Angst um unabhängige Energieversorgung

Kritik an russischer Beteiligung an Brenn­elemente­fabrik in Lingen: Erörtungstermin angekündigt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren protestieren Umweltgruppen in Lingen immer wieder gegen die russische Beteiligung an der Brennelementfertigung in der dortigen Produktionsanlage
Seit Jahren protestieren Umweltgruppen in Lingen immer wieder gegen die russische Beteiligung an der Brennelementfertigung in der dortigen Produktionsanlage

Anfang Dezember 2021, weniger als drei Monate vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, reiste Alexey Likhachev, Generaldirektor des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom, nach Paris. Am Rande eines internationalen Treffens der Atomwirtschaft unterzeichneten er und Verantwortliche des französischen Nuklearmonopolisten Framatome eine »Langzeit-Kooperationsvereinbarung«. Rosatom und Framatome wollen demnach stärker zusammenarbeiten, unter anderem bei der Brennelementefertigung und bei Reaktor-Kontrollsystemen.

Das betrifft auch die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen, die von der Framatome-Tochter Advanced Nucelar Fuels (ANF) betrieben wird und vom deutschen Atomausstieg ausgenommen ist. Das Unternehmen will seine Produktpalette erweitern und künftig auch Reaktoren russischer beziehungsweise sowjetischer Bauart mit »Brennstoff« beliefern. Und dafür braucht es die Lizenz und das Know-how von Rosatom. Techniker aus Russland gingen schon vor Wochen in Lingen ein und aus und installierten in einem leer stehenden Möbellager Maschinen, um ihre deutschen Kollegen daran zu schulen.

Über die Erweiterung der Lingener Fabrik muss das niedersächsische Umweltministerium entscheiden. Es hat für den 20. November einen im Atomrecht festgeschriebenen Erörterungstermin in den Lingener Emslandhallen angesetzt. Dabei diskutieren die Genehmigungsbehörde, der Antragsteller ANF und Kritiker über rund 11 000 Einwendungen, die Bürger aus Lingen und von außerhalb gegen das Vorhaben erhoben haben. Je nach Verlauf wird die Erörterung in den Folgetagen fortgesetzt.

In ihren Eingaben führen die Einwender vor allem sicherheitspolitische Argumente ins Feld. Der Einstieg von Rosatom in die Nuklearanlage biete Russland nahezu unvermeidlich Möglichkeiten zu Sabotage, Spionage und Desinformation – nicht nur in Lingen und Deutschland, sondern in allen Atomkraftwerken Europas, die aus dem Emsland beliefert werden. Dank Rosatom verdiene Russland weiter an der europäischen Atomkraft, gewinne ungeachtet des Ukraine-Krieges strategisch an Einfluss und könne ganz nebenbei mögliche Sanktionen unterlaufen.

»Wir fürchten, dass Lingen zu einer Außenstelle der russischen Atomindustrie wird«, sagt Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl – Atomkraftgegner im Emsland. Wer Rosatom Zugang zu Personal und Know-how verschaffe, mache sich abhängig vom Wohlwollen des Kreml. Infolge der Kooperation werde es zudem eine wachsende Zahl von Urantransporten aus Russland geben. Energie-Unabhängigkeit, so Vent, »sieht anders aus«.

Mit mehr als 250 000 Mitarbeitenden ist Rosatom eine Mischung aus Behörde und Staatskonzern. Das direkt dem Kreml unterstellte Konstrukt besteht aus etwa 300 einzelnen Unternehmen und bündelt den gesamten Nuklearsektor Russlands, vom Uranabbau über den AKW-Betrieb bis zu den Atomwaffen. Auch im internationalen Atomgeschäft zählt Rosatom zu den ganz großen Playern. Ende 2021 war jedes sechste AKW weltweit von Russland gebaut.

Und Framatome? Nirgends werden die atomaren Interessen Frankreichs so deutlich sichtbar wie bei diesem weitgehend staatlichen Unternehmen. Framatome entwickelt und liefert »Ausrüstungen, Dienstleistungen und Brennstoffe für Atomkraftwerke«, inklusive Design kompletter Reaktorsysteme. Zum Portfolio gehören auch Produkte und Dienstleistungen für militärische nukleare Anwendungen. Framatome gehört zu mehr als 75 Prozent dem staatlichen französischen Energiekonzern EDF, zu kleineren Teilen Mitsubishi Heavy Industries und der Ingenieursgruppe Assystem.

Bereits in der Vergangenheit war Framatome immer wieder an Neubau- oder Modernisierungsprojekten von Rosatom beteiligt. Die Systeme können auch militärisch verwendet werden. 2020 erhielt Framatome den Auftrag für das Reaktorschutzsystem des Neubau-AKW Kursk II in Russland. Greenpeace warf die Frage auf, ob diese Systeme etwa mitten im Ukraine-Krieg geliefert wurden oder sogar französisches Personal in Russland im Einsatz war.

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