Gefeuert nach gescheiterter Betriebsratswahl

Jobcenter-Bildungsträger DCI: Statt Wahlzettel für einen Betriebsrat werden Tage nach einer Betriebsversammlung Kündigungsschreiben verteilt

Eine Betriebsratswahl ist kein Selbstläufer und kann mitunter auch riskant sein.
Eine Betriebsratswahl ist kein Selbstläufer und kann mitunter auch riskant sein.

Die Anschuldigungen wiegen schwer: »Wir bei Verdi haben den Eindruck, dass durch die Kündigung der Initiator*innen die Betriebsratswahl torpediert werden soll«, sagt Mila Neunzig von der Gewerkschaft Verdi. »Wir werden prüfen, ob hier die Grenze zur strafbaren Behinderung einer Betriebsratswahl überschritten ist, und behalten uns gegebenenfalls eine Anzeige vor.«

Am Berliner Hauptstandort des Weiterbildungsinstituts DCI Digital Career Institute GmbH sollte im Juli dieses Jahres auf einer Betriebsversammlung zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl ein Wahlvorstand bestimmt werden. Die Versammlung sei jedoch immer wieder durch Störungen torpediert worden, teilt Verdi mit. Schließlich musste die Wahlversammlung abgebrochen werden, weil die Vermieterin der Räumlichkeiten die weitere Nutzung des Raums untersagte. Allen vier Initiator*innen sei zu Beginn der folgenden Woche fristlos gekündigt worden. Die rechtliche Vertretung der DCI in den Kündigungsprozessen übernimmt laut Verdi der bekannte Arbeitgeberanwalt Helmut Naujoks. »Mein Ziel ist es, dass Betriebsräte das Unternehmen verlassen. Davon lebe ich«, soll Naujoks während einer Undercover-Reportage zu dem Journalisten Günter Wallraff gesagt haben.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Bei der DCI gibt es bis heute keinen Betriebsrat. Bei dem zertifizierten Bildungsträger können Menschen, die Bürger- oder Arbeitslosengeld beziehen, per Bildungsgutschein an Weiterbildungsprogrammen teilnehmen. Bezahlt wird er »maßgeblich« von der Agentur für Arbeit, behauptet Verdi. Die Kurse umfassen diverse Programmiersprachen, Softwareentwicklung, Cloud Computing, Online-Marketing und Personalmanagement und dauern zwischen drei und zehn Monaten. Der Unterricht findet online statt. Mehr als 3000 Studierende nehmen derzeit an mehr als 100 Kursen teil, gibt die DCI auf ihrer Webseite an.

Ursprünglich hat das Institut vor allem Geflüchtete qualifiziert. Heute wolle man jedem die Möglichkeit geben, die Grundlagen für eine bessere Zukunft zu legen und in einer neuen Karriere durchzustarten, wirbt die DCI. »Wir leben Offenheit, Toleranz und Erfolg.«

Die Geschäftsführung weist die Vorwürfe von Verdi zurück: Man habe die Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für einen Betriebsrat nicht gestört. »Die Unternehmensseite hat an dieser Veranstaltung zu keinem Zeitpunkt teilgenommen«, teilt Marius Hein, Ko-Geschäftsführer der DCI, schriftlich mit. Zu rechtlichen Verfahren dürfe man sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern. Man sei sich als verantwortungsvoller Arbeitgeber der Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitenden vollends bewusst. »Wir arbeiten mit allen Mitarbeitenden auf Augenhöhe und jederzeit fair zusammen«, erklärt Hein.

Laut den Initiator*innen der Betriebsratswahl wird ihre außerordentliche Kündigung mit »arglistiger Täuschung« und dem Verhalten auf besagter Betriebsversammlung begründet. Der Berliner Standort zählte damals etwa 140 Mitarbeiter*innen. »Wir haben alle dieselbe Begründung für die fristlose Kündigung erhalten«, sagt eine*r der vier Initiator*innen. »Wir sollen aggressiv aufgetreten sein, die versammelten Kolleg*innen angeschrien und damit das Scheitern der Wahl selbst verursacht haben. Mit all dem würden wir uns künftig nicht mehr als Lehrer*innen für die DCI eignen.«

Wie genau die Versammlung abgelaufen ist und was zu ihrem Abbruch geführt hat, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Sie bedaure, dass sie an dem Tag nicht die Polizei gerufen habe, sagt eine weitere Person aus der Gruppe der Initiator*innen. »Es hätte deutlich gemacht, dass die in der Kündigung angegebenen Gründe nicht zutreffen, und vielleicht hätte die Versammlung dann abgeschlossen werden können.«

Die andere Initiator*in sagt: »Nur das Unternehmen hält an seiner Erzählung fest, nach der es einen Betriebsrat befürwortet, aber der Zeitpunkt ungünstig sei.« Sie seien noch in Kontakt mit den verbliebenen Kolleg*innen im Betrieb. »Die Stimmung ist der Horror.« Die Leute seien überarbeitet, weil gerade noch mal 45 Personen gekündigt wurde. Verdi fordert von der DCI, die Kündigungen zurückzunehmen und eine reibungslose Betriebsratswahl zu garantieren.

Derweil hadern die Initiator*innen mit der Gesetzeslage. Insbesondere für Unternehmen wie die DCI, die stark auf Homeoffice setzen, hänge das Gesetz hinterher. »In dieser Realität ist es schwer, festzustellen, wer deine Kolleg*innen sind, und Beziehungen aufzubauen«, sagt eine Person aus dem Initiator*innenkreis. »Und selbst wenn wir wieder eingestellt werden sollten: Was hindert die DCI daran, uns erneut zu kündigen?«

Anmerkung: Wir haben den Artikel aufgrund einer Eingabe der DCI und einer Richtigstellung von Verdi an mehreren Stellen nachträglich geändert. Ursprünglich hatten wir durch unsere Berichterstattung zunächst nahegelegt, dass die besagte Betriebsversammlung durch das Management von DCI abgebrochen wurde. Das ist falsch. Darüber hinaus hatten wir ein Zitat von Verdi verbreitet, wonach den Initiator*innen des Betriebsrats bereits am Folgetag gekündigt worden sei. Dies geschah jedoch erst mehrere Tage später.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -