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Sinn Féin setzt auf die soziale Frage
Bei der Parlamentswahl in Irland könnten Republikaner von schwachen Auftritten des Premiers profitieren
Nach jüngsten Meinungsumfragen werden bei der irischen Parlamentswahl am Freitag die drei großen politischen Parteien jeweils etwa 20 bis 21 Prozent der Stimmen erhalten. Die bürgerlich-liberale Fine Gael (FG) büßte demnach in der letzten Woche vor der Wahl sechs Prozent ein, was an den schwachen Auftritten ihres Parteichefs Simon Harris liegt.
Beim abschließenden der TV-Duelle mit Micheál Martin von der konservativen Fianna Fáil (FF) und der Linksrepublikanerin Mary Lou McDonald (Sinn Féin, SF) am Dienstag war Premierminister Harris der klare Verlierer. In einer Telefonumfrage bescheinigten ihm nur 15 Prozent der Zuschauer einen guten Auftritt, Martin und McDonald hingegen 38 beziehungsweise 35 Prozent.
Wahlkampf geprägt von Wirtschaft und Wohnungskrise
Die vorgezogenen Parlamentswahlen waren Anfang November von der Dreierkoalition aus FF, FG und Grünen angesetzt worden. Sie wollten die schlechten Umfragewerte von SF ausnutzen und noch in diesem Jahr die Wähler zu den Urnen rufen statt im Februar oder März 2025. Der kurze Wahlkampf war von den Themen Wirtschaft, Wohnungskrise und Migration geprägt und unaufgeregter als frühere.
Statt auf Sachfragen hatte Fine Gael ihren Wahlkampf vor allem auf die Person Harris zugeschnitten. Das dürfte sich nun rächen, nachdem dieser bei mehreren Auftritten arrogant gewirkt hatte. So behandelte Harris etwa die Behindertenbetreuerin Charlotte Fallon aus der Grafschaft Kerry herablassend.
Soziale Berufe unterbezahlt
Bei dem Wahlkampfauftritt in einem Supermarkt hatte sich Fallon bei dem Regierungschef beschwert: »Wir im Sozialwesen haben für unser Geld gekämpft und wurden von ihrer Regierung ignoriert.« Die Löhne seien »ein Witz«. Damit spielte Fallon auf die intensiven Arbeitskämpfe im Sozialbereich im Westen Irlands in den vergangenen Jahren an. Behindertenbetreuer würden dennoch »sehr leidenschaftlich arbeiten«. Darauf entgegnete ein wütender Harris: »Ich bin auch sehr leidenschaftlich«, worauf er sich umdrehte und ging. Der Premier musste sich entschuldigen, nachdem ein Clip des Wortwechsels am vergangenen Freitag in den sozialen Medien viral gegangen war.
Von dem Fauxpax konnte SF profitieren, deren Parteichefin McDonald gute Auftritte geliefert hat. Die »Irish Times« sah eine während ihrer Wahlveranstaltungen und Medientermine »entspannt und souverän« wirkende Sinn-Féin-Politikerin. Ihren TV-Auftritt am Dienstagabend nannte die Zeitung »beeindruckend«. Die Umfragen zeigten, dass nun viele der unentschlossenen Wahlberechtigten zu SF tendierten.
Leben hat sich massiv verteuert
Dabei spielten die Hauptsorgen der Bevölkerung der Oppositionspartei während des Wahlkampfes in die Hände. Der Kampf gegen die Teuerung und die Wohnungsnot sind seit Jahren zentrale Anliegen der Republikaner. Mehr als ein Drittel der befragten Wahlbeteiligten gab an, dass Antworten auf das Problem der gestiegenen Lebenshaltungskosten für ihre Entscheidung ausschlaggebend sind.
Irland ist von dieser Krise noch stärker als andere europäische Länder betroffen. Zwischen Februar 2020 und Oktober 2024 stiegen die Kosten für Lebensmittel um 20 Prozent, die für Strom und Gas um 61,4 Prozent und die Versicherungskosten um 16 Prozent, wie in der vergangenen Woche veröffentlichte Zahlen des nationalen Statistikamtes zeigen.
16000 Menschen sind wohnlungslos
Besonders dramatisch ist die Wohnungsnot. Nach Angaben des zuständigen Ministeriums waren in Irland Ende August fast 16 000 Menschen als wohnungslos registriert. Das ist nahezu eine Verdopplung seit 2021. In den Zahlen nicht enthalten sind dabei unregistrierte Obdachlose und Personen ohne festen Wohnsitz, die an wechselnden Orten übernachten müssen, sogenannte Couch Surfer.
Sinn Féin verspricht, bis 2030 bis zu 97 000 Wohneinheiten bauen zu lassen. Mary Lou McDonald erklärte, dass ihre Partei »die Dynamik für den Wandel« repräsentiere. Doch selbst für den Fall, dass SF stärkste Kraft wird, dürften für eine Koalitionsregierung mit linken Kleinparteien Sitze fehlen. Aufgrund des komplizierten irischen Verhältniswahlrechts, bei dem Wähler in der Reihenfolge ihrer Präferenz für mehrere Kandidaten stimmen können, sind aussagekräftige Ergebnisse nicht vor Samstagnacht zu erwarten.
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