teil eines internationalen kommunistischen Organisationsnetzwerks. Schon 1922 gründete die Komintern die Internationale Rote Hilfe (IRH), auch als eine Art Gegengewicht zum bürgerlichen Internationalen Roten Kreuz. Neben der Unterstützung von Gefangenen und ihrer Familien sah die IRH ihre Aufgabe darin, eine internationale Solidarität der Arbeitenden zu fördern. Die erste Kampagne der IRH richtete sich gegen den in Italien aufkommenden Faschismus und unterstützte Personen, die durch ihn Repression erfuhren. 1928 hatte die IRH laut eigenen Angaben über acht Millionen Mitglieder, die RHD war 1924 die fünftgrößte Gruppe, nach den Sektionen der Sowjetunion, Englands, Frankreichs und Chinas, Ende 1933 gab es in 71 Ländern Sektionen.
Internationalisierung der Solidarität
Die RHD gehörte in den 1920er Jahren zu den wichtigsten materiellen Unterstützern der IRH, deren mitteleuropäische Büros in Berlin angesiedelt waren. Große Kampagnen, wie zur Freilassung der zum Tode verurteilten US-amerikanischen Anarchisten Ferdinando »Nicola« Sacco und Bartolomeo Vanzetti 1927, wurden von der IRH organisiert und von der RHD in Deutschland getragen. Neben dieser praktischen Solidarität waren Gedenk-, Kampf- und Jahrestage eine zentrale politische Tätigkeit. So wurde jährlich am 15. Januar der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht. Der 1. Mai und der 8. März wurden zelebriert. Die IRH erklärte schon 1923 den 18. März zum allgemeinen internationalen Hilfstag – in Erinnerung an die Proklamation der Pariser Kommune 1871. Seit Sommer 1933 befand sich das europäische Zentrum der IRH in Paris. Sie übernahm fortan eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von kommunistischen Flüchtlingen, besonders aus Deutschland.
Seit der Machtübertragung 1933 war der Roten Hilfe in Deutschland nur noch eine illegale Arbeit möglich. Schon am 2. März 1933 besetzte die Polizei die Büroräume der RHD in Berlin, die Funktionäre wurden verhaftet. Versuche der kommunistischen Untergrundarbeit in verschiedenen Städten scheiterten; viele ehemalige Mitglieder der Roten Hilfe wurden in »Schutzhaft« genommen. Es gelang noch für einige Jahre, mit RHD-Strukturen Geldsammlungen für Gefangene zu erbringen. Bis 1937 waren jedoch die meisten Gruppen im Reich zerschlagen.
Wie auch in anderen linken Widerstandsgruppen hatten Frauen hier besondere Rollen. Sie gerieten nicht in den direkten Verdacht der Gestapo, die sich vor allem auf oppositionelle Männer fokussierte. Treffen für Besprechungen und Geldübergaben konnten als Kaffeekränzchen getarnt stattfinden. Die RHD arbeitete auch im Exil, um über Verbrechen in Nazi-Deutschland zu berichten, weltweite Proteste gegen die NS-Diktatur zu organisieren und Geflüchtete zu unterstützten. 1937 wurde die letzte bekannt gewordene Schrift der RHD aus dem französischen Exil veröffentlicht, die an die ersten Opfer der nationalsozialistischen Diktatur erinnerte. 1938 wurde die RHD offiziell aufgelöst, da eine organisatorische Weiterführung in NS-Deutschland nicht mehr möglich schien. Angesichts des Hitler-Stalin-Pakts und des Kriegsbeginns wurde auch für die IRH die Arbeit in Europa zunehmend schwierig. Sie wurde schließlich im Zuge der Annäherung der Sowjetunion an die Westalliierten 1943 zusammen mit der Komintern aufgelöst.
Neugründungen der Roten Hilfe
Die Tradition einer linken Solidaritätsorganisation war abgerissen, als sich in Westdeutschland und West-Berlin in der Folge der Revolten um 1967/1968 wieder Gruppen in der Tradition der Roten Hilfe gründeten, um von Prozessen Betroffene und später Gefangene zu unterstützen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik wurde die Rote Hilfe nicht durch eine Partei dominiert und organisiert. Die neugegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP) beteiligte sich nicht an den Neugründungen.
Die Geschichte der Roten Hilfen ist für die Zeit ab den 70er Jahren allein deswegen im Plural zu erzählen, da es mehrere Organisationen gab, die die Tradition der Weimarer Republik für sich reklamierten: Zahlreiche Rechtsberatungen, Rote oder Schwarze Hilfen entstanden Ende der 60er Jahre. Eine einheitliche Solidaritätsarbeit gab es zu keiner Zeit. Ab 1970 entstanden mehrere Gruppierungen der Neuen Linken, kurz darauf gründeten sich erste autonome Gruppen der Roten Hilfe. Die verschiedenen politischen Strömungen lassen sich um 1970 in Partei- und Bewegungsmaoismus einteilen. Die Rote Hilfe Stern etwa, die sich als ein bundesweites Netzwerk von autonom agierenden Gruppen konstituierte, profilierte sich anfänglich als maoistisch. Einige bewegungsmaoistische Gruppen konzentrierten sich zunehmend auf die Gefangenenarbeit und galten der Öffentlichkeit als Sympathisant*innen der RAF. Da sie jedoch auch intensive Knastarbeit für andere politische und soziale Gefangene leisteten, trifft diese Charakterisierung nicht zu. Diese organisatorisch fluiden Gruppen zerfielen meist im Lauf der 70er Jahre.
