Zentrum Liberale Moderne: Rechtsliberale Geopolitik

Das Zentrum Liberale Moderne veranschaulicht, wohin sich das grüne Milieu wohl entwickeln wird

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Dackel Zora und Ralf Fücks, Geschäftsführender des Zentrums Liberale Moderne, bei einer Parteiveranstaltung der CDU.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Dackel Zora und Ralf Fücks, Geschäftsführender des Zentrums Liberale Moderne, bei einer Parteiveranstaltung der CDU.

Nach den Bundestagswahlen 2021 rieben sich viele Unterstützer der Grünen verwundert die Augen. War die Partei vor dem Urnengang noch mit dem Motto »Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete« hausieren gegangen, engagierte sich nun selbst der linke Parteiflügel für umfangreiche Waffenlieferungen. Gerechtfertigt wurde diese Kehrtwende, wie schon Ende der 1990er Jahre, mit der Verteidigung der Menschenrechte. Doch jenseits der Rhetorik ging es wie einst unter Joschka Fischer auch diesmal um eine wirtschafts- und geopolitische Neuausrichtung der Partei.

Einer der wichtigsten Vordenker dieser Verschiebung ist der ehemalige Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks. Der 1951 geborene Sozialwissenschaftler, der seine Karriere als Führungskader im stalinistischen Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) begann, wechselte 1982 nach dem Zusammenbruch des Maoismus in China zu den Grünen, wo er gemeinsam mit den KBW-Genossen Reinhard Bütikofer und Winfried Kretschmann zu einem Wortführer der »Realpolitik« wurde und (in der ersten deutschen Ampelkoalition) zum Bremer Bürgermeister aufstieg.

Seine eigentliche Rolle fand Fücks dann als Vordenker des grünen Wirtschaftsliberalismus. Noch als Leiter der Böll-Stiftung, der er 1997 bis 2017 vorstand, strickte er an einer neuen Wachstumserzählung, die das unternehmerische Bürgertum mit den Grünen versöhnen sollte. In seinem Buch »Intelligent wachsen« versprach Fücks eine neue Gründerzeit, die Europa zum Vorreiter einer »grünen industriellen Revolution« machen sollte. Dass die versprochene Abkoppelung der Wertschöpfung von den Umweltbelastungen eine Chimäre ist (weil auch E-Autos im großen Stil Energie und Rohstoffe verbrauchen), blendete Fücks wissentlich aus. Es ging ihm ums politische Narrativ, nicht um einen realistischen Ausweg aus der ökologischen Krise.

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Seinem eigentlichen Herzensprojekt, nämlich der Geopolitik, widmete sich Fücks dann ab 2017 nach dem Ausscheiden aus der Böll-Stiftung. Zusammen mit seiner Ehefrau Marieluise Beck, einer ehemaligen Osteuropa-Expertin der Grünen, gründete er das parteiunabhängige Zentrum Liberale Moderne, das offen für eine geopolitische Konfrontation mit Russland und China wirbt. Bei der Begründung greift der Politiker auch gern auf Theorieversatzstücke seiner Jugend zurück. So verweist er in Vorträgen und Texten auf die »langen Linien des russischen Imperialismus«. Die »innere Wandlung Russlands« und der »Abschied vom Imperium« werde »nicht freiwillig erfolgen«, so Fücks, sondern müsse durch einen Sieg der Ukraine erzwungen werden.

Umgekehrt hält Fücks die Bedeutung des Kolonialismus für die Geschichte Europas und der USA für überbewertet. Verwundern darf das nicht, denn die transatlantische Allianz steht im Mittelpunkt seines politischen Projekts. Seit der ersten Wahl von Donald Trump 2016 ist diese eigentlich im Kern bedroht. »Die Verteidigung der offenen Gesellschaft« gegen die »antiliberalen Kräfte«, wie es im Selbstverständnis der Denkfabrik heißt, stellt sich mit dem rechtsextremen US-Präsidenten schwierig dar.

Nichtsdestotrotz stellte das Zentrum Liberale Moderne schon nach Trumps erstem Wahlsieg 2017 alle Bedenken zurück und warb in einem transatlantischen Manifest für das Bündnis mit den USA: »Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Regierung Trump sollte für uns zentral sein und auch die Sicherheitsgarantien für die mittelosteuropäischen NATO-Mitglieder und die Unterstützung einer unabhängigen Ukraine ebenso einschließen wie die Stabilisierung der europäischen Gegenküste in Nordafrika.«

Wer sich mit Fücks’ Denkfabrik beschäftigt, die mit beträchtlichen Finanzmitteln durch den Bund finanziert wird, gewinnt auch einen Eindruck davon, mit welchen Verbündeten das rechtsgrüne Projekt in Deutschland durchgesetzt werden soll. Im Leitungsgremium des Zentrums sitzen unter anderem der ehemalige US-Botschafter John Kornblum, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP sowie Deidre Berger vom American Jewish Committee. Im Beirat wird das Zentrum vom arabischstämmigen Autor Ahmad Mansour, dem Soziologen Armin Nassehi, der ehemaligen Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler, CDU-Politiker Ruprecht Polenz sowie dem US-Historiker Timothy Snyder assistiert.

Auch wenn Fücks in der Parteipolitik keine Rolle mehr spielt, steht seine Denkfabrik doch in vielerlei Hinsicht emblematisch für das politische Projekt des bürgerlich-grünen Milieus. Wer wissen will, in welche Richtung sich die Grünen entwickeln dürften, wird auf der Webseite des Zentrums vermutlich besser informiert als durch die Plakate im bevorstehenden Wahlkampf.

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