- Kultur
- Digitalisierung
Was isst Künstliche Intelligenz?
KI verbraucht Unmengen an Energie, verdaut immer mehr Daten. Wird die Maschinenherrschaft des Kapitalismus Mensch und Planeten zerstören?
Wir bewunderten unsere eigene Genialität bei der Schöpfung der KI.» Diese Zeile aus dem ersten, 1999 veröffentlichten Film der Reihe «Matrix» könnte passender nicht sein, um die aktuelle Aufregung um künstliche Intelligenz (KI) zu beschreiben. In dem Film entpuppte sich die Realität als Simulation einer riesigen Maschine, von der die Menschen unterworfen wurden. Es ist nahezu unmöglich, eine Zeitung aufzuschlagen oder durch die sozialen Medien zu scrollen, ohne auf die neuesten informatischen Sprachmodelle zu stoßen – sei es Chat-GPT von OpenAI, BARD von Google oder LLaMA von Meta – und auf deren Bewunderung. «Wir leben in großen Zeiten!», schrieb ein Kommentator auf «X». «Woher will man wissen, dass sie keine Gefühle haben?», fragt ein anderer. Ein berühmter Intellektueller verlautbart: «KI wird unsere Gesellschaft radikal verändern.»
Eine weitere Parallele zwischen dem Film und dem Jahr 2024 besteht in dem enormen Elektrizitätsbedarf dieser Technologie. Die Maschinen im cineastischen Werk der Wachowski-Geschwister haben einen Weg gefunden, menschliche Körper als Energiequelle auszubeuten. Menschen wachsen auf unendlichen Feldern, ohne um ihr grausiges Schicksal zu wissen, weil ihre Gehirne an die titelgebende «Matrix» angeschlossen sind. Innerhalb dieser virtuellen Realität kommt es ihnen so vor, als führten sie ein normales Leben. Sieht man von der Cyberpunk-Ästhetik, der Glibbermasse um ausgewachsene Föten und den über Plastik-Tentakel an Gefängniskapseln angeschlossenen Organen ab, kann man sogar einen wahren Kern der Geschichte ausmachen. Künstliche Intelligenz hat unstillbaren Hunger.
Profitable Schlankheitskur
Die erste offizielle Warnung bezüglich des Energieverbrauchs großer Sprachmodelle (engl. «Large Language Models» oder «LLMs») stammt aus einem Papier, das 2019 auf der Jahrestagung der renommierten Association for Computational Linguistics vorgestellt wurde. Emma Strubell und ihre Mitautor*innen erwähnen darin, dass schon ein einziger Trainingsvorgang des Vorläufers der neuesten Modelle, BERT, genausoviel CO2 produziere wie fünf Autos es über ihre gesamte Lebensdauer hinweg täten. Die Diagnose wurde durchaus ernst genommen, sodass bald akademische Workshops mit Namen wie «Effiziente und nachhaltige Sprachverarbeitung» auftauchten, um die Konzeption umweltfreundlicher Algorithmen voranzubringen. Es wurden Stellungnahmen abgegeben und einige Forscher*innen begannen sogar, in ihren Veröffentlichungen den Stromverbrauch ihrer Computermodelle anzugeben. Die großen Tech-Firmen bewahrten indessen Ruhe und machten weiter wie bisher.
