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Berliner Lehrkräfte besonders Burn-out-gefährdet
Eine neue Studie zur Gesundheit von Lehrkräften zeigt eine starke Belastung für Hauptstädter
»Ich bin deprimiert und erleichtert zugleich«, sagt Caroline Muñoz del Rio. Sie ist Lehrerin an einem Berliner Oberstufenzentrum und blickt am Dienstag auf eine neue Studie, für die 2744 Berliner Lehrer*innen in den Jahren 2023 und 2024 zum Thema Gesundheit befragt wurden. Muñoz del Rio ist deprimiert, denn die Studienergebnisse zeigen, welchen hohen Belastungen Lehrkräfte ausgesetzt sind und wie gesundheitsgefährdend ihr Job ist. Gleichzeitig ist sie erleichtert, »weil die Studie zeigt, dass ich nicht allein bin und das Problem strukturell«, wie die Lehrerin sagt.
Muñoz del Rio ist Mitglied in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die Studie der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen am Dienstag vorstellt. Laut Studienforscher Frank Mußmann und Thomas Hardwig führen hoher Zeitdruck, Überstunden, große Klassen und ein Übermaß an außerunterrichtlichen Aufgaben zu einer erheblichen Belastung für Lehrkräfte.
Die Wissenschaftler haben in ihrer Studie die Gefahr eines Burn-outs, also der psychischen Erschöpfung, untersucht. Auf einer Skala von null bis 100 spricht man ab einem Wert von über 50 von einem erhöhten Gesundheitsrisiko für Burn-out sowie für psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörung. Laut Studie sind Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen besonders gefährdet. In Berlin liegt der Burn-out-Wert im Mittel bei 60, die Zahl ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Nur 21 Prozent der Befragten lägen noch in einem Bereich von unter 50 Punkten, so die Studie. Damit seien Berliner*innen im Vergleich zu ihren Kolleg*innen aus Sachsen und Frankfurt am Main einem höheren Risiko ausgesetzt, psychisch auszubrennen.
Die ungünstigsten Werte der Gesundheitsstudie erreicht Berlin für Grundschulen. Dort ist das Depressionsrisiko gegenüber anderen Schulformen besonders hoch. Ein Bereich der ebenfalls besonders viel Druck ausübt, ist die Digitalisierung. 70 Prozent der Befragten nehmen sie als Belastung wahr. Für Muñoz del Rio beginne diese bereits beim Kopierer und dem fehlenden bedingungslosen Zugang dazu. Sie spricht auch über Netzausfälle an Schulen und Software-Fehlern in den IT-Systemen. Der »digitale Stress«, wie die Wissenschaftler ihn nennen, sei ein neues Phänomen der vergangenen fünf Jahre.
- 21 Prozent haben ein hohes Burn-out-Risiko
- 24 Prozent haben keine Zeit mehr für Familie und private Interessen
- 16 Prozent haben häusliche Konflikte wegen des hohen Arbeitspensums
- 46 Prozent haben zu viele außerunterrichtliche Aufgaben
- 29 Prozent sind an ihrer Schule persönlich von Personalmangel betroffen
- 32 Prozent finden eine unzuverlässige IT-Infrastruktur vor, die kaum nutzbar ist
- 70 Prozent nehmen eine Zunahme der Belastung durch Digitalisierung wahr
»Gratifikationskrise« ist ein Wort, das die Forschenden am Dienstag häufig nutzen. Bei der Gratifikation geht es darum, inwieweit die Erwartungen, die Lehrkräfte an ihren Beruf haben, im Schulalltag erfüllt werden. 30 Prozent der Befragten befinden sich demnach in einer Krise: Gehalt, beruflicher Erfolg und soziale Anerkennung stehen für sie in keinem Verhältnis mehr zu den tatsächlichen Anstrengungen im Berufsalltag.
Die Studienergebnisse sollten den Senat alarmieren, sagt Anne Albers, Leiterin des Bereichs Beamtenpolitik in der GEW. Berlin könne sich nicht erlauben, auch nur eine Lehrkraft zu verlieren. Statt Kürzungen brauche es nun Investitionen in zusätzliches Personal, sagt Albers. »Der Senat darf außerdem nicht länger die Rechtspflicht zur Arbeitszeiterfassung ignorieren und sollte umgehend ein Pilotprojekt starten.« Wichtig sei, dass die Bildungssenatorin den Lehrkräften »jetzt schnell wirksame Angebote zur Entlastung macht«. Als GEW sei man dazu gesprächsbereit.
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