Pflegetag: Mit Geld und Menschen – ohne Lindner

Pflegerat drängt auf Kompetenzgesetz und hofft auf mehr Mittel durch Ampel-Ausstieg der FDP

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.
Pflegeassistentinnen aus China betreuen einen Bewohner eines Seniorenzentrums in Magdeburg.
Pflegeassistentinnen aus China betreuen einen Bewohner eines Seniorenzentrums in Magdeburg.

Der Bruch der Ampel-Koalition ist als Nachbeben auch auf dem am Donnerstag begonnenen Deutschen Pflegetag 2024 allgegenwärtig. Es ist die elfte Auflage des größten Pflegekongresses in Deutschland, und die Messehalle in Berlin ist mit einem Besucher*innenrekord von etwa 9000 Teilnehmenden aus allen Bereichen der Pflegebranche rappelvoll.

Nicht allein wegen der Regierungskrise ist die Veranstaltung in diesem Jahr mehr als sonst politisch aufgeladen. Das Motto »Pflege zeigt Haltung« stand schon vorher fest und ist angesichts der um sich greifenden rechten politischen Zumutungen ein Bekenntnis zu einer weltoffenen Gesellschaft. Dieses Zeichen sendet der Pflegetag in diesem Jahr auch mit einem riesigen Transparent mit der Aufschrift »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, das an der Fassade der Halle angebracht ist.

Drinnen sagt die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), Christine Vogler, bei ihrer Eröffnungsrede unmissverständlich: »Menschen, die unsere Werte von Gleichberechtigung und Würde nicht teilen, haben in der Pflege nichts zu suchen.« Dann schallt aber ein weiterer Satz durch den prall gefüllten großen Saal und auch über die Lautsprecher in das Foyer und die Messehalle hinein: »Der Koalitionsbruch ist für uns ehrlich gesagt eine Katastrophe.« Vogler wiederholt diesen Satz immer wieder, ob bei ihrer Eröffnungsrede oder in die Mikrofone der Journalist*innen. Sie mache sich große Sorgen, dass durch die nun entstandene Situation das bereits ausgearbeitete Pflegekompetenzgesetz nicht kommt. »Wenn das Gesetz nicht bald verabschiedet wird, wird das den Pflegeberuf in diesem Land weit zurückwerfen«, so Vogler.

Nach dem sogenannten Diskontinuitätsprinzip landen nun alle geplanten Gesetze erst mal auf Eis, und es kann dauern, bis sie wieder ins parlamentarische Verfahren aufgenommen werden.

»Wenn das Gesetz nicht bald verabschiedet wird, wird das den Pflegeberuf in diesem Land weit zurückwerfen.«

Christine Vogler Deutscher Pflegerat

Angesichts dessen, dass die Pflege hierzulande im europäischen Vergleich etwa in Sachen Kompetenzverteilung und Enthierarchisierung bereits seit Jahren ziemlich weit zurückliegt, wäre es eine Art Bankrotterklärung, wenn ein so wichtiges Gesetz tatsächlich aufgeschoben wird. Das Pflegekompetenzgesetz sieht unter anderem vor, dass die pflegerischen Kernaufgaben sektorenübergreifend gleichberechtigt gelten und ohne Ermächtigung durch andere Heilberufe erbracht werden dürfen. Überdies fordert der DPR seit Jahren die Schaffung einer hauptamtlichen Institution als Selbstverwaltung aller Pflegeberufe auf Bundesebene sowie die Sicherung der langfristigen Finanzierung.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kam als Schirmherr des Pflegetages wie schon in der Vergangenheit auch dieses Jahr persönlich, um den Tausenden Pfleger*innen seine Unterstützung zuzusichern. Unter befreiendem Gelächter wurde seine leichte Verspätung im Saal angekündigt: »Der Minister kommt gleich, er steht noch an der Ampel«, hieß es.

Als er dann da war, versprach Lauterbach, er wolle alle genannten Forderungen erfüllen. Er kam jedoch auch nicht umhin zu konstatieren, dass »die Stimmungslage auch in der Pflege in den letzten Jahren immer schlechter geworden« sei. »Wir versuchen stetig und mit System, die Pflege besser zu vergüten«, betonte er. Noch wichtiger sei aber, dass die zentrale Bedeutung der Pflege für die Gesundheitsversorgung in Deutschland immer stärker herausgestellt werden müsse. »Pflege kann viel mehr, als sie in Deutschland darf«, so der Gesundheitsminister. Es mache keinen Sinn, dass aus Hierarchiegründen Pflegekräfte herabgesetzt würden, obwohl sie Ärzten oft erst erklärten, was eigentlich zu tun sei. »Die Arbeit der Pflege ist für die Gesundheitsversorgung genauso wichtig wie die Arbeit von Ärzten«, schmeichelte er sich bei seinem Publikum ein.

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Dann ging auch er auf das diesjährige Motto ein und machte deutlich: »Wir können uns aufgrund des steigenden Fachkräftemangels auch in der Pflege die erbärmliche Fremdenfeindlichkeit nicht leisten.« Der Bedarf an Pflegekräften steigt laut Statistischem Bundesamt bis 2049 auf 2,15 Millionen, was bedeutet, dass laut Vorausberechnung bis zu einer halben Million zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden. Im Jahr 2023 waren laut BKK-Dachverband etwa 270 000 professionelle Pflegekräfte aus dem Ausland in Deutschland tätig. Damit liegt der Prozentsatz ausländischer Pflegekräfte bei mittlerweile 16 Prozent.

Mit dem Rausschmiss Christian Lindners (FDP) aus der Regierung besteht zudem Hoffnung, dass die Schuldenbremse aufgehoben und Geld freigemacht wird, nicht nur für immer höhere Rüstungsausgaben, sondern auch, um die dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen zu forcieren.

Angesichts der auch bei den Pflegekassen und Kommunen als Sozialhilfeträger knapper werdenden Ressourcen müsse die Liquidität mit etwa 10 Milliarden Euro bis 2030 schnell gesichert werden, forderte der Geschäftsführer des Deutschen Pflegetages Jürgen Graalmann. Derzeit halte die Infrastruktur zur pflegerischen Versorgung in keiner Weise mit dem steigenden Bedarf mit – im Gegenteil: »Allein 2023 mussten Hunderte ambulante Pflegedienste Insolvenz anmelden, womit Pleiten im Gesundheitswesen inzwischen doppelt so häufig sind wie in der Gesamtwirtschaft«, so Graalmann. Und das in einer Situation, in der die Zahl pflegebedürftiger Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung rasant zunimmt. »In den nächsten 25 Jahren wird diese Zahl von heute etwa 5 Millionen Menschen auf 7,5 Millionen anwachsen«, rechnete er vor.

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