Politischer Journalismus: Von TikTok zu PlemPlem

Sheila Mysorekar kritisiert die Selbstdarstellung von Politiker*innen - und das Berichten der Medien darüber

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) präsentiert sich inzwischen auch auf TikTok. Was soll das?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) präsentiert sich inzwischen auch auf TikTok. Was soll das?

Ampelzerfall und ein beleidigter Christian Lindner: Die stellvertretende Chefredakteurin der »Zeit«, Charlotte Parnack, brachte es auf den Punkt, als sie schrieb: »Die Ego-Parade mackert sich durch Berlin. Der Robert; der Friedrich; der Markus; der Volker; eine ganz starke Männerrunde. Egos, Egos, Egos.« Alle Politiker haben große Egos und stellen sich gerne zur Schau; das ist nichts Neues. Das kennen wir von Food-Blogger Markus Söder (CSU), der in seinem Nebenjob Ministerpräsident von Bayern ist und hauptsächlich damit auffällt, dass er sich beim Wurstessen fotografieren lässt und in Bierzelten rechte Sprüche klopft.

Das Problem ist, dass Politikjournalismus inzwischen diesen Trend bedient. Warum wird jedes Mal eine Schlagzeile daraus, wenn Jens Spahn (CDU) irgendetwas Bescheuertes fordert wie etwa die Streichung von Bürgergeld für »Arbeitsunwillige«? Oder wenn Söder behauptet, dass die Grünen Fleisch verbieten wollen, einfach eine dreiste Lüge? Warum wird solch ein Unsinn überhaupt veröffentlicht?

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Viele Medien fokussieren sich auf Politiker, anstatt sich auf Sachfragen zu konzentrieren wie etwa, was es für Deutschland und die globale Klimakatastrophe bedeutet, wenn der Spitzenkandidat der CDU/CSU etwas gegen Windräder hat und lieber den Bau neue Atomkraftwerke prüft. Friedrich Merz ist einer planetaren Herausforderung wie dem Klimawandel einfach nicht gewachsen; er versteht anscheinend die Dimension nicht, oder sie ist ihm egal. Dies hat jedoch massive Auswirkungen auf uns, auf die Bevölkerung. Darüber müssen wir diskutieren, nicht über Befindlichkeiten von Politikern. (Gendern ist an dieser Stelle nicht notwendig.)

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

Es geht jedoch in der Berichterstattung zunehmend um Persönlichkeiten. Politik, insbesondere Wahlkampf, ist inzwischen ein Informationskrieg, wie wir gerade in den USA gesehen haben: Bots bringen Falschnachrichten über Parteien in Umlauf; der Algorithmus für personalisierte Social Media-Feeds sorgt dafür, dass die meisten Menschen nur noch stark emotionalisierte Nachrichtenschnipsel zu sehen bekommen. Und da zählt Polarisierung mehr als Sachfragen – siehe Donald Trump.

Statt bewusst auf das Gegenteil zu setzen, also gut recherchierte, verlässliche, unparteiische Information zu liefern, versuchen Politik und Medien, auf diesen Zug aufzuspringen. Selbst der knochentrockene Olaf Scholz macht diesen Trend mit. Der Bundeskanzler hat einen völlig nichtssagenden TikTok-Kanal, wo er – oder seine Social Media-Mitarbeitenden – Videos von ihm mit seiner Aktentasche posten. Was soll das? Wir können den Informationskrieg gegen russische Bot-Fabriken und jene Medienhäuser oder Social Media-Plattformen wie X (vormals Twitter), die von rechtsgerichteten Milliardären kontrolliert werden, keinesfalls gewinnen, indem wir ihre Methoden und Inhalte nachahmen.

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Ein schlechtes Beispiel ist der Öffentlich Rrechtliche Rundfunk (ÖRR). Ich bin eine eiserne Verfechterin des ÖRR, aber trotzdem kritisch gegenüber der Berichterstattung. Er trägt maßgeblich dazu bei, die rechtsextremen Positionen der AfD zu normalisieren, indem ihre Vertreter*innen als »normale« Politiker*innen behandelt werden – man lädt sie in Talkshows ein und gibt ihnen in freundlichen Sommerinterviews den Raum, sich bürgernah zu präsentieren. Öffentlich rechtliche Sender sind übrigens nicht dazu verpflichtet, Rechtsextreme zu Wort kommen zu lassen, auch wenn sie im Bundestag sitzen. »Bei Themen wie Migration oder Bürgergeld übernehmen selbst etablierte Medien bis hin zu den Öffentlich-Rechtlichen immer häufiger populistische Strategien und rechtes Framing«, schreibt René Martens in der »Kontext: Wochenzeitung«.

Zu den populistischen Strategien gehört auch die Abwertung von Arbeitslosen, indem ihnen Arbeitsunwilligkeit unterstellt wird. Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, scheint sich mit seinem Parteifreund Spahn gut zu verstehen. Er machte klar, dass eine CDU-geführte Regierung sofort das Bürgergeld streichen würde. Das wird dann zu einer Schlagzeile, zum Beispiel in der »Stuttgarter Zeitung«, als wäre die Aufkündigung unseres solidarischen Sozialstaats das Normalste der Welt. Warum protokollieren manche Medienschaffende dies einfach ohne jede Einordnung? »Warum wird so jemand Journalist?« fragt die ›Kontext: Wochenzeitung‹. Gute Frage.

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