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Donald Trump: Das Gefäß für Hass und Angst
Warum immer noch so viele US-Amerikaner Donald Trump wählen
Spätestens als Donald Trump nach einer knappen halben Stunde der einzigen TV-Debatte mit Kamala Harris begann, von angeblich illegal eingewanderten Menschen zu faseln, die Katzen, Hunde und sonstige Haustiere ihrer Nachbarn essen würden, schüttelte rund die Hälfte der US-Amerikaner nur noch den Kopf. Eine übergroße Mehrheit im Rest der Welt fragte sich derweil, wie es immer noch diese andere Hälfte in den USA geben kann, die Trump zu ihrem Präsidenten wählen will. Die oft bemühte Erklärung, es handele sich nur um dumme und rassistische »Hinterwäldler«, trifft jedenfalls nicht zu. Natürlich gibt es auch genau solche Trump-Wähler, aber nicht 74 Millionen davon. So viele Bürger hatten 2020 für ihn gestimmt. Was also bewegt diese Menschen?
Migranten als Sündenbock
Seit Donald Trump im Juni 2015 jene Rolltreppe des Trump Towers in New York herabfuhr und zu seiner ersten Rede als Präsidentschaftskandidat ansetzte, fokussierte er sich auf ein Thema: Einwanderung. Dass er selbst auf Baustellen, in Casinos und in Golfclubs stets billige Einwanderer für sich arbeiten lässt, hat seine Anhängerschaft nie sonderlich gestört. Sie mochten, dass endlich ein Kandidat das aussprach, was sie sich schon viel früher als Lösung für all ihre Probleme zusammengereimt hatten: Die Ausländer sind schuld. Ob für ihre Arbeitslosigkeit, die Kriminalität oder ihren Machtverlust – dieser Sündenbock musste für alles herhalten.
Neun Jahre später hält sich weiterhin beharrlich Trumps Erzählung, es sei zu einfach, über Mexikos Nordgrenze in die USA einzuwandern. Präsident Joe Biden hat zwar mittlerweile mit der Begrenzung der Asylanträge für eine Verringerung der monatlichen Grenzübertritte von mehr als 50 Prozent gesorgt, doch die von Trump geschürte Angst vor Ausländern sitzt tief, und der Ex-Präsident legt immer wieder nach. Venezuela würde seine Gefängnisse leeren und die Insassen direkt in die USA schicken, ist die aktuelle Version seiner Horrorgeschichte, die 2015 noch von »Vergewaltigern und Mördern« handelte, die aus Mexiko kämen.
Selbst bei Menschen, die in lateinamerikanischen Ländern geboren wurden oder Familien dort haben, verfängt diese Erzählung immer mehr, je länger sie selbst schon in den USA leben. Neue Einwanderer würden soziale Unterstützung vom Staat erhalten, die sie selbst nicht bekämen. Sie würden also überholt werden. Es ist das klassische Ausspielen einer machtlosen Gruppe gegen die andere. So wollen auch Latinos immer seltener die Demokraten wählen, obwohl Kamala Harris verspricht, Unternehmensgründer – viele Latinos sind Kleinunternehmer – mit Anschubfinanzierungen zu unterstützen und die Wohnungskrise anzugehen. Stattdessen bekommt der Kandidat mehr Zustimmung, der den Sündenbock liefert. »Donald Trump wird diese Probleme nicht lösen, aber er ist das Gefäß, in das sie all ihren Ärger und Groll stecken«, analysierte die TV-Journalistin Katie Couric, die bereits sechs US-Präsidenten interviewte, jüngst Trumps Basis.
Seinem Versprechen einer Massendeportation von Millionen Einwanderern stimmt mehr als die Hälfte aller US-Bürger zu. Erst wenn sie detaillierter gefragt werden, ob es etwa auch Kinder treffen soll, die seit Jahren nebenan in die Schule gehen, oder den Nachbarn, der ein Geschäft betreibt und Steuern zahlt, sinkt die Akzeptanz für diesen horrenden Vorschlag.
Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.
Hass auf Demokraten
Der Frage, wer Donald Trump wählt, gingen zuletzt auch mehrere TV-Sender nach. Vor allem, nachdem dieser wegen sexuellen Übergriffs sowie des Verschleierns von Wahlkampfspenden zu Millionenstrafen verurteilt worden war. Doch seine treuesten Anhänger interessieren all die Klagen und Urteile nicht, denn nach den Worten ihres Anführers ist alles nur eine Hetzjagd des politischen Gegners: »Ich weiß nicht genau, was ihm vorgeworfen wird. Ist mir auch egal«, sagte Trump-Fan Jeff Lenderink einem NBC-Journalisten. »Ich will ihn jetzt sogar noch mehr wählen. Denn wen die Demokraten hassen, den mag ich.«
So extrem diese Aussage auch klingen mag, sie spiegelt eine jahrzehntelange Medienkampagne wider, die die Bevölkerung tief spaltete und für die vor allem der TV-Sender Fox News, aber auch frühere rechte Radiokommentatoren wie Rush Limbaugh und heutige Netz-Influencer wie Charlie Kirk und Ben Shapiro verantwortlich sind. Was auch immer die Demokraten angehen, es wird als kommunistisch, unamerikanisch, gefährlich oder verlogen dargestellt. Da sich Menschen insbesondere in den USA vermehrt nur noch in ihren eigenen Blasen informieren, fehlt ihnen oft die Gegenmeinung. »Sie kommen nur noch in Kontakt mit Trump-Material. Sie suchen nur nach Bestätigung, nicht nach Information«, stellte die Journalistin Couric im Podcast »Hysteria« fest.
