Abnehmspritzen für die Konjunktur

Großbritannien geht im Kampf gegen hohe Kosten im Gesundheitswesen und auf dem Arbeitsmarkt gefährliche Wege, kommentiert Olivier David

Großbritannien – Abnehmspritzen für die Konjunktur

Weil viele Arbeitnehmer in England wegen Fettleibigkeit arbeitsunfähig sind, will die Regierung Armutsbetroffenen Abnehmspritzen ausgeben. Laut Premierminister Keir Starmer seien diese »sehr nützlich für Menschen, die abnehmen wollen, die abnehmen müssen, und sehr wichtig für die Wirtschaft, damit die Menschen wieder arbeiten können«. Zwei Fliegen mit einer Klappe also.

Laut dem britischen Gesundheitsminister Wes Streeting lägen die Kosten für »immer breiter werdende Hüften« bei rund 13 Milliarden Euro pro Jahr. Damit verursache Fettleibigkeit mehr Kosten für das Gesundheitssystem als die gesundheitlichen Auswirkungen von Zigaretten. Was ein Glück, dass da der potente Pharmakonzern »Eli Lilly« mit einem Angebot daherkommt. Der Hersteller der Abnehmspritze Mounjaro will 279 Millionen Pfund in das britische Gesundheitssystem investieren. Eli Lilly ist übrigens auch jener Konzern, der sich für ein paar Milliarden Euro Gesetzesänderungen bei der deutschen Bundesregierung erkauft hat.

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.

Im Rahmen einer Studie des Konzerns soll die Wirkung der Abnehmspritze laut der Zeitung »Telegraph« in einem »Innovationslabor« in der Nähe von Manchester an 3000 übergewichtigen Menschen ausprobiert werden. Der Versuch ist auf fünf Jahre angelegt, die Probanden sind erwerbslos, befristet beschäftigt oder krankgeschrieben. Geprüft werden soll, ob man die Menschen über die Abnehmspritze wieder in Arbeit bringen könne, so das Gesundheitsministerium.

Soweit die Fakten. Egal, aus welcher Richtung man sich diesen Zugang zur Problemlösung anschaut, immer ist er falsch. Das muss man auch erstmal schaffen. Wenn wir davon ausgehen, dass Armut mit einem höheren Risiko für Übergewicht einhergeht, dann ist das Übergewicht nicht immer, aber häufig, ein Symptom von Armut. Würde man Übergewicht effektiv bekämpfen wollen, müsste man sich – unter anderem – soziale Verhältnisse anschauen, anstatt die Auswirkung (Übergewicht) zur Ursache (Armut) umzuladen. 

Armutsbetroffene Übergewichtige müssen nicht dünn gespritzt werden. Es wäre wohl ein weitaus kleinerer Anteil der Bevölkerung übergewichtig, würde man die Menschen über das Niveau der relativen Armut heben. Natürlich ist das aber nicht alles. In dieser Art, Politik zu betreiben, die auch in Deutschland praktiziert wird, sind Armutsbetroffene bloße Verfügungsmasse. Sie werden benutzt, um politische Projekte zu rechtfertigen oder zu forcieren.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Premier Starmer und seinem Gesundheitsminister geht es nicht um Armut, es geht nicht um Übergewicht und die Folgen fürs Individuum. Es geht um Kosten und Investitionen. Zum einen sind ihm die Folgekosten von Armut und seinen Nebenwirkungen – Erwerbslosigkeit, hohe Kosten fürs Gesundheitssystem – zu hoch, zum anderen kann er durch seinen Sozialchauvinismus auch noch Knete eintreiben. Sie erinnern sich: Der Pharmakonzern Eli Lilly hat hohe Investitionen in Großbritannien versprochen.

Wir müssen also nicht nur über Politik sprechen, die sich gegen die Menschen richtet, sondern auch über einen frei drehenden Kapitalismus, der permanent Einfluss auf die Politik nimmt, um sinnlose Produkte zu verkaufen. Denn der Erfolg der Spritzen ist umstritten. Weder sind die Langzeitfolgen erforscht, noch ist ihr anhaltender Nutzen bewiesen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -