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Indigene Australiens: Kein Platz im eigenen Land

Nach einem gescheiterten Referendum kämpfen die Indigenen in Australien weiter um eine Stimme im Parlament

  • Thomas Berger, Broome
  • Lesedauer: 6 Min.
Der australische Premierminister Anthony Albanese (Mitte) kommt kurz vor dem Referendum am 14. Oktober 2023 mit indigenen Führern zusammen. Vor ihnen ist das »Uluru Statement from the Heart« ausgebreitet.
Der australische Premierminister Anthony Albanese (Mitte) kommt kurz vor dem Referendum am 14. Oktober 2023 mit indigenen Führern zusammen. Vor ihnen ist das »Uluru Statement from the Heart« ausgebreitet.

Eine Hitzeglocke liegt über Broome, 36 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit. Die Kleinstadt mit rund 24 000 Einwohnern ist so etwas wie ein halb urbaner Außenposten im Nordwesten Down Unders, der dünn besiedelten Kimberley-Region. Es gibt einen Flughafen mit Anbindungen nach Perth, Darwin, Melbourne und sogar Singapur.

Zahlreiche Relikte erinnern in der Stadt an die glorreiche Vergangenheit, als Broome im letzten Viertel des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts »die Perlenhauptstadt der Welt« war. Vor allem viele Asiaten waren damals auf den Schiffen als Perlentaucher tätig. Inschriften auf dem japanischen, chinesischen und malaiischen Teil des städtischen Friedhofs zeugen noch immer von denen, die aus der chinesischen Provinz, von den Philippinen oder aus den Slums von Singapur kamen und ihr Glück suchten. Die meisten wurden bei dieser harten Arbeit nicht älter als Anfang 50, verraten die Grabsteine. Auch viele Aborigines waren in der Perlenfischerei tätig. Australiens Ureinwohner können auf eine Zivilisation mit über 60 000 Jahren Geschichte zurückblicken, aber mit dem Ankommen der Weißen wurden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Daran haben auch symbolträchtige Politikerreden, einige fortschrittliche Gesetze und mehrere Gerichtsurteile nichts geändert.

In einem zweigeschossigen Gebäude zwischen Flugplatz und Friedhof liegt das Büro von AARNJA. Die Nichtregierungsorganisation setzt sich für die Selbstbestimmung und Emanzipation von Aborigines ein, hier laufen viele Fäden zusammen. »Wir sind keine Institution, die irgendwelche Sozialleistungen zu verteilen hat, sondern wir unterstützen bei der Selbstorganisation auf Graswurzelebene«, erklärt die Büroleiterin Cherie Sibosado. Vor einer Weile tauchte ein Mann aus der Umgebung bei ihr im Büro auf, der eine lokale Aborigines-Gruppe aufbauen will. »In solchen Fällen stehen wir dann zur Seite, sei es bei der Gründung selbst, bei Verwaltungsfragen, oder wir geben Rat, wie sich finanzielle Hilfe organisieren lässt.« In erster Linie möchten Cherie Sibosado und ihr Team den Zusammenhalt und die Eigenverantwortung in der Community stärken. Darüber hinaus geht es darum, den Angehörigen der »First Nations« eine Stimme zu geben. »Deshalb setzen wir uns auch mit Vertretern des Staates von der lokalen über die regionale bis zur nationalen Ebene zusammen«, erzählt sie. Es geht darum, Rechte durchzusetzen, Forderungen weiterzutragen und Lösungen für Probleme zu finden. Die Organisation versucht, der Diskriminierung von Aborigines entgegenzuwirken.

Im Ausland werden Aborigines oft als homogene Gruppe wahrgenommen, auch in vielen Köpfen weißer Australier ist dieses Denken bis heute verhaftet. Doch zu Beginn der weißen Besiedlung ab 1788 gab es auf dem Kontinent Hunderte und Aberhunderte Ethnien, denen das Land seit vielen Generationen Heimat und sorgsam gehüteter Lebensraum war. Auch heute gibt es alleine im Bundesstaat Western Australia, wozu die Kimberley-Region und die Kleinstadt Broome gehören, Dutzende indigene Gemeinschaften, die sich in Sprache, Kultur und Traditionen unterscheiden. Die Noongar beispielsweise, die seit Jahrtausenden im südlichen Gebiet rund um die heutige Regionalhauptstadt Perth siedeln, teilen sich in diverse einzelne Ethnien auf.

Sie alle eint aber kulturelle Elemente – sowie der Konflikt mit den weißen Siedlern, die einst eine britische Kolonie gründeten und sich 1901 unabhängig vom Empire machten. Ihr Verhältnis ist seit jeher durch Bevormundung, Verdrängung und Unterdrückung belastet. Erst 1967 wurden den Angehörigen der »First Nations« die allgemeinen Bürgerrechte zuerkannt. In einem wegweisenden Referendum sollte vor einem Jahr eine stärkere politische Mitsprache im Parlament verankert werden. Dafür sollte mit der »Voice to Parliament« ein neues Gremium geschaffen werden, um die Abgeordneten in allen die Indigenen betreffenden Fragen zu beraten.

Der 14. Oktober 2023 hätte als Tag der Abstimmung ein Jubeltag für die Aborigines werden können – aber das Datum hat sich als Niederlage im Bewusstsein eingebrannt. Eine deutliche Mehrheit der 18 Millionen Wahlberechtigten sprach sich gegen das Referendum aus, in keinem der sechs Bundesstaaten gab es eine Mehrheit für die Interessenvertretung der »First Nations«. Cherie Sibosado reagiert bis heute dünnhäutig, wenn die Sprache auf das gescheiterte Referendum kommt, für das rund 530 000 Indigene wahlberechtigt waren.

»Ich war am Boden zerstört, habe fast den ganzen nächsten Tag nur geheult«, erinnert sie sich. »Ganz verarbeitet habe ich das, was beim Referendum gehörig anders lief als gedacht, bis heute nicht.« Sie ist längst nicht die einzige, die mit der vergebenen Chance hadert. Das Gremium hätte ein Meilenstein bei der Bekämpfung der Diskriminierung sein können.

Womöglich hätte man das Referendum mit der immer stärker gewordenen Nein-Kampagne und viel unsachlichem Gegenwind kurzfristig zurückziehen und verschieben müssen, sagte die Verfassungsrechtlerin Megan Davis dem öffentlich-rechtlichen Sender ABC. Sie war eine der Architektinnen der Ja-Kampagne: »Es ist ab einem bestimmten Punkt in den parteipolitischen Raum getragen worden, wo wir keine Kontrolle mehr darüber hatten.« Die Parteien hatten das Thema für sich vereinnahmt. Insbesondere die Konservativen waren strikt dagegen. »Zudem war es das erste Mal, dass die sozialen Medien so eine große Rolle gespielt haben – im negativen Sinne mit viel Stimmungsmache und Falschinformation«, erklärte Davis.

Cherie Sibosado gehörte bereits 2017 zu den Delegierten, die aus allen Gebieten Australiens zu einer viertägigen Versammlung in der Nähe des für die Indigenen heiligen Berges Uluru angereist waren. Dort wurde das »Uluru Statement from the Heart« verabschiedet. Mit dieser Erklärung fordern die Aborigines nicht nur eine verfassungsrechtlich festgeschriebene »Stimme« der Ureinwohner, was sechs Jahre später die zentrale Forderung für das Referendum sein sollte; es ging auch um eine grundsätzliche Anerkennung der Souveränität der Aborigines und »einen rechtmäßigen Platz in unserem eigenen Land«, wie es im Text heißt. »Die Erklärung kommt aus dem Herzen, ist geboren aus der Feindseligkeit, der Unterdrückung und des Missbrauchs. Wir sind damals im Zeichen des guten Willens und des Blicks nach vorn zusammengekommen«, betont Cherie Sibosado. Die Initiative sollte versöhnen.

Viele Nicht-Indigene hatte die Erklärung aufgerüttelt und zum Mitmachen animiert. Die Kampagne nahm Fahrt auf. Auch der heutige Regierungschef Antony Albanese von der sozialdemokratischen Labor Party unterstützte den Vorstoß. Das »Uluru Statement from the Heart« war das Herzstück einer Kampagne, die mit betonter Sachlichkeit über Unrecht aufklären und mehr Rechte einfordern wollte. Gegen die spätere Stimmungsmache konnte sie jedoch wenig ausrichten. »Ich glaube, viele Leute hatten einfach nicht genug Informationen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen«, glaubt Louisa Spicer, die im drei Fahrtstunden nördlich von Perth gelegenen Geraldton bei der Einrichtung »Murchison Region Aboriginal Corporation« arbeitet, die sich um würdigen und bezahlbaren Wohnraum für Indigene kümmert.

Man dürfe sich nicht entmutigen lassen, das sagt Cherie Sibosado ein Jahr nach dem herben Rückschlag. Kurz nach der Niederlage haben wir vor allem für die lokalen Mitstreiter aus der Mehrheitsgesellschaft – »für die diese Erfahrung des Scheiterns ja oftmals neu war« – eine »Heilungsversammlung« abgehalten, um Trauer und Enttäuschung gemeinsam zu verarbeiten. Dort gab es einen Raum, um innezuhalten. Mittlerweile richtet sich Cherie Sibosados Blick aber wieder nach vorn. »Zumindest unsere Kimberley-Region hat beim Referendum als Ausnahme mehrheitlich mit Ja gestimmt. Das gibt uns Kraft zum Weitermachen.« Im Gespräch mit der Politik ist jetzt ein regionales Voice-Gremium. »Das wäre eine Premiere für ganz Australien«, erzählt sie sichtlich Stolz, »und könnte ein Vorbild für andere Regionen sein.« Ans Aufgeben denken Cherie Sibosado und ihre Mitstreiter von der Organisation AARNJA jedenfalls nicht.

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