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Ausgebremste Wirtschaft

Sachverständigenrat ruft in seinem Jahresgutachten die Bundesregierung zu mehr Investitionen auf

Der Kanzler bei der Übergabe des Jahresgutachtens
Der Kanzler bei der Übergabe des Jahresgutachtens

Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich seit Längerem in der Stagnation. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen fünf Jahren real nur um 0,1 Prozent gewachsen. Damit fällt Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurück, schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten. Das Beratergremium der Bundesregierung erwartet, dass die deutsche Volkswirtschaft auch im Jahr 2024 stagnieren und sich erst im Verlauf des Jahres 2025 »leicht« erholen wird. »Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird«, erläuterte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats. Die Gründe lägen teilweise Jahrzehnte zurück, sagte sie bei der Übergabe des Gutachtens an Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Je härter die Auseinandersetzung der beiden Wirtschaftsmächte USA und China im globalen Handel wird, umso größer wird der Druck auf die deutsche exportorientierte Wirtschaft. Rund jeder vierte Arbeitsplatz hierzulande hängt direkt vom Export ab. Zugleich holen andere Länder technologisch auf. Der Sachverständigenrat, dessen Zentrale in diesem Jahr von Wiesbaden nach Berlin umgezogen ist, schaut daher besonders genau auf die Entwicklung von Investitionen und Produktivität.

»Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird.«

Monika Schnitzer Vorsitzende der Wirtschaftsweisen

Dass die Produktivitätszuwächse sinken, ist zwar seit geraumer Zeit bekannt, wurde aber vom Sachverständigenrat und vielen anderen Ökonomen lange vernachlässigt. Seit Mitte der Neunzigerjahre ist die frühere Dynamik in den klassischen, westlichen Industriestaaten gebrochen. In Deutschland lagen die Zuwäche zunächst lange um die zwei Prozent, dann gingen sie nach und nach auf 0,4 Prozent zurück. Seit 2028 sinkt das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt sogar. Dies erklärt, warum trotz steigender Beschäftigtenzahl die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsleistung unterm Strich seit Jahren stagniert.

Ein wesentlicher Grund sind die zu geringen Investitionen. Hier liegt Deutschland in der Liste der Industriestaatenorganisation OECD auf dem letzten Platz. Mit einer Investitionsquote von insgesamt vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts leben Wirtschaft und auch der Staat auf Verschleiß. Öffentliche Ausgaben, deren Erträge erst in fernerer Zukunft realisiert werden, »sind in vielen Bereichen seit Jahren gering und fallen auch im europäischen Vergleich niedrig aus«, wird die Politik vom Sachverständigenrat in die Pflicht genommen. Das gelte insbesondere für Ausgaben in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Bildung. Die teilweise marode Infrastruktur dämpfe zugleich die Neigung der Unternehmen, in Deutschland zu investieren. Seit 2010 haben sich die privaten Investitionen halbiert. Die Modernisierung der Volkswirtschaft solle nun endlich angegangen werden, fordern die Ökonomen.

Der Sachverständigenrat, umgangssprachlich die »fünf Wirtschaftsweisen« genannt, wurde 1963 von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) in Zeiten des Nachkriegsbooms durchgeboxt. Damit sollte die politische Debatte in Bonner Regierungskreisen und im Bundestag versachlicht werden. Berufen werden die Mitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung, was zu einem »Proporz der Mitte«, manche Kritiker meinen sogar »der Mittelmäßigkeit«, führte. So wurden prominente links-alternative Ökonomen wie Rudolf Hickel oder Helge Peukert tunlichst übergangen. Immerhin wird bei einem der Weisen den Gewerkschaften ein Mitspracherecht gewährt. Das gilt aktuell für Achim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen.

Seit Monaten gibt es Streit um ein Aufsichtsratsmandat der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm bei Siemens Energy. Die vier anderen Mitglieder des Gremiums sehen darin ein Problem und haben Grimm aufgefordert, entweder auf das Mandat bei Siemens Energy oder auf ihren Posten im Sachverständigenrat zu verzichten. Die Ökonomin wies jedoch mögliche Interessenkonflikte zurück. Mittlerweile wird der Konflikt vor Gericht ausgetragen.

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