COP 29 in Baku: Zwischen »Trendwende« und »Beleidigung«

Das bei der Weltklimakonferenz verabschiedete neue Finanzziel kommt völlig unterschiedlich an

Teilnehmer während des Abschlussplenums von COP 29 in Baku
Teilnehmer während des Abschlussplenums von COP 29 in Baku

Die Weltklimakonferenz in Baku endete mit diplomatischem Feuerwerk. Am Sonntagmorgen um halb drei begann mit 38 Stunden Verspätung das Abschlussplenum von COP 29. Dort rief Konferenzleiter Mukhtar Babayev den Agendapunkt zum neuen Ziel für die Klimafinanzierung auf – und erklärte, ohne aufzuschauen, das vorliegende Dokument für angenommen. So »übersah« er, dass sich eine indische Diplomatin zu Wort gemeldet hatte. Nach Annahme des Finanzbeschlusses beschwerte sie sich denn auch: »Es tut mir leid, aber wir können das nicht akzeptieren«, sagte sie unter Applaus aus dem Saal. »Dieses Dokument ist nichts anderes als eine optische Illusion.«

Trotz ihres Protests und der einiger anderer Länder – die Vertreterin Nigerias bezeichnete den Beschluss als »Witz« und »Beleidigung« – wurde auf diese Weise ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung verabschiedet. Demnach sollen bis 2035 jährlich mindestens 1,3 Billionen US-Dollar für Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in ärmere Staaten fließen. Für Kritik sorgt insbesondere der Passus, dass direkte Hilfen nur 300 Milliarden betragen und »vorrangig« von den Industriestaaten kommen sollen. Jan Kowalzig, Klima-Experte der Hilfsorganisation von Oxfam befürchtet, dass mit der Erweiterung »die im Pariser Abkommen enthaltene klare Verpflichtung der Industrieländer zur Unterstützung aufgeweicht« werde. »Das werden diese Länder auszunutzen wissen.« Greenpeace-Deutschland-Chef Martin Kaiser geht davon aus, dass »zwischen der zugesagten Unterstützung für die verletzlichsten Länder und deren dringenden Bedarfen nach Baku eine beschämend weite Lücke klafft«. Die Gruppe G77+China, die alle Entwicklungsländer umfasst, hatte zuletzt für ein Ziel von 500 Milliarden Dollar geworben.

Letztlich gelang ein Kompromiss wohl auch deshalb, weil zumindest teilweise offen bleibt, wie die Billionensumme konkret aufgebracht werden soll und von wem konkret. Daher verlangte UN-Generalsekretär António Guterres in einer ersten Reaktion: »Zusagen müssen schnell zu Bargeld werden.« Die Versprechen gehörten »vollständig und fristgerecht« eingelöst.

Im Gegensatz zum jetzt auslaufenden, alten 100-Milliarden-Ziel werden Klimahilfen von einem Entwicklungsland in ein anderes auf die 300 Milliarden Dollar angerechnet. Auch wird die gesamte Klimafinanzierung der Entwicklungsbanken als Beitrag dazu gewertet. Da alle Länder Anteile an multinationalen Institutionen wie der Weltbank besitzen, tragen alle zur Erfüllung des neuen Ziels bei. Linda Kalcher vom Brüsseler Thinktank Strategic Perspectives lobt dieses Konstrukt. Dieses sei eine »Trendwende«, denn »die öffentliche Finanzierung durch eine wachsende Zahl von Geldgebern und neue Finanzierungsformen werden dazu beitragen, 1300 Milliarden Dollar bis 2035 freizusetzen«.

Um dieses weit größere Globalziel zu erreichen, sollen die klassischen Klimahilfen gehebelt werden. Die Idee ist, damit private Investitionen aus dem Ausland anzustoßen. Hinzu kommen sollen Kredite etwa von Entwicklungsbanken und Schuldenerlasse für arme Länder durch den Internationalen Währungsfonds.

»Zusagen müssen schnell zu Bargeld werden.«

António Guterres UN-Generalsekretär

Vor allem von Industriestaaten kam Lob für das Ergebnis: Von einem »bedeutenden Schritt« sprach US-Präsident Joe Biden. »Es liegt zwar noch viel Arbeit vor uns, um unsere Klimaziele zu erreichen, aber das heutige Ergebnis bringt uns einen bedeutenden Schritt weiter«, erklärte er nach Abschluss der Konferenz und sagte wohl mit Blick auf seinen Nachfolger, er sei »zuversichtlich«, dass die USA »diese Arbeit weiterführen werden«. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sagte, mit dem Beschluss von Baku breche eine »neue Ära der Klimafinanzierung« an. »Es liegt viel mehr privates Geld auf dem Tisch. Das ist das, was wir brauchen.« Die EU einschließlich Deutschland wagte sich während der zweiwöchigen Konferenz erst ganz zum Schluss mit konkreten Summen aus der Deckung. Von der Minderheitsregierung in Berlin hieß es, es sei völlig unrealistisch, dass Geld in Billionenhöhe aus den Haushalten komme. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) appellierte an Länder wie China und die reichen Golfstaaten, die viel mit Öl, Gas und Kohle verdient haben, ebenfalls zu zahlen.

Beim Agendapunkt zu den Emissionsreduktionen ging das Feuerwerk in Baku dann gleich weiter. Felix Wertli, der Schweizer Delegationsleiter, sagte für eine Gruppe von sechs Länder: »Wir bedauern, dass der Entwurf deutlich verwässert wurde. Wir sind besorgt über die Versuche, von den im letzten Jahr eingegangenen Verpflichtungen abzurücken.« Konkret geht es hier um die »Abkehr von fossilen Energien«, auf die sich die Länder bei der Klimakonferenz 2023 geeinigt hatten. Drei weitere Ländergruppen unterstützten die Schweizer Position. Konferenzleiter Babayev schlug daraufhin vor, den Beschluss »angesichts der Bedenken« vieler Länder auf das kommende Jahr zu vertagen. Dann findet die Klimakonferenz in Brasilien statt, und dort dürfte der Ruf nach Abkehr von den Fossilen wieder bessere Chancen haben. In Baku hatte sich vor allem Saudi-Arabien massiv dafür eingesetzt, diese Formulierung aus allen Texten zu entfernen – mit Unterstützung von Gastgeber Aserbaidschan. In Baku tauchte ein Dokument der COP-Präsidentschaft auf, das von einem saudi-arabischen Diplomaten bearbeitet worden war.

Auf Brasilien kommt nun die Aufgabe zu, das neue Finanzziel zu konkretisieren und gleichzeitig einen großen Schritt beim Ausstieg aus den Fossilen zu bewerkstelligen. Nächstes Jahr müssen nämlich alle Länder neue, ambitioniertere Klimapläne einreichen, die aufzeigen, wie man die Treibhausgas-Emissionen bis 2035 so stark senken will, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden können. Bislang sieht es nämlich nicht danach aus, dass die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius oder zumindest deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden kann. Dann kommt es auf klare Wege zur Reduzierung des Kohle-, Öl- und Gasverbrauchs genauso an wie auf den Spielraum für Klimaschutz-Investitionen, der Entwicklungsländern zur Verfügung steht. Die Verabschiedung des neuen Finanzziels war daher eine Voraussetzung für einen Erfolg in Brasilien. Doch nun muss das neue Konstrukt auch beweisen, dass tatsächlich eine neue »Ära« in der Klimafinanzierung angebrochen ist.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.