Zwei eigenständige Organisationen wurden von maoistischen Parteien gegründet: 1973 die Rote Hilfe e. V. der Kommunistischen Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO, ab 1971 offiziell nur noch KPD), und 1975 die Rote Hilfe Deutschland (RHD) durch die Kommunistische Partei Deutschland/Marxisten-Leninisten (KPD/ML). Beide parteimaoistischen Solidaritätsgruppen konzentrierten sich, trotz wortreicher Bekenntnisse, sie seien proletarische Schutzorganisationen, vor allem auf strafrechtlich verfolgte Genoss*innen der eigenen Partei und einzelne Kampagnen. Die Rote Hilfe e. V. erlebte parallel zur KPD/AO einen Niedergang und löste sich 1979 auf. Die Namensparallelität mit der heute bestehenden Rote Hilfe e.V. ist eher Zufall, denn deren organisatorische Herkunft liegt in der RHD der KPD/ML. Der Niedergang der KPD/ML Ende der 70er Jahre wurde durch eine langsame Öffnung der Solidaritätsorganisation gegenüber anderen linken Strömungen kompensiert.
Ab 1978 trug die RHD den Zusatz »e. V.«. 1986 beschloss die Bundesdelegiertenkonferenz, den Namensteil »Deutschland« zu streichen, und firmiert fortan unter dem Namen Rote Hilfe e. V. Zugleich etablierte sie eine Organisationsstruktur mit Ortsgruppen, wie sie bis heute besteht. In ihrer Selbstdarstellung Ende der 80er Jahre gab die Rote Hilfe an, nicht an eine Partei gebunden und damit parteiübergreifend solidarisch zu sein.
Alle diese verschiedenen Roten Hilfen der 70er nahmen die Weimarer Rote Hilfe als historischen Bezugspunkt, wobei die maoistischen Roten Hilfen der K-Gruppen sich auch habituell daran anlehnten, während die undogmatischen Roten und Schwarzen Hilfen die RHD der Weimarer Republik eher als entferntes historisches Vorbild betrachteten. Gemeinsam war allen, dass sie sich als parteiunabhängige Organisationen verstanden, die Solidarität für politisch Verfolgte organisierten, was in der Praxis zugleich mit Interessen und Konflikten kollidierte, die die unterschiedlichen linken Strömungen jener Zeit kennzeichneten. Erst die langsame Öffnung der RHD ab den späten 70er Jahren führte dazu, dass die enge Bindung an eine spezifische Partei überwunden wurde. Heute bezieht sich die Rote Hilfe e. V. auf die historischen Wurzeln der 1920er ebenso wie auf die der 70er Jahre.
Perspektiven linker Solidarität
Die Geschichte der Roten Hilfen wirft wichtige Fragen für Praktiken der Solidarität auf: Wie wurde Unterstützung organisiert, welche In- und Exklusionen wirkten dabei? Dass es gerade für politisch deutlich positionierte Gruppen nicht um eine Unterstützung für alle ging, ist naheliegend. Dieses Spannungsfeld gilt für alle Hilfsorganisationen. Es ist unbestritten, dass eine Geschichte von Roten Hilfen sich nicht vollständig von teilweise kriminalisierten kommunistischen Parteien und linken Strömungen lösen kann. Hier ist es, anders als bei vorrangig karitativ ausgerichteten Organisationen, wichtig auszuloten, was unter welchen Bedingungen strafrechtlich verfolgt wurde. Sozialgeschichtlich ist für die RHD der Weimarer Republik die Arbeiter*innenbewegung und eine proletarische bzw. milieugebundene Solidarität eine unerlässliche Perspektive. Über das Bindeglied der Roten Hilfe lässt sich auch etwas über den gesellschaftlichen Ort des Gefängnisses der letzten 100 Jahre ausmachen, das einerseits die staatliche Repression manifestierte und zugleich Adressat der Solidarität für politische Gefangene war.
Die plurale Geschichte der Roten Hilfen ist nicht nur im Jahre einer Jubiläumsfeier relevant. Vielmehr zeigt sie Perspektiven auf unterschiedliche Momente linker Solidarität im 20. Jahrhundert und ihre historischen Konstellationen. Damit, so unsere Hoffnung, wird weitere Forschung angeregt und ebenso die Diskussion über Formen staatlicher Repression und der Notwendigkeit praktischer Solidarität.
Das aktuelle Heft der Zeitschrift »Arbeit – Bewegung – Geschichte« widmet sich der Geschichte der Roten Hilfen. Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung der Einleitung zum Schwerpunkt. In diesem zeigen Vincent Delius und Ronja Oltmanns, wie sich die RHD aufgrund von Repression gründete, organisierte und entwickelte. Pär Frohnert greift mit der schwedischen Röda Hjälpen eine internationale Perspektive auf und zeigt, wie deren Fluchthilfe ab 1930 funktionierte. Silke Makowski analysiert, wie sich die RHD unter den Bedingungen der Illegalität nach 1933 organisierte. Dominik Aufleger skizziert die Entwicklung seit den 70er Jahren. Markus Mohr und Jan-Hendrik Schulze befassen sich mit der Rote Hilfe e. V., die von der KPD/AO gegründet wurde, und ihrem »Star-Gefangenen« Horst Mahler. nd
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