- Kultur
- 40 Jahre »Like A Virgin«
Madonna: Sich verkaufen, aber so teuer wie möglich
Vor 40 Jahren wurde Madonna mit dem Album »Like A Virgin« zum Weltstar
Diese Geschichte hat kein Happyend. Leider. Dabei war die Frau, um die es geht, über mehrere Jahrzehnte eine Ikone. Lebender Beweis dafür, wie man als Sängerin in einer männerdominierten Branche triumphieren kann. Sie hatte begriffen, dass es am Anfang einer Karriere nicht schaden kann sich auszuziehen, aber dass es wichtiger ist, sich im richtigen Moment wieder anzuziehen. Und sie hatte gelernt, dass man selbst in Reizwäsche nicht entblößt sein muss.
Vor allem aber hatte sie die Grundregel des Pop verinnerlicht. Entscheidend ist nicht, wo man herkommt, sondern wo man hinwill. Die wenigsten wissen, dass Madonna aus einer Kleinstadt in Michigan stammt und dass die Eltern ihrer Mutter Frankokanadier waren. Es ist unwichtig. Wichtig hingegen ist jenes Album, mit dem 1984 aus Madonna Louise Ciccone, Jahrgang 1958, endgültig der Weltstar Madonna wurde.
Es trägt den Titel »Like A Virgin«. So wie die Single, die 14 Tage vorher rauskam und Madonnas erster Nummer-eins-Hit in den USA wurde. Das Cover der Single war aus der gleichen Fotoserie wie das Cover des Albums: Gezeigt wird eine erwachsene, aufreizend zurechtgemachte Frau. Madonna hatte sich als Lustobjekt inszeniert, als Männerfantasie. Auf dem Gürtel, mit dem sie damals auftrat, stand: »Boy Toy«. So mancher männliche Teenager kaufte sich ihre Musik nicht nur der Musik wegen. Auch das Album gelangte auf Platz eins in den USA, ebenso in England und Westdeutschland, den drei größten Musikmärkten der Welt.
Doch gab es einen entscheidenden Unterschied zu all jenen Künstlerinnen, die nach dem Sex-sells-Prinzip vermarktet werden: Madonna diktierte die Bedingungen, unter denen der Verkauf zustande kam. Aus dem Lustobjekt schälte sie sich als ein ökonomisches wie künstlerisches Subjekt heraus, passend zur Durchsetzung des Neoliberalismus unter US-Präsident Ronald Reagan, der eine Woche vor Erscheinen des Albums »Like A Virgin« zum zweiten Mal die Wahlen gewonnen hatte. Gleichzeitig wurde Madonna zum ersten weltweit erfolgreichen Rolemodel feministischer Selbstermächtigung. Schon die Cover der Single und des Albums schafften klare Verhältnisse. Madonnas kalkulierender Blick zur lasziven Pose – kalkulieren darf hier auch im betriebswirtschaftlichen Sinn verstanden werden – verriet, dass es bei ihr nichts umsonst geben würde.
Und wer dieses Foto dennoch fehlinterpretierte, dem wurde in den Texten reiner Wein eingeschenkt. Gleich das erste Lied, »Material girl«, ist eine rigorose Absage an romantische Schwärmereien. »The boy with the cold hard cash is always Mr. Right«, heißt es unverblümt.
Faszinierend ist dabei, wie der Text dieses Liedes, das Madonna nicht selbst geschrieben hat (sondern Peter Brown und Robert Rans), mit der Doppeldeutigkeit mancher Ausdrücke spielt. »Raise interest« kann »Interesse wecken« heißen, aber eben auch »Zinsen erhöhen«. Und wenn Madonna »give me proper credit« fordert, heißt das, der Verehrer möge ihr die gebührende Anerkennung zollen, oder es ist die Aufforderung, eine angemessene Stange Geld rüberwachsen zu lassen.
Vermutlich Letzteres. Denn ein paar Zeilen später singt sie: »Nur Jungs, die fleißig sparen, retten meinen trostlosen Tag« (»Only boys that save their pennies make my rainy day«). Da fragt man schon nicht mehr, wie die Aussage, Erfahrung habe sie reich gemacht (»Experience has made me rich«) zu verstehen ist. Hier wird der Wert der Liebe ökonomisch bemessen. Das passte natürlich perfekt in die 80er, in denen Geldverdienen für manch einen mehr Sexappeal hatte als der Sex selbst.
Zunächst auch für Madonna. Sie wollte die großen Scheine. 1979 hatte sie sich für eine Handvoll Dollar ausgezogen – sie war jung und brauchte das Geld. So günstig würde sie ihren Körper jedoch nie wieder hergeben. Ihr war bewusst, dass für eine Frau im Musikbusiness die Optik von Nutzen war, die Akustik jedoch auf Dauer mehr zählte. Bereits mit ihrem Debüt (das später den Titel »The First Album« trug) hatte sie mit der Wahl des Produzenten John »Jellybean« Benitez ein goldenes Händchen bewiesen. Die Single-Auskopplung »Holiday« sorgte für den Durchbruch: Platz zwei in England (Platz 16 in den USA).
Für ihre zweite Platte »Like A Virgin« ging sie noch einen Schritt weiter. Es gelang ihr, keinen Geringeren als Nile Rodgers, einen der beiden Köpfe von Chic, als Produzenten zu gewinnen. Eben jener Rodgers hatte ein Jahr zuvor David Bowie mit »Let's dance« zum größten Hit der Karriere verholfen. Hier offenbarte sich eine der großen Stärken Madonnas. Sie hatte einen Instinkt dafür, mit den richtigen Menschen zusammenzuarbeiten, mit Künstlern, die gerade angesagt waren.
Das konnten auch Leute aus dem Filmgeschäft sein. Während das Album auch im darauffolgenden Jahr noch munter Hitsingles abwarf, erschuf sich Madonna in der Komödie »Susan… verzweifelt gesucht« von Susan Seidelman neu. Aus dem berechnenden Vamp wurde hier ein cooles Bohème-Girl.
Weitere Metamorphosen sollten folgen. 1986 verwandelte Madonna sich in ein braves Mädchen, das unfreiwillig schwanger geworden war (»Papa don’t preach«). 1989 verband sie Lust mit Katholizismus (»Like a prayer«). Prompt liefen Kirchenvertreter Sturm. Und 1992 eroberte sie auch die Buchbranche. In dem Bildband »Sex«, der in Rekordzeit ausverkauft war, präsentierte sie erotische Fantasien. Da hatte sie ihr Ziel erreicht: Wenn sie sich für die Kulturindustrie auszog, dann nur, weil sie es wollte. Sie war ihr eigener Manager und Promoter geworden. Ihre Emanzipationsbewegung, die mit »Like A Virgin« begonnen hatte, hatte ihr Ziel erreicht. Dafür feierten sie Feministinnen wie die Professorin und Kulturwissenschaftlerin Camille Paglia in langen Essays.
Doch am Ende frisst der Jugendwahn seine Kinder. In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte, dass es ihr seelisch nicht gutgehen soll. Sie, die sich mühelos jede Figur zu eigen machen konnte, scheint an einer Rolle zu scheitern, die in der Popwelt nicht vorgesehen ist: die der älteren Frau.
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