Selbst hochgebildete Republikaner sind oft überzeugt davon, dass ihr Land vor einer Übernahme durch linke Radikale stünde. Nur auf dieser Basis ließ sich der Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 erklären. Noch 2016 fanden zwei Drittel der Konservativen Trump persönlich abstoßend, und doch wählten sie ihn. Acht Jahre später wünschte sich nur noch knapp ein Viertel der Republikaner in den Vorwahlen einen anderen Kandidaten, aber selbst von dieser Minderheit können sich nur die Wenigsten dazu durchringen, eine Partei zu wählen, die sie 20, 30 oder gar 50 Jahre lang zu hassen gelernt haben.
Angst vor Kriminalität
Wird keine mediale Gegenöffentlichkeit konsumiert, ist es fast unausweichlich, dass man den Erzählungen von zunehmender Gewalt glaubt. Trump und seine Mitstreiter porträtieren ihr Land und vor allem die von den Demokraten regierten Großstädte seit Jahren als dystopische Orte, in denen es sich nicht sicher leben lasse. Natürlich ist die Waffengewalt in den USA tatsächlich viel höher als etwa in Europa. Doch seit Mitte der 1990er Jahre sind die Kriminalitätsraten mit wenigen Ausnahmen stetig gesunken, teils auf unter 50 Prozent der damaligen Werte.
Dennoch denken die meisten US-Amerikaner, vor allem konservative, einer Langzeitstudie des Meinungsforschungsinstituts Gallup zufolge, dass die Kriminalität in ihrer Gegend immer schlimmer werde. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl auf 56 Prozent. Landesweit, also nicht vor der eigenen Haustür, denken sogar 78 Prozent der Bevölkerung, dass die Kriminalität um sich greife. Trump macht das zum Thema, denn er weiß: Seine Anhänger wollen nicht hören, dass es sicherer sei, wenn sie sich unsicher fühlen.
Der starke Mann am Ruder
Er repräsentiert dabei gern den starken »Macher«, der alle Probleme löst. Und viele Anhänger glauben ihm. Dabei war die Zahl von Gewaltverbrechen in seiner Amtszeit sogar angestiegen. Auch auf anderen Ebenen profitiert Trump von seinem Image als durchsetzungsfähiger Problemlöser, das er als Reality-TV-Star über Jahre aufgebaut hatte. Menschen, die mit dem Status quo unzufrieden sind, wählen ihn in der Hoffnung, er würde »mal richtig aufzuräumen«. Dabei hatte er als Präsident mit Ausnahme von Steuererleichterungen, von denen besonders Superreiche profitierten, im Grunde kein wichtiges Gesetz durch den Kongress bringen können.
Trump aber, so seine Erzählung, sei der Dorn im Auge des Establishments, was immer dieses auch beschützen wolle: Den Religiösen geht es ums Abtreibungsrecht, den entlassenen Arbeitern um die globalisierte Wirtschaft, den Rassisten um Minderheiten. Trump bespielt also mit seinem Image des Machers, der auf politische Korrektheit pfeift, gleich mehrere Wählergruppen. Umso besser, wenn er dafür von anderen gehasst wird. Denn so wird er auch noch zur Kultfigur, die sich für seine Wähler opfert.
Das Gefühl des Machtverlusts
Schätzungen zufolge werden Weiße in den USA im Jahr 2045 nicht mehr die Mehrheit der US-Bevölkerung stellen. Längst wird Politik nicht mehr speziell für sie gemacht. Programme für mehr Diversität und Inklusion von Minderheiten in Behörden, Unternehmen und Bildungseinrichtungen sorgen dafür, dass diese mehr Gelegenheiten zur Teilhabe und zum Aufbau von Vermögen erhalten. Derlei Programme werden von konservativen Weißen nun verteufelt. Sie würden die Teilung der Gesellschaft vorantreiben, da es nicht mehr um Leistungen gehe, sondern um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Dieser Meinung sind viele Millionen, die im Zuge der Globalisierung ihre Jobs verloren haben oder sich durch die grassierende Inflation kaum noch ein Dach über dem Kopf oder einen gefüllten Kühlschrank leisten können.
Diese Schwierigkeiten haben zwar auch Angehörige aller anderen Ethnien, doch in der weißen Arbeiterschaft sind Macht- und Vermögensverlust besonders groß. Auch die TV-Moderatorin Katie Couric sieht in der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich die Wurzel fast allen Übels: »Es gibt Leute ganz oben, die eine Unmenge an Geld anhäufen. Am anderen Ende kommen immer mehr Menschen kaum noch über die Runden. Und ihren Kindern können sie nicht mehr das Leben garantieren, das sie in ihrer Jugend noch führen konnten.« Die Entwicklung wird aber nicht ausbeuterischen Produktionsverhältnissen zugeschrieben, sondern der Inflation und der politisch gewollten Förderung von Minderheiten. »Warum wird ein schwarzes Kind meinem beim Stipendium fürs College vorgezogen, wenn beide die gleichen Leistungen aufweisen«, lautet beispielsweise ist eine machtvolle Botschaft, die von den Republikanern immer wieder reproduziert wird.
Doch nicht nur die Ärmsten befürchten einen Machtverlust. Die Elite der Republikanischen Partei unterstützt Trump fast ausnahmslos, obwohl sie ihn persönlich oft verabscheut. Steuergeschenke für Reiche und damit entweder für die Politiker selbst oder für ihre Großspender im Wahlkampf sind offenbar stärkere Argumente als die Verteidigung der Demokratie.
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