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Schwarzfahren könnte Straftat bleiben

Der Plan, das Fahren ohne Ticket zu entkriminalisieren, steht auf der Kippe. Eine Initiative schlägt Alarm

»Achtung, Türen schließen!«: Die Zeit für eine Strafrechtsreform wird knapp.
»Achtung, Türen schließen!«: Die Zeit für eine Strafrechtsreform wird knapp.

Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens schien zum Greifen nah. Dann zerbrach die Regierungskoalition. Und damit steht es schlecht um zahlreiche Gesetzesvorhaben, die sie bis zum geplanten Ende ihrer Amtsperiode im September 2025 umsetzen wollte. Noch im Oktober hatte der damalige Justizminister Marco Buschmann (FDP) einen Referentenentwurf in die Ressortabstimmung gebracht, der das Fahren ohne Fahrschein von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabstufen sollte. Nach dem Aus der Ampel schlägt die Initiative Freiheitsfonds Alarm. »Damit droht die Verschleppung der wichtigen Gesetzesreform«, sagt Leonard Ihßen zu »nd«. »Wenn der Gesetzentwurf jetzt nicht beschlossen wird, schließt sich das Zeitfenster für die Reform wieder – und das für Jahre«, ist er sich sicher. Unter einer von Friedrich Merz (CDU) geführten Regierung erscheine der Erfolg des Anliegens unwahrscheinlich.

Das Zeitfenster schließt sich

Vom neuen Justizminister Volker Wissing (parteilos, bis November FDP) fordert der Freiheitsfonds deshalb, den Antrag so schnell wie möglich in den Bundestag zu bringen. Das Bundesjustizministerium hält sich dazu bedeckt. »Aktuell finden innerhalb der Bundesregierung Gespräche dazu statt, wie mit noch nicht beschlossenen Gesetzesinitiativen umgegangen werden soll«, teilt ein Sprecher des Ministeriums »nd« mit. Weitere Angaben könne er derzeit nicht machen. Laut dem Rechtsportal Beck-Online ist ohnehin davon auszugehen, dass bestehende Referentenentwürfe »weit überwiegend vor der Bundestagswahl nicht mehr beschlossen werden«. Denn Gesetzentwürfe dieser Art sind noch nicht von der Regierung beschlossen worden, stehen also am Anfang des Gesetzgebungsprozesses.

Dieser Gefahr ist sich auch der Freiheitsfonds bewusst. »Weil uns wenig Zeit bleibt, versprechen wir uns am meisten von einem fraktionsübergreifenden Antrag«, sagt Ihßen. Deshalb setze die Initiative gerade auf Gespräche mit einer Gruppe Abgeordneter, die einen solchen Antrag einbringen könnte. Laut Ihßen gebe es Bestrebungen einiger Abgeordneter der SPD und der Grünen, die nötigen Mehrheiten für die Entkriminalisierung noch in dieser Legislatur zu beschaffen.

»Wird der Gesetzentwurf jetzt nicht beschlossen, schließt sich das Zeitfenster für die Reform.«

Leonard Ihßen Freiheitsfonds

Einzelne Mitglieder des Bundestags wollten sich gegenüber »nd« dazu nicht genauer äußern und verwiesen auf vertrauliche Gespräche. Vonseiten der SPD-Fraktion, die sich vergangenes Jahr für die Entkriminalisierung ausgesprochen hatte, heißt es lediglich, nach dem Aus der Ampel gehe es darum, sich um die »wirklich dicken Brocken für die Menschen« zu kümmern. Dazu gehöre die kalte Progression und der Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Zentral sei es, hinter jedem einzelnen Vorhaben eine stabile demokratische Mehrheit zu versammeln.

Wahlkampf statt Politik

Deshalb könnte das Verhalten der CDU/CSU ausschlaggebend sein. Die Fraktion reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage von »nd«. Allerdings hat sich die CDU bereits mehrfach gegen eine Reform ausgesprochen. Die Grünen befürworten zwar eine Abschaffung des Straftatbestands, aus den Reihen der Partei äußerte man sich aber skeptisch, dass ein fraktionsübergreifender Antrag bis zur erwarteten Neuwahl am 23. Februar Erfolg hätte.

Doch es ist nicht nur ein Mangel an Zeit, der es zusehends wahrscheinlicher macht, dass Schwarzfahren eine Straftat bleibt. »Anstatt zusammenzuarbeiten, konkrete Politik zu machen und unsere Gesetze zu verbessern, droht Wahlkampf-Taktiererei«, befürchtet Ißhen. Deshalb sei auch mit Blockaden bei eigentlich mehrheitsfähigen Gesetzesreformen zu rechnen.

Bereits über 1000 Personen freigekauft

Am 4. Dezember wird die Initiative wieder bundesweit Menschen aus dem Gefängnis freikaufen, die wegen Fahrens ohne Ticket in Bus und Bahn einsitzen; »Freedom Day« (deutsch: Freiheitstag) nennt sie die Aktionstage, mithilfe derer sie inzwischen über 1000 Personen aus dem Gefängnis geholt hat. Der Straftatbestand trifft vorwiegend armutsbetroffene Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen, weil sie eine Geldstrafe nicht begleichen konnten.

Schätzungen zufolge müssen aus diesem Grund jährlich knapp 7000 Personen für mehrere Monate in Haft. Insgesamt kostet die Strafverfolgung des Armutsdelikts jährlich über 114 Millionen Euro. Größter Kostenpunkt: die Ersatzfreiheitsstrafen. Geld, das besser in einer Förderung des öffentlichen Nahverkers und Sozialtickets angelegt wäre, argumentiert Arne Semsrott, Gründer des Freiheitsfonds. Der täte nichts lieber, als die von ihm aufgezogene Kampagne wieder einzustampfen. »Es sollte keine spendenfinanzierte Kampagne geben müssen, die Menschen aus dem Gefängnis freikauft, weil sie zu wenig Geld für ein paar Bustickets hatten«, sagt auch Ihßen. »Wir hoffen, dass es dieses Mal der letzte Freedom Day sein wird und wir danach eine Gesetzeslage haben, die diese sinnlos harte Bestrafung beendet.«

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