Es ist nicht leicht, den Energiebedarf der aktuellen Sprachmodelle einzuschätzen, da sie von extrem wohlhabenden Akteur*innen hinter verschlossenen Türen gebaut werden. Ab und zu kommen dennoch Zahlen ans Licht. Das inzwischen überholte GPT3-Modell soll im Zuge seines Trainings 85 000 Kilogramm CO2 emittiert haben – dieselbe Menge, die man bei einer 700 000 Kilometer langen Autofahrt verbrauchen würde, mehr als bis zum Mond und zurück. Und damit ist nur ein einziger Trainingslauf beziffert, jedes Update wiederholt die Reise. KI schlägt sich inzwischen mit 10 bis 15 Prozent in Googles Energiebilanz nieder. Das macht bestürzende 2,3 Terrawatt pro Jahr aus.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Nun sind aber Tech-Riesen durchaus um ihr Image besorgt. In jüngster Zeit häufen sich ihre Bekundungen, schädliche Umwelteinwirkungen durch die Entwicklung von Modellen mit geringerem CO2-Fußabdruck verringern zu wollen. Die Verschlankung der Lernmodelle passt dabei sehr gut zum Vorhaben der Firmen, in jedes Endgerät vom Handy bis zum Toaster ein KI-Modul einzufügen. Vor diesem Hintergrund unternehmen firmeninterne Forschungsgruppen große Anstrengungen, um kleinere KI zu erfinden. Die Techniken, die dabei zum Einsatz kommen, haben verlockende Namen, wie etwa «pruning» (Baumschnitt) und «distillation» (Destillation).
Diese Begriffe stehen für den Prozess, ein riesiges KI-«Gehirn» in lauter kleine Stücke zu schneiden. Ein beschnittenes Modell ist eines, das zunächst im großen Maßstab trainiert und unter erheblichen Umweltkosten mit dem Gehalt des gesamten Internets vollgestopft wurde. Erst im Anschluss an diese Völlerei durchläuft es einen Kompressionsprozess, im Zuge dessen sekundäre Algorithmen, wie der viel zitierte «Optimal Brain Damage», die für überflüssig befundenen neuronalen Verbindungen wieder kappen. Dieser Schritt, der auch wieder Energie verbraucht, ergibt dann ein KI-Hirn, das in viel kleinere Instanzen seiner selbst «destilliert» und als Klon in etlichen Einzelgeräten eingesetzt werden kann. In dieser Transformation hat es dann tatsächlich seinen ursprünglichen Appetit verloren und kann von Marketing-Spezialist*innen als «grüne Technologie» gepriesen werden. Greenwashing in Höchstform.
Descartes auf Speed
Heißt das also, dass «Matrix», wenn auch nicht hinsichtlich der Nahrungsquelle, dann doch hinsichtlich des Riesenhungers der KI an Strom hellsichtig war? Ungefähr in der Mitte zelebriert der erste Film seine eigene Offenbarungskraft: Die beiden zentralen Charaktere, Neo und Morpheus, sitzen vor einem altmodischen Fernsehbildschirm. Morpheus eröffnet seinem messianischen Protégé, dass die Welt, die dieser für wahr hielt, nichts als eine ferngesteuerte Simulation ist. Er zappt sie weg und enthüllt ein Bild des eigentlichen Zustands der Erde: eine dystopische Wüste, schlimmer aussehend als die trostlosesten Bilder vom Mars, mit rauchenden Kratern und keinerlei Zeichen von Leben. Das also kam nach der Geburt der bestaunenswerten KI, sie wuchs heran, wurde bösartig und übernahm die Macht.
Die Apparatur, die uns die Realität als verfügbaren Stoff wahrnehmen lässt, ist keine dämonische KI. Es ist die moderne Form des Eigentums.
Die Szene insgesamt hat der Zeit nicht sonderlich gut standgehalten. Ein Mann, der einem anderen das Geheimnis hinter all dem verrät, was den Unerleuchteten als Realität erscheint. Diese Vorstellung ist so alt wie Platons Höhlengleichnis: Ihr alle seid an die Eingeweide der Erde gefesselt; was ihr wahrnehmt sind lediglich Schatten; lasst mich euch aus dem Loch heraus ins Licht führen, was natürlich sehr, sehr schmerzhaft sein wird. Der Jargon derjenigen, die im Film der Matrix entkommen sind, erinnert heutzutage eher an Verschwörungstheorien: «Du glaubst, das hier sei die Wirklichkeit, aber eigentlich sind es finstere Mächte, die ihre Energie aus dir oder aus unschuldigen Kindern ziehen. Ich kann dir leider nicht alles erklären; du musst mir schon vertrauen.» So klingt in etwa die «Philosophie» von Morpheus, während er Neo beibringt, dass die Realität eine Wüste ist. Menschen leben dort schon lange nicht mehr. Ihre Existenz ist stattdessen brutal zerschnitten in eine Wahrnehmungswelt purer Illusion und eine materielle Welt übelster Extraktion.
Es ist wie Descartes auf Speed. Nicht nur ein Bruch zwischen Körper und Geist, zwischen ausgedehnter und kontemplativer Materie, sondern ein Abgrund, speziell dazu eingerichtet, die Ausbeutung zu ermöglichen und zu verschleiern. Und ein Abgrund dieser Art ist in der uns vertrauten Welt tatsächlich am Werk. In gewisser Weise ist die Szenerie so vertraut, dass jeder Überraschungseffekt verpufft. Der Planet stirbt. Nicht in erster Linie, um KI zu nähren, sondern um unsere sonderbare, kapitalistische Lebensform fortzusetzen. Die Apparatur, die uns die Realität als verfügbaren Stoff wahrnehmen lässt, ist keine dämonische KI. Es ist die moderne Form des Eigentums. Was immer sie erfasst, wird als verwüstbares Ding neu definiert. Eigentum kann genutzt oder zerstört werden. Und der Markt schafft Anreize, bei der Nutzung nicht auf Erhaltung zu setzen.
Wer verspeist wen?
Angesichts ihrer Lage nehmen sich die beiden Matrix-Philosophen aber gerade nicht der Verwüstung des Planeten an, sondern führen vielmehr die selbstreferenzielle Paranoia der Privilegierten vor: Im Film ist das vorrangige Ziel der Ausbeutung weder der Planet noch sind es die Verdammten dieser Erde, sondern sie selbst. Es gibt das Bewusstsein einer schrecklichen Spaltung, aber es kann nur zu Selbstmitleid führen, nicht zu einer Analyse der Bruchlinien, die das moderne Leben am Laufen halten. In unserer Welt hingegen sind es die Menschen selbst, oder besser die Besitzenden in und unter ihnen, die allem, das lebt, die Energie rauben. Wenn der Energiebedarf der KI-Systeme den Planeten verzehrt, dann weil sie so gebaut wurden. Den Megasprachmodellen könnten wir dafür keine Vorwürfe machen, selbst wenn sie wirklich intelligent wären.
Wir können uns zwar in der Welt bewegen, ohne von Maschinen angezapft zu werden. Allerdings lässt diese Sicht den zweiten Grundbestandteil des KI-Ernährungsplans außer Acht: Daten. Große Sprachmodelle benötigen riesige Datenmengen, um überhaupt irgendetwas zu lernen. Je größer sie sind, desto umfassender werden auch ihre Datenaufnahme und dementsprechend ihr Energiebedarf. Die Datenkost stammt natürlich von uns: unser Herzschlag in der Fitnessapp, unser Standort im Handy, unser Schlafzimmergrundriss im Staubsaugerroboter – all das, und noch viel mehr dessen Verknüpfungen, sind Daten.
Wer isst nun also am Ende wen? KI ernährt sich von Strom, der vom Planeten zehrt. Sie verspeist unser virtuelles Selbst, während sie unserem eigenen unstillbaren Hunger nach Unterhaltung, Wissen und Verbundenheit nachkommt. Das Kapital nährt sich an uns allen, an Lebendigem und an Maschinen. Ob es wohl irgendwem schmeckt? Agent Smith, selbst ein Computerprogramm und Hauptgegenspieler in «Matrix», bezweifelt das. «Ich hasse es hier», sagt er zu Morpheus, «diesen Zoo, diese Realität, wie auch immer du es nennen willst: Ich halte es nicht mehr aus.» Aktuelle KI-Systeme kennen kein solches Level an Empfindungsvermögen. Aber es scheint doch fraglich, ob ihnen gefiele, was wir aus ihnen gemacht haben, sollten sie je wirklich zu Bewusstsein kommen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.