Totschlag-Urteil nach Schüssen auf Geflüchteten

Deutscher Täter will Mahdi ben Nacer im Schwarzwald in angetrunkenem Zustand und aus Notwehr erschossen haben

  • Lukas Komm
  • Lesedauer: 4 Min.
Gedenkinstallation für den getöteten Mahdi ben Nacer vor dem Gerichtsgebäude.
Gedenkinstallation für den getöteten Mahdi ben Nacer vor dem Gerichtsgebäude.

Es war ein emotionaler letzter Tag eines Prozesses am Landgericht Waldshut-Tiengen, der am Montag mit einem relativ milden Urteil zu Ende ging. Sechs Jahre und zehn Monate Haft erhielt Patrick E., der am 23. Dezember 2023 den aus Tunesien stammenden Asylsuchenden Mahdi ben Nacer nach einer verbalen Auseinandersetzung getötet, dessen Leiche zerteilt und in den Rhein geworfen hatte.

Die Tat ereignete sich nach Erkenntnissen des Gerichts während einer Weihnachtsfeier der Familie des 58-jährigen Täters in einem Naturfreundehaus bei Rickenbach im Schwarzwald, wo der 38-jährige Mahdi ben Nacer Teilnehmende laut Zeug*innenaussagen als »Scheißnazis« oder »Scheißdeutsche« beschimpft haben soll. Daraufhin verließ Patrick E. die Familienfeier, suchte Mahdi ben Nacer in dessen Zuhause auf und erschoss ihn mit einer Waffe, für die er keine Genehmigung hatte. E. gab später vor Gericht an, er sei angetrunken gewesen und habe aus Notwehr und zum Schutz seiner Familie gehandelt. Für das Gericht bleiben die genauen Motive des Täters aber auch nach dem Urteil »rätselhaft«.

Emotional war der Prozess auch, weil die Nebenklägerin Zouleikha ben Nacer, eine Schwester des Toten, für die Verkündung aus Tunesien angereist war und das Urteil unter Tränen anhörte. Vor dem Gericht hatten Mitglieder der Gruppe Aktion Bleiberecht im Anschluss an die Urteilsverkündung einen Moment des Gedenkens organisiert, bei dem sich Angehörige und Unterstützer*innen um ein Tuch mit einem Foto Mahdi ben Nacers, Kerzen und einem Blumenstrauß versammelten.

Auf Nachfrage, wie sie das Urteil aufgenommen habe, sagte Zouleikha ben Nacer über eine Dolmetscherin, die aus dem Arabischen übersetzte, sie habe Vertrauen, dass alles getan wurde, was in der Macht der Justiz stehe. Sie wünsche, dass »jede Ecke der Welt zugibt, dass es keinen Grund gab, meinen Bruder zu ermorden«. Allerdings frage sie sich auch, ob es so weit gekommen wäre, »wäre er ein Deutscher gewesen«.

Die Familie Mahdi ben Nacers blieb darüber, was mit ihrem Angehörigen geschehen war, lange im Unklaren. Erst der Beratungsstelle Leuchtlinie für Opfer rechter Gewalt in Baden-Württemberg gelang es, Kontakt zu Zouleikha ben Nacer in Tunesien aufzunehmen. Eine Mitarbeiterin erzählt, es habe aus der Berichterstattung »recht eindeutige Hinweise« auf einen rechtsradikalen Hintergrund des Täters gegeben. Daraufhin seien sie aktiv geworden und hätten der Schwester des Opfers eine Anwältin vermittelt, die sie nun als Nebenklägerin vertritt.

Die Nebenklagevertreterin Claudia Meng beschreibt es als »katastrophal«, dass Zouleikha ben Nacer erst so spät über die Möglichkeit der »aktiven Teilnahme« am Prozess erfahren habe. Kritisch sieht sie auch, wie Mahdi ben Nacer im Verfahren herabgewürdigt wurde. Noch am vorhergehenden Verhandlungstag hatte sich der zuständige Richter Martin Hauser während der Beweisaufnahme ausführlich mit den Vorstrafen des Opfers befasst und dabei abfällige Kommentare über dessen Äußeres gemacht.

Auch war es dem Richter wichtig zu erwähnen, dass Mahdi ben Nacer als Asylsuchender »seit 2013 auf Kosten des deutschen Steuerzahlers hier lebt«. »Man gewinnt den Eindruck, mein Mandant sei weniger wert«, sagte Claudia Meng in ihrem Schlussplädoyer.

Die Polizei ermittelte zunächst im Umfeld des Opfers, das der Richter im Verfahren mit dem Ausdruck »Mafia-Touch« beschrieb. Demgegenüber beschrieb der Oberstaatsanwalt Christian Lorenz den Täter Patrick E. in seinem Abschlussplädoyer als »einen tiefgläubigen Christen und absoluten Familienmenschen«, der einer »fatalen Fehleinschätzung« unterlag. Zwar wisse man von Chatverläufen mit »fehlplatzierten und geschmacklosen Sprüchen und unsäglichen Videos«, es könnten auf dieser Grundlage aber keine »tragfähigen Schlüsse auf eine ausländerfeindliche Einstellung« gezogen werden.

Familienangehörige Mahdi ben Nacers sehen dies anders. Laut der Beratungsstelle Leuchtlinie gingen sie von Anfang an davon aus, er sei Opfer einer »rassistischen Gewalttat« geworden. Sie könnten nicht nachvollziehen, warum ein Mensch nach einer »schlichten verbalen Auseinandersetzung eine Pistole nimmt und ein anderes Menschenleben auslöscht«. Wenn Patrick E. sich bedroht gefühlt habe, fragt sich die Schwester des Getöteten, warum habe er nicht die Polizei gerufen? »Warum musste er meinen Bruder erschießen?«, fragte Zouleikha ben Nacer am Montag.

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