Regieren in Sachsen: Kretschmer versucht es ohne Mehrheit

CDU und SPD erwägen Minderheitskoalition. Streitpunkte sind Migration und Finanzen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Petra Köpping (SPD) holte CDU-Regierungschef Michael Kretschmer sogar auf ihre Wahlplakate. Beide regieren seit 2014 gemeinsam.
Petra Köpping (SPD) holte CDU-Regierungschef Michael Kretschmer sogar auf ihre Wahlplakate. Beide regieren seit 2014 gemeinsam.

Er hat es partout nicht gewollt. Im Wahlkampf sprach sich Sachsens CDU-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Michael Kretschmer immer wieder gegen eine Minderheitsregierung aus. Er verwies darauf, dass eine solche Konstellation ständige, zeitintensive Verhandlungen im Landtag nach sich ziehe, wo für jedes Gesetz und jede Personalentscheidung Mehrheiten organisiert werden müssen, und warnte unter Verweis auf die dortige Konstellation vor »Thüringer Verhältnissen« in Sachsen.

Genau diese scheint er nun zu bekommen. Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen CDU, SPD und BSW über eine »Brombeer-Koalition« gibt es wenige Alternativen zu einer Koalition ohne eigene Mehrheit. Auf dem Papier besteht zwar die Option eines Viererbündnisses aus CDU, SPD, Grünen und Linke, das im Landtag über 64 der 120 Stimmen verfügte. Doch zur Linken hat die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst, und zwischen CDU und Grünen herrscht nach einer aggressiven Wahlkampagne Kretschmers gegen die Ökopartei Eiszeit. Eine klare Mehrheit gäbe es mit der AfD, doch mit der, wie er sagt, »in Teilen rechtsextremen« Partei will Kretschmer nicht regieren.

Bleibt nur die Wahl zwischen Minderheitsregierung und Neuwahlen. Kretschmer beißt deshalb in den sauren Apfel, auch wenn das »alles andere als einfach« werde, wie er jetzt sagte. Zunächst soll der Versuch unternommen werden, dafür mit der SPD handelseinig zu werden. Man lade diese zu Gesprächen ein, erklärte der neue CDU-Generalsekretär Tom Unger und fügte hinzu: »Stabilität bleibt die Priorität der sächsischen Union.« Die SPD-Landesspitze nahm die Einladung an und erklärte, in der schwierigen Lage gelte die Devise »Erst das Land, dann die Partei«. Am Donnerstag redeten zunächst Spitzenvertreter beider Parteien miteinander, später wollten die jeweiligen Fraktionen und Landesvorstände beraten.

Auf den ersten Blick spricht wenig dagegen, dass der Versuch gelingt. Während man bei den »Brombeer«-Sondierungen mit den Politikneulingen des BSW am Tisch saß, kennen sich die Spitzenleute von CDU und SPD aus zehn Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit. SPD-Landeschef Henning Homann zeigte sich im Interview der »Freien Presse« denn auch zuversichtlich, dass eine Regierungsbildung noch vor Weihnachten denkbar sei. Er fügte indes an, das gelte, »wenn wir es schaffen, uns auf Sachsen zu konzentrieren.«

»Erst das Land, dann die Partei.«

Henning Homann und Kathrin Michel 
SPD-Landesvorsitzende Sachsen

An einer Frage, die formal nicht in die Zuständigkeit der Länder fällt, waren bereits die Sondierungen mit dem BSW gescheitert: Wichtigster Knackpunkt waren Formulierungen zum Thema Frieden. Auch zwischen CDU und SPD gibt es erhebliche Differenzen bei einem Thema, das nur in Teilen Ländersache ist: Asyl und Migration. Den Ausführungen von BSW-Vertretern nach dem Ende der mit ihnen geführten Gespräche ließ sich entnehmen, dass die CDU sehr zum Missfallen der SPD nicht nur ein Landes-Ausreisezentrum und eine »Taskforce Abschiebungen« im Freistaat durchsetzen, sondern auch auf eine Reform des Asylrechts im Bund hinwirken und Änderungen in der Frage der sicheren Herkunftsländer erreichen will.

Unterschiedliche Positionen gibt es zudem in der Finanzpolitik. Die CDU hält an einem restriktiven Kurs fest und weicht nicht von der Schuldenbremse ab. Die SPD drängt dagegen auf Investitionen und verlangt dazu ein Sondervermögen.

Insofern ist es durchaus offen, ob beide Parteien unter einen Hut kommen. Selbst wenn es ihnen gelänge, einen Koalitionsvertrag zu schließen, folgte danach eine nicht minder schwierige Aufgabe. Es müssten Mehrheiten im Landtag organisiert werden, zuvörderst für die Wahl eines Ministerpräsidenten, die laut Landesverfassung bis 3. Februar erfolgt sein muss. Linke, Grüne und BSW haben jeweils schon erklärt, dass sie nicht um jeden Preis zur Verfügung stehen.

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