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Antisemitismus: Linke bringt Alternativresolution ein
Kritik an »Extremismus-Klausel« in geplantem Beschluss zu Antisemismus von Ampel und Union
Nach monatelangem Ringen wollen die Regierungsfraktionen und die Union am Donnerstagmorgen im Bundestag eine gemeinsame Resolution gegen Antisemitismus beschließen. An dieser Entschließung mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« gibt es weiterhin massive Kritik von Organisationen, Verbänden sowie Vertreter*innen aus Wissenschaft und Kultur aus Deutschland und Israel. Deshalb wollen Abgeordnete der Linken im Bundestag der Resolution nicht zustimmen. Das bestätigten die Büros der Gruppenvorstände Heidi Reichinnek und Sören Pellmann auf Anfrage des »nd«.
Zudem bringt die Linke einen Änderungsantrag ein, der in wesentlichen Teilen auf einem Alternativentwurf von sechs Jurist*innen und Wissenschaftler*innen basiert, den diese vergangene Woche in der »FAZ« vorgestellt haben. Zu den Verfasser*innen gehört der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg Ralf Michaels, der Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof Jerzy Montag sowie der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Andreas Paulus.
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»Wir halten deren Text für eine wesentlich bessere Diskussionsgrundlage und hoffen, dass sich die anderen Fraktionen davon auch überzeugen lassen«, sagt Reichinnek zu dem Alternativentwurf. Die Antisemitismus-Resolution von Ampel und Union enthalte zudem »eine Art ›Extremismus-Klausel‹«, die der Demokratie »weiteren schweren Schaden zufügt«, erklärt Pellmann. Das sei die einhellige Meinung in der Linke-Gruppe.
Auf Passagen, die Kritik am israelischen Regierungshandeln als antisemitisch einstufen wollen, verzichten die Verfasser*innen in ihrem Alternativentwurf, ebenso auf die Forderung nach Verschärfungen im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht. Auch Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit oder andere Grundrechte, etwa wenn Hochschulangehörige die Politik Israels im Nahost-Konflikt kritisieren, kommen nicht vor. Zunehmender Antisemitismus wird darin auch nicht einer »Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens« angelastet. Statt umstrittene Schablonen zu verwenden, solle bei umstrittenen Aussagen in jedem Einzelfall beurteilt werden, ob eine Aussage antisemitisch ist. »Wir wenden uns gegen die Instrumentalisierung von Antisemitismusvorwürfen zur Erreichung politischer Ziele, ganz gleich von welcher Seite«, heißt es in dem Papier.
»Wir halten deren Text für eine wesentlich bessere Diskussionsgrundlage.«
Heidi Reichinnek Vorstand der Linke-Gruppe
In einem offenen Brief hatten am Wochenende weit über 3000 Gruppen und Einzelpersonen gefordert, eine Debatte über den alternativen Vorschlag zu führen. Das will die Linke nun unterstützen. Am Dienstag haben die Mitglieder ihren Änderungsantrag – allerdings nach hitzigen Diskussionen – in der Gruppensitzung angenommen und am Mittwochmorgen an die anderen Fraktionen im Bundestag geschickt. Ob dieser Entwurf tatsächlich im Plenum abgestimmt wird, ist allerdings noch offen. Am Donnerstagmorgen trifft sich die Linke-Gruppe vor der Bundestagsdebatte zu einer Sondersitzung. Dort soll eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten beschlossen werden.
Einzelne Linke-Abgeordnete haben auf Nachfrage des »nd« bereits Stellung genommen. Die vorliegende Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verfehle dieses »löbliche Ziel«, weil es den Kampf gegen Antisemitismus mit Kritik an der israelischen Besatzungspolitik verknüpft, erklärt etwa die gesundheits- und queerpolitische Sprecherin Kathrin Vogler. Statt das Engagement der Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus zu würdigen oder zu unterstützen, würden drastische staatliche Eingriffe in Grundrechte wie Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gefordert. Dagegen wende sich der Änderungsantrag der Linken.
Der Antrag der Ampel-Fraktionen und der Union sei ohne Beteiligung der Öffentlichkeit erarbeitet worden, was die Akzeptanz in der Gesellschaft in Frage stelle, kritisiert Gökay Akbulut, die frauenpolitische Sprecherin der Gruppe. »Zudem orientiert er sich einseitig an der IHRA-Antisemitismusdefinition, wodurch die Gefahr besteht, dass legitime Kritik an der israelischen Regierungspolitik unterdrückt wird.« Der eigene Änderungsantrag begreife den Kampf gegen Antisemitismus »als Teil eines universellen Kampfes gegen alle Formen von Rassismus«.
Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe im Bundestag, sagt gegenüber »nd«, man könne der Resolution nicht zustimmen, da sie Minderheiten gegeneinander ausspiele und es an konkreten Vorschlägen für Maßnahmen zum Schutz jüdischen Lebens fehle. »Außerdem verlagert sie die Verantwortung für Antisemitismus auf Menschen mit Migrationshintergrund, statt anzuerkennen, dass Antisemitismus wesentlich eine europäische Tradition hat, die mit der Shoah in Deutschland und Europa ihren präzedenzlosen Höhepunkt fand.«
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