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Diskussion über PKK in der Türkei: Widersprüchliche Signale
Kurdische Arbeiterpartei traut dem Sinneswandel der türkischen Regierung nicht
»Diese Republik ist die Republik der Türken und der Kurden. Die Republik der Laz, der Tscherkessen, der Griechen. Diese Republik ist das Werk von uns allen.« Mit viel Pathos, eröffnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch seine Rede in der Fraktionssitzung der regierenden AKP. Die Republik sei, so Erdoğan »nicht die Republik einer bestimmten Sekte oder Ethnie«. Diejenigen welche »diskriminiert, verfolgt und ausgegrenzt« hätten, während »sie sich hinter der Idee der Republik versteckten«, hätten das Land verraten und seien die Verursacher »der Probleme, die man seit einem Jahrhundert« erlebe, so Erdoğan.
Es sind mehr als ungewohnte Töne aus dem Mund eines Autokraten, welcher seit nunmehr neun Jahren, einen blutigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in Syrien, dem Irak und auch im eigenen Land führt. Brisant ist die Rede aber vor allem vor dem Hintergrund der aktuell in der Türkei laufenden Debatte über mögliche Friedensgespräche mit der Arbeiterpartei Kurdistans. Seitdem der Führer der Partei der Nationalistischen Bewegung MHP, Devlet Bahçeli, am 2. Oktober den Abgeordneten der linken prokurdischen DEM-Partei die Hand reichte und sie dazu »einlud«, eine »Partei der Türkei zu werden«, überschlagen sich die Entwicklungen.
Erster Besuch bei Öcalan seit 43 Monaten
Am 22. Oktober forderte Bahçeli, wichtiger Verbündeter Erdoğans, sogar, Öcalan solle im Parlament sprechen und die »Auflösung der Organisation« bekanntgeben. Dann könne man sogar seine Freilassung in Betracht ziehen, so Bahçeli. Präsident Erdoğan erklärte am Dienstag, dass man den Vorstoß des MHP-Politikers »ohne Vorurteile« bewerten solle.
Am 23. Oktober gewährte die türkische Justiz, nach mehr als 43 Monaten der Totalisolation Abdullah Öcalans, dessen Neffen, zudem Abgeordneter der DEM-Partei, Zugang zur Gefängnisinsel İmralı. Der PKK-Vorsitzende wandte sich über den Abgeordneten an die Öffentlichkeit und erklärte, dass »wenn die Bedingungen entstehen«, er »diese Phase von der Ebene des Konflikts und der Gewalt auf eine rechtliche und politische Ebene« lenken könne.
Während die PKK den vermeintlichen Sinneswandel der türkischen Regierung bisher skeptisch beäugte und Vertreter der Organisation betonten, dass noch keinerlei ernsthafte Lösungsabsichten der türkischen Seite zu erkennen seien, äußerte sich am 25. Oktober erstmalig auch die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK zu möglichen Verhandlungen. Der Dachverband, der als höchste Instanz der kurdischen Freiheitsbewegung gilt, erklärte, die »Bewegung mit all ihren Teilen, Strukturen und Organisationen« werde sich einem von Öcalan geführten Prozess anschließen. Auch der Kommandant der PKK-Guerilla, Murat Karayılan, versicherte die Bereitschaft zu einem demokratischen Lösungsprozess.
Anschlag in Ankara soll nichts mit der Debatte zu tun haben
Nachdem am 23. Oktober ein zweiköpfiges Kommando der PKK-Guerilla nahe der türkischen Hauptstadt Ankara einen Anschlag auf das staatliche Rüstungsunternehmen Turkish Aerospace Industries, verübte, wurde gemutmaßt, ob der Anschlag als Absage an Verhandlungen zu werten sei. Die HPG, bewaffneter Arm der PKK, wiesen entschieden zurück, dass das Timing etwas mit der laufenden politischen Debatte zu tun habe. Der PKK-Führungskader Duran Kalkan, erklärte am Dienstag gegenüber dem Sender Medya Haber, niemand habe »einen Befehl erteilt, dass diese Aktion zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt werden soll«, so Kalkan. Solange es »keine verbindlichen Vereinbarungen« gebe, dauere der Krieg weiter an. Die türkische Armee bombardiert ihrerseits seit Tagen die kurdischen Gebiete im Irak und Syrien massiv. In Nord- und Ostsyrien, zerstörten die Luftschläge Gesundheitseinrichtungen, Großbäckereien, Kraftwerke und Ölförderanlagen.
»Herr Öcalan hat seine Bereitschaft zu einer friedlichen Lösung zum Ausdruck gebracht. Die Bedingungen dafür, müssen nun geschaffen werden«, erklärt Leyla Imret, Deutschlandvertreterin der prokurdischen DEM-Partei gegenüber dem »nd«. »Das Verhalten der Regierung steht im krassen Widerspruch zu ihrer Rhetorik. Der Krieg geht unvermindert weiter, und weiterhin werden kurdische Politiker verhaftet.« Erst am Mittwoch wurde der kurdische Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Esenyurt, Ahmet Özer festgenommen. Die türkische Justiz wirft dem Lokalpolitiker der kemalistischen CHP vor, Verbindungen zur PKK unterhalten zu haben. Es sei wichtig, dass die Regierung »die historische Chance für die Türkei« ergreife, so die kurdische Exilpolitikerin. Auch die deutsche Politik müsse sich mit einer klaren Haltung für Dialog und Verhandlungen einsetzen.
Ob und wie der Prozess weitergeht, wird wohl auch entscheidend vom Umgang mit Öcalan abhängen. So erklärte die PKK mehrfach, dass die Möglichkeit Öcalans, frei mit allen Seiten des Konfliktes zu kommunizieren, Grundbedingung für jede Art von Verhandlungen sei. Auch müsse der türkische Staat seine ehrliche Lösungsbereitschaft unter Beweis stellen. Man werde sich nicht einfach auf die »übliche Spezialkriegstaktik« einlassen, so Murat Karayılan. Eine direkte Kommunikation mit Öcalan oder gar seine Freilassung im Zuge von Verhandlungen wären enorme politische Erfolge für die PKK und kämen einer Anerkennung der Bewegung als legitimer Verhandlungspartner gleich.
Auf Seiten der Regierung dürfte es vor allem die eskalierende Lage im Mittleren Osten sowie die schwere Wirtschaftskrise sein, die die Koalition aus AKP und MHP dazu verleitet, versöhnlichere Töne anzuschlagen. In der türkischen Politik herrscht die Angst, in den Konflikten der Region zerrieben zu werden. Auch die Offensive im Nordirak ist seit mehreren Monaten ins Stocken geraten und fordert den türkischen Streitkräften empfindliche Verluste ab. Klar ist, Erdoğan steckt außen- und innenpolitisch in einer Sackgasse, doch das heißt noch lange nicht, dass seinen Reden von der Geschwisterlichkeit der Kurden und Türken glaubhaft sind.
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