Gegen das fossile Ganze

Es braucht eine materialistische Analyse dieser Gesamtsituation. Ein Plädoyer für einen aufgeklärten Ökosozialismus

  • Katja Wagner, Maximilian Hauer und Maria Neuhauss
  • Lesedauer: 12 Min.
Symbol der untergehenden fossilen Infrastruktur: In den konkreten Formen steckt bereits die ganze Katastrophe des Kapitalismus.
Symbol der untergehenden fossilen Infrastruktur: In den konkreten Formen steckt bereits die ganze Katastrophe des Kapitalismus.

Die Klimakatastrophe wurde lange als Zukunftsszenario verstanden. Die Klimaforschung wies in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur und des atmosphärischen CO2-Gehalts empirisch nach und verknüpfte beide Messdaten durch eine plausible Theorie des anthropogenen Klimawandels. Doch die regelmäßig in das Jahr 2100 projizierten Negativfolgen schienen damals noch in ferner Zukunft zu liegen. Zudem betraf der Klimawandel vermeintlich nur entlegene Weltgegenden wie die Polkappen oder die Sahelzone. Nach zwei Jahrhunderten technologischen Fortschritts hielt man die Natur für beherrschbar und wähnte sich zumindest in den hochindustrialisierten Gesellschaften weitgehend vor Naturkatastrophen in Sicherheit.

Das erwachende Klimabewusstsein

Nach der wegweisenden Weltklimakonferenz in Toronto 1988 verstrichen weitere drei Jahrzehnte, bevor der Klimawandel 2018 Umfragen zufolge erstmals zum wichtigsten Thema der deutschen Öffentlichkeit wurde. Mit verheerenden Hitzewellen brach dieser vormals oft als abstrakt wahrgenommene Prozess in den 2010er Jahren in die mitteleuropäische Lebenswelt ein. Diese Erfahrungen bereiteten einem nie dagewesenