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Betriebsrat: »Man muss Konflikte eingehen«

Der Werkzeugmacher Gunther Seegebrecht findet, mehr kritische Menschen sollten sich in der Betriebsratsarbeit engagieren

Gewerkschaften – Betriebsrat: »Man muss Konflikte eingehen«

Wie wird man eigentlich Betriebsrat?

Ich war vorher Leiter der IG-Metall-Vertrauensleute in unserem Betrieb. Rechtlich sind das ja zwei getrennte Sachen: das Gewerkschaftsengagement, bei dem alle mitmachen können, und die Betriebsratsarbeit, für die man gewählt sein muss und die nicht notwendigerweise an eine Gewerkschaft gebunden ist. Mich hat lange nur Gewerkschaftsarbeit interessiert, aber irgendwann habe ich mich dann auch für den Betriebsrat aufstellen lassen. Die Entwicklungen in der Firma haben mir nicht gefallen.

Sie arbeiten seit vielen Jahrzehnten in der Metallbranche, aber haben sich politisch lange Jahre außerhalb der Arbeit engagiert.

Ja, und das sehe ich mittlerweile als großen Fehler an, den nicht nur ich begangen habe. Wenn man sich in einem normalen Betrieb einbringt, hat man gesellschaftlich viel mehr Wirkung, als wenn man sich in seiner politischen Blase bewegt. Für viele Menschen aus dem Querschnitt der Gesellschaft ist die Arbeit der Ort, wo sich ihr soziales Leben abspielt. Würden in meinem Betrieb mehr von denen aktiv, die politisch gute Ansichten haben und die verstanden haben, wie bedrohlich die gesellschaftlichen Entwicklungen gerade sind, könnte man bei uns eine tolle Bildungsarbeit machen. Und das stimmt natürlich auch in anderen Betrieben: Die einzelnen fortschrittlichen Leute, die bei der Arbeit so vor sich hin schlummern, müssten sich mehr einbringen.

Ihr Betrieb stellt Medizingeräte her und hat etwa 2000 Beschäftigte. Haben Sie immer in so großen Unternehmen gearbeitet?

Früher in Hessen habe ich in einer viel kleineren Firma gearbeitet. Da war es intimer – was die Betriebsratsarbeit nicht unbedingt einfacher gemacht hat. Die Chefs nehmen es einem dann zum Beispiel auch persönlich übel, wenn man einen Arbeitskonflikt vor Gericht austrägt.

Interview

Gunther Seegebrecht, Jahrgang 1965, hat in Rheinhessen eine Ausbildung als Werkzeugmacher absolviert, arbeitete danach in hessischen Metallbetrieben und war viele Jahre in antifaschistischen Initiativen aktiv. Seit 2012 ist er bei einem Herzschrittmacher-Hersteller in Berlin angestellt und engagiert sich als Betriebsrat und Vertrauensmann der IG Metall. Mit dem »nd« sprach er am Abend nach einem Warnstreik.

War das eigentlich eine große Umstellung, als Sie angefangen haben, sich am Arbeitsplatz zu engagieren?

Nicht wirklich. Ich habe ja immer schon in normalen Betrieben gearbeitet, wo die Kollegen den gesellschaftlichen Querschnitt abbilden. Was sich geändert hat, war das öffentliche »Outen«. Wenn man sich mit seiner Position in die Betriebsöffentlichkeit stellt, muss man etwas aushalten können. Man muss Konflikte eingehen und in schwierigen Situationen die Ruhe bewahren. Vor 2000 Leuten mit einem Film zum Streik aufrufen – das war erst mal eine Überwindung für mich.

Bei guter Organisierungsarbeit geht es immer darum, viel mit anderen Menschen zu sprechen und zuzuhören. In Ihrem Betrieb, wo Hochpräzisionsteile hergestellt werden, ist es wahrscheinlich gar nicht so einfach, in alle Abteilungen reinzukommen.

Ja, richtig. Bei uns werden medizinische Implantate hergestellt, vor allem Herzschrittmacher. Normalerweise kennt man die Kollegen aus anderen Abteilungen gar nicht und begegnet denen höchstens einmal in der Kantine. Die Fertigung findet bei uns in sogenannten »Reinräumen« statt. Die darf man nur betreten, wenn man sich anmeldet, eine Schleuse durchquert und Spezialkleidung anzieht. Ich glaube, ich war der erste Betriebsrat bei uns, der die Kollegen ohne Anlass in den anderen Abteilungen besucht hat. Am Anfang wurde ich mit großen Augen angeschaut, aber dann kam das eigentlich gut an. Man zeigt, dass der Betriebsrat ansprechbar ist, und man erfährt, wo den Leuten der Schuh drückt.

Betriebsräte werden teilweise von ihrer Arbeit freigestellt. Wie viele Stunden wöchentlich sind das bei Ihnen?

Wir sind 19 Betriebsräte in unserem Unternehmen. Die drei Vorsitzenden sind hundertprozentig freigestellt. Ich habe eine Teilfreistellung von 40 Prozent, aber wenn ich konkrete Aufgaben habe, kann ich das erweitern. Normalerweise komme ich auf 60 Prozent Freistellung. Das macht es mir ziemlich schwer, meinem normalen Job nachzugehen. Eigentlich bin ich in der Arbeitsorganisation tätig und muss mich viel um Kommunikation kümmern. Aber in der Betriebsratsarbeit ist das natürlich auch ständig gefragt. Mir fällt das manchmal schwer, allem gerecht zu werden – man ist ja nur begrenzt aufnahmefähig.

Wie sehen die Kollegen Sie? Finden die Sie manchmal zu radikal oder sind sie froh, dass jemand für sie den Mund aufmacht?

Ablehnende Haltung kriege ich selten mit. Es gibt schon Kritik an der Gewerkschaft – bei einem Streik wie heute gibt es Leute, die sagen, dass sie das blöd finden. Aber bei der täglichen Betriebsratsarbeit höre ich das eigentlich gar nicht. Die Leute haben ja auch viele Probleme, für die sie gern Lösungen haben. Allerdings drückt sich das leider nicht unbedingt in der aktiven Beteiligung aus. Zu unseren Betriebsversammlungen, die wir im Schnitt dreimal im Jahr organisieren, kommen von über 2000 Beschäftigten nur so etwa 500 Leute.

Immerhin …

Stimmt. Die Corona-Pandemie hat da viel verändert. Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass alle Treffen nur noch online stattfinden. Das ist natürlich bequem – die Leute machen ihren Job weiter und konsumieren dabei die Betriebsversammlungen. Wir versuchen eine andere Versammlungskultur zu etablieren, bei der wir auch die Reaktion der Leute mitkriegen.

Sie hatten heute einen Warnstreik. Wie wird der eigentlich organisiert? Haben Sie den im Betrieb vorbereitet oder macht so etwas die Bezirksleitung der IG Metall?

Da übernimmt – ich würde sagen: zum Glück – die IG Metall tatsächlich sehr viel. Also die ganze Infrastruktur wie Anmeldung, Anlage, Redner und Moderation. Mit der innerbetrieblichen Organisation, also der Mobilisierung der Kollegen, haben wir genug zu tun. In unserem Unternehmen war es heute überhaupt erst der zweite Streik, und der Arbeitgeber hat im Vorfeld für viel Verunsicherung gesorgt. Es ist mittlerweile ziemlich verbreitet, dass Arbeitgeber versuchen, die Belegschaft zum Ausstempeln – also zum Streiken in ihrer Freizeit – zu bewegen. Da hatten wir ganz schönen Hickhack drum.

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Was war bisher der beste Moment als Betriebsrat?

Der erste Warnstreik war ein tolles Erlebnis. In unserem Betrieb gab es viel Unzufriedenheit, und da habe ich gesehen, wie gut es den Leuten tut, wenn sie sich zusammentun und auf die Straße gehen. Da haben wir wirklich in glückliche Gesichter geschaut. Was mir an der Betriebsratsarbeit auch gut gefällt, ist, dass sie ein Anknüpfungspunkt ist, um auf andere Leute zuzugehen. Es gibt ja immer Kollegen, die politisch Sachen vertreten, die ich selbst unmöglich finde. Aber über die Betriebsratsarbeit ergeben sich trotzdem Gemeinsamkeiten. Und gerade bei den unteren Lohngruppen registrieren die Leute es, wenn man sie wertschätzt und ihre Anliegen verteidigt.

Und der schlimmste?

Wenn man den Leuten sagen muss, dass man keine Chance hat. Die Mitbestimmungsrechte sind sehr beschränkt, und wenn man die Erwartungen der Kollegen enttäuschen muss, kann das ziemlich frustrierend sein.

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