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Belutschistan: »Wir wollten nie Sklaven bleiben«
Shar Hassan, Präsident der Baloch National Movement in Deutschland, spricht über die Situation im pakistanischen Teil Belutschistans
Der Unabhängigkeitskampf der Belutschen ist in Deutschland eher unbekannt. Woran liegt das und was ist das Kernanliegen der Bewegung?
Wir haben keine internationalen Medien in Belutschistan. Wenn Journalisten einreisen, werden sie entweder gleich rausgeschmissen, oder sie bekommen Probleme. Es wurden schon sehr viele belutschische, aber auch internationale Journalisten getötet. Hinzu kommt, dass viele ausländische Medien kein Interesse an der Bewegung haben, auch deutsche nicht, denn Deutschland hat gemeinsame Interessen mit Pakistan. Gibt es eine Aktion in Belutschistan, dann übernehmen viele Journalisten die pakistanischen Berichte. Wir kämpfen nun mal gegen den Kolonialismus, und da spielen die Interessen der Kapitalisten eine große Rolle. Die unterstützen in der Regel jene, die ein Land oder eine Armee haben, um deren Interessen durchzusetzen. Belutschistan ist kein Land, es ist eine Freiheitsbewegung. Es war einmal ein Land, aber gerade ist es das nicht.
Was ist der historische Hintergrund der aktuellen Situation?
Belutschistan wurde am 11. August 1947 von England unabhängig. Leider haben die USA und England gleichzeitig Pakistan aufgebaut, das am 14. August 1947 formal unabhängig wurde. In den folgenden acht Monaten wurde Belutschistan von Pakistan besetzt – mit britischer Unterstützung. Die Engländer haben Pakistan mit Waffen und Geld versorgt, die ersten Stabschefs der pakistanischen Armee waren sogar Briten. England wollte seinen Einfluss in der Region durch Pakistan wahren. Gleichzeitig gab es eine sehr aktive, militante Freiheitsbewegung in Belutschistan. Die Belutschen haben noch nie einen Kolonialismus akzeptiert, gegen England, Portugal und das Osmanische Reich gekämpft. Wir wollten nie Sklaven und Unterdrückte bleiben.
Shar Hassan kommt aus Gwadar im pakistanischen Teil Belutschistans. Von 2006 bis 2021 war er dort in der Schüler- und Studentenorganisation BSO Azad aktiv. Wegen seiner politischen Tätigkeit musste er 2011 ins Exil gehen. Seit drei Jahren ist Shar Hassan im Baloch National Movement Deutschland aktiv dort seit 2023 Präsident. Für »nd« sprach mit ihm Balduin Bux.
Wie hat sich die Freiheitsbewegung organisiert?
Allah Nazar Baloch gründete im Jahr 2002 die BSO-Azad (Baloch Student Organization – Azad), um die Unabhängigkeitsbewegung zu radikalisieren. Sie entstand dabei aus einer studentischen Aktivistengruppe, die ursprünglich politische Rechte und Autonomie für die Belutschen angestrebt hatte. Nazar Baloch, der die Baloch Liberation Front (BLF) anführt, sah den bewaffneten Widerstand als notwendig an, um die Forderungen der Belutschen gegen den pakistanischen Staat durchzusetzen. Ein zentraler Grund war seine Überzeugung, dass friedliche politische Bewegungen die tief verwurzelten Probleme der Belutschen, wie politische Marginalisierung und Ressourcenausbeutung, nicht lösen könnten. Die BSO-Azad plädiert offen für einen unabhängigen Staat Belutschistan, und Ghulam Muhammad Baloch gründete im Jahr 2004 die Baloch National Movement (BNM) mit dem klaren Ziel, für die vollständige Unabhängigkeit zu kämpfen.
Am 11. Oktober wurden bei einem Angriff 21 Arbeiter in einer Kohlemine getötet. In vielen Medien wird das als Angriff der Balochistan Liberation Army (BLA) oder der Balochistan Liberation Front (BLF) aufgefasst. Was können Sie uns dazu sagen?
Die Berichte der BLA zeigten, dass die Getöteten Ausweise, Waffen und Walkie-Talkies der Armee hatten. Nachdem die Arbeiter getötet wurden, haben deren Familien die Leichen erhalten und danach demonstriert, um die pakistanische Armee zu kritisieren, die sie als verantwortlich ansehen. Aber das wurde von den internationalen Medien nicht gezeigt, weil die nur abbilden, was die pakistanischen Medien und der pakistanische Staat sagen. Wenn wir wirklich die Wahrheit wissen wollen, brauchen wir eine Untersuchung durch die Vereinten Nationen (UN), damit wir wissen, welche Leute da gestorben sind und ob sie von der BLA oder dem pakistanischen Staat getötet wurden.
Die BLA und die BLF werden von Pakistan, China, Großbritannien, den USA und der EU als terroristische Vereinigung eingestuft. Rechnen Sie als BNM mit einem ähnlichen Vorgehen durch die EU und Deutschland?
Noch nicht. Ich sage noch nicht, weil die deutschen Interessen noch nicht so klar dafür sprechen. Die USA machen, was Pakistan und China sagen, weil die USA historisch immer gegen Freiheitsbewegungen waren. China ist als sogenanntes kommunistisches Land selbst kolonialistisch und macht das wegen seiner Interessen in der Region. Doch wo liegt der Unterschied zwischen Terroristen und Freiheitskämpfern? Dschihadisten sind Terroristen. Die wurden von den USA selbst aufgebaut im Krieg gegen die Sowjetunion. Heute ist Afghanistan in der Hand der Taliban. Das sind Terroristen. Die BLA sind Freiheitskämpfer. Sie haben niemals in Pakistan, in Punjab, unschuldige Menschen attackiert. Wir akzeptieren diese Einstufung aus China und den USA nicht, weil wir sagen: Die sollen erst einmal die Bevölkerung von Belutschistan fragen, wer die Terroristen sind und wer nicht.
Ist eine politische Lösung möglich oder wird die Gewalt weiter eskalieren?
Beides, denn ohne Politik funktionieren Waffen nicht. Die Zukunft ist unsere. Das glauben wir, weil unsere jungen Leute, die 24, 25 Jahre alt sind, nach dem Studium ihren Kampf führen. Die Freiheitskämpfer sind stark in Belutschistan. Das ist unsere Zukunft, und ich hoffe, dass die ganze Welt das merkt. Unsere Bewegung in Belutschistan braucht Unterstützung, egal von wem.
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