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Blaues Auge für Maia Sandu in Moldau
Moldaus Diaspora verhilft Präsidentin zu einer zweiten Amtszeit
Es war fast Mitternacht in Chisinau, als die Wahlgrafik endlich anzeigte, was die Anhänger von Maia Sandu eigentlich als selbstverständlich ansahen. Moldaus Präsidentin, seit 2020 im Amt, darf eine weitere Wahlperiode regieren. Ein überzeugender Sieg war es nicht.
Nach Auszählung aller Stimmen erhielt die 52-jährige Sandu 55,3 Prozent, ihr Herausforderer Alexandr Stoianoglo kam auf 44,7 Prozent. Lange Zeit schien es, als könne der von den Sozialisten aufgestellte Stoianoglo tatsächlich die Amtsinhaberin schlagen. Erst die letzten zehn Prozent der ausgezählten Stimmen brachten die Wende für Sandu. Es waren die Stimmen der Auslandsmoldauer. Nur dank der Menschen, die dem Land den Rücken gekehrt haben und außerhalb des EU-Beitrittskandidaten ihr Glück suchen, konnte sich Sandu im Amt halten. Schon allein der Fakt, dass die Favoritin Brüssels überhaupt in die Stichwahl gehen musste, hatte an ihrem Selbstverständnis gekratzt. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen verfehlte Sandu mit 42 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit, Herausforderer Stoianoglo, den Sandu im vergangenen Jahr als Generalstaatsanwalt abgesetzt hatte, kam auf 26 Prozent.
Moldau ist ein gespaltenes Land
Sandu hatte die Präsidentschaftswahl zu einer Schicksalswahl erklärt. Zu einer zwischen dem Weg nach Europa oder nach Russland. So interpretierten es zumindest westliche Regierungen. Und lagen damit falsch. Bei der Abstimmung in Moldau ging es um das politische Schicksal der Präsidentin. Moldau ist ein gespaltenes Land, jedoch weniger zwischen Brüssel und Moskau als zwischen Stadt und Land. Wer es sich leisten kann, lebt in Chisinau und reist meist so oft ins Ausland wie zur eigenen Verwandtschaft auf dem Land. Die muss häufig mit einer kleinen Rente über die Runden kommen. Von einem wirtschaftlichen Aufschwung, den Sandu versprochen hat, spüren diese Leute nichts. Die Armutsqoute auf dem Land liegt bei 40 Prozent, in den Städten immerhin noch bei der Hälfte. Wehende EU-Flaggen helfen diesen Menschen reichlich wenig.
Tatsächlich mussten Berater der Präsidentin eingestehen, dass groß angekündigte Infrastrukturprojekte das Leben der meisten Menschen nicht verbessert haben. Auch versprochene Justizreformen hat Moldaus Präsidentin bisher nicht umgesetzt.
Sandu sucht überalle die russische Spur
Größere Aufmerksamkeit schenkte Sandu hingegen der Opposition und allem, was vermeintlich nach Russland riecht. Mit der Führung der autonomen Region Gagausien liegt sie schon länger im Clinch. Dem neuen Başkan, dem Oberhaupt der Region, Evghenia Gutul, verweigerte sie nach der Wahl 2023 lange die verfassungsmäßig verankerte Mitbestimmung auf Landesebene.
Im vergangenen Jahr ließ die Sandu-Regierung zudem die Lizenzen von sechs oppositionellen TV-Sendern mit dem Argument aussetzen, diese würden mit illegalen Geldern finanziert und verbreiteten Desinformation. Kritische Stimmen aus der EU blieben aus.
Schon das EU-Referendum wurde knapp entschieden
Auch Sandus Wahlkampagne spielte vor allem mit dem Schreckgespenst Russland und dessen vermeintlichem oder realem Einfluss. Stoianoglo wurde als »trojanisches Pferd des Kreml« präsentiert. Dass er sich einer europäischen Integration gar nicht entgegenstellt und sie vielmehr als »nationale Idee Moldaus« bezeichnete, ignorierten Sandus Wahlkämpfer. Auch dass er Russlands Invasion in der Ukraine verurteilte, interessierte das Präsidentenlager nicht. Allein der Fakt, dass Stoianoglo auch mit Moskau reden will, reichte, um ihn zu diskreditieren.
Anders als im westlichen Ausland kam das bei den Menschen in Moldau nicht gut an. Die Quittung dafür bekam Sandu im ersten Wahlgang, in dem sie wider, aus ihrer Sicht überraschend, nicht die absolute Mehrheit holte. Auch das knappe EU-Referendum, bei dem eine hauchdünne Mehrheit dafür votierte, den EU-Beitritt in die Verfassung aufzunehmen, war ein deutliches Signal gegen die Präsidenten. Auch hier retteten sie lediglich die Auslandsmoldauer.
Auslandsmoldauer retten Sandu
Dass Sandu überhaupt die Chance auf eine zweite Amtszeit hatte, ist auch dem letztendlich blass gebliebenen Stoianoglo zu verdanken, der teilweise nicht wirkte, als ob er wüsste, wofür er zur Wahl steht. Sein Team muss sich ankreiden, zur Stichwahl nicht mobilisiert zu haben. Anders als Sandu, die auf den letzten Metern ihre verkorkste Präsidentschaft retten konnte und 275 000 Wähler mehr von sich überzeugen konnte als im ersten Wahlgang.
Doch nach der Wahl ist vor der Wahl. 2025 wird das Parlament gewählt. Die Chancen stehen gut, dass die Opposition gewinnt und Sandu zu einer Lame Duck wird.
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