- Wirtschaft und Umwelt
- Weltklimakonferenz COP 29
Klimapolitik unterm Tarnmantel
Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie dominiert mittlerweile auch den Umweltbereich
Politisch angeblich Nebensächliches wie Familie, Frauen und Jugend bezeichnete ein früherer sozialdemokratischer Kanzler bekanntlich gern als »Gedöns«. Den Status hat nun auch das Klima erreicht. Das zeigt die Absage des noch regierenden SPD-Kanzlers Olaf Scholz für den am Montag beginnenden Weltklimagipfel COP 29 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.
Dass er entgegen früherer Planung nicht dorthin reist, wird auch dadurch nicht besser, dass sich aus verschiedenen Gründen auch die Staatschefs von Indien, China, Brasilien und den USA in Baku nicht sehen lassen werden. Deutschland war immer stolz darauf, die globale Klimapolitik voranzutreiben, wenn andere ausfielen oder zögerten. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei.
Klimapolitik wird in Deutschland auch nicht mehr so direkt beim Namen genannt. Gern hängt man ihr eine Art Tarnmantel um und ändert das sogenannte Framing – die Erzählung also, warum die Leute ein bestimmtes politisches Vorhaben gut finden sollen. Über Dinge wie einen schnellen Fossil-Ausstieg, weniger Autos oder die Halbierung der Tierhaltung zu reden, soll derzeit tunlichst vermieden werden.
Das Klimathema gibt inzwischen die perfekte Tarnung ab für alle möglichen Interessen.
Dagegen wurde es eine sehr beliebte Erzählung, zu behaupten, Klimaschutz habe den Zweck, den Standort Deutschland konkurrenzfähig zu halten. »Ohne Wettbewerbsfähigkeit wird es keine Transformation geben. Ohne Transformation werden wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf Dauer nicht erhalten können«, dichtete jüngst die PR-Abteilung von Wirtschaftsminister Robert Habeck, als der Grüne am selben Tag zuerst Klimaschutzverträge an die Industrie übergab und anschließend sowohl beim Klimakongress der deutschen Industrie als auch bei einem zivilgesellschaftlichen Klima-Tag auftrat.
So ein Stichwort wie »Wettbewerb« zieht weitere Tarnworte nach sich: CO₂-Märkte, grüne Leitmärkte oder den beliebten und sogar von Kanzler Scholz selbst ins Leben gerufenen Klimaklub. Der hat unter dem Vorsitz von Chile und Deutschland inzwischen 70 Mitglieder. Was machen die da? Es gehe um gemeinsame grüne Standards, war zu hören. Sorgt so ein Klub aber auch dafür, das wichtigste Klimaproblem zu lösen und die globalen CO₂-Emissionen real zu senken? Man weiß es nicht.
Die meisten Leitmärkte sind weiter fossil, schaut man auf die Förderpläne der Gas- und Ölkonzerne. Nicht einmal der globale Kohleausstieg befindet sich in Reichweite und wird beim Gipfel in Baku auch nicht beschlossen werden. Die Kipp-Punkte des Klimasystems kommen näher.
Aber selbst das Kipp-Bild lässt sich positiv framen, wie Außenministerin Annalena Baerbock letzte Woche im Bundestag vorführte. Der wirtschaftliche Erfolg des Klimaschutzes sorge für einen »positiven Kipp-Punkt«, sagte Baerbock. Wie das? Die erneuerbaren Energien, erläuterte die grüne Ministerin, hätten inzwischen einen Stand erreicht, bei dem keine verantwortungsvolle Volkswirtschaft – auch nicht die der USA – es sich leisten könne, alles wieder zurückzudrehen.
Das Klima kippt vielleicht, aber die Energiewende wahrscheinlich nicht mehr. Das klingt doch sehr beruhigend.
Heute genügt es auch nicht mehr zu sagen: Deutschland reicht Gelder aus, um die Klimakrise zu bekämpfen, weil es als Industrieland eben diese maßgeblich mit verursacht hat und immer noch verursacht. Das überzeugt die Leute nicht mehr. An der Universität Göttingen analysierte jüngst eine Studie, wie die Zahlungen der Entwicklungszusammenarbeit mit den deutschen Warenexporten in die jeweiligen Empfängerländer zusammenhängen. Und siehe da: Es gibt einen »positiven Nebeneffekt«, wie es in der Studie heißt. Nach den ermittelten Zahlen erhöhte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Schnitt der Jahre 2013 bis 2023 die Warenexporte deutscher Unternehmen pro Jahr um fast acht Milliarden Euro – oder anders gerechnet: Jeder Entwicklungseuro lässt die Exporte made in Germany um weitere 36 Cent steigen. »Investitionen in nachhaltige Infrastruktur und Klimaschutz verbessern die Marktchancen deutscher Unternehmen in den Partnerländern«, erklärte Christiane Laibach vom Vorstand der bundeseigenen KfW-Bankengruppe zu der Studie.
Die Göttinger Studie entdeckte übrigens noch einen weiteren, eher immateriellen Effekt: In den Partnerländern werde »Made in Germany« bekannter und wecke »positive Assoziationen«. Wo Deutschland also in Klimaschutz investiert, denken die Leute besser von uns. Das ist doch was.
Damit nähert sich Klimaschutz der Geopolitik an. Ist China nicht gerade dabei, sich etwa in Afrika oder Ozeanien dank immenser Infrastruktur-Investitionen neue Freunde zu verschaffen? Dass Deutschland da mit Klimapolitik gegenhalten kann, ist für Annalena Baerbock klar. Um für Klimaschutz zu werben, sollten nicht länger Eisbären plakatiert, sondern Kraftwerke gebaut werden, erklärte die Außenministerin kürzlich bei einem Briefing im Vorfeld des Weltklimagipfels. Die Klimakrise müsse quer durch alle Ressorts gedacht werden, betonte Baerbock. Das Auswärtige Amt mache deswegen eine »Klimaaußenpolitik«, das Wirtschaftsministerium eine »Klimaindustriepolitik«, das Umweltministerium eine Klimapolitik mit Blick auf Biodiversität und Wasserschutz, das Landwirtschaftsministerium eine für Ernährungssicherheit – und im Verteidigungsministerium werde »Klimaschutzpolitik aufgrund von Sicherheitspolitik« gemacht, scrollte sich Baerbock durch die Ressorts.
Das Klimathema gibt inzwischen offenbar die perfekte Tarnung ab für alle möglichen Interessen. Gegen so ein Framing lässt sich schwer etwas vorbringen – wer will schon gegen Klimaschutz sein?
Von Zeit zu Zeit aber fällt die Tarnkappe, zum Beispiel wenn Olaf Scholz seine Teilnahme am Weltklimagipfel absagt. Weltweite Hitzerekorde? Sintflutartige Überschwemmungen? Oder die nunmehr nachgewiesene Überschreitung des 1,5-Grad-Limits? Das reicht dem Kanzler nicht. Im Falle des Falles ist Klimaschutz doch nur Gedöns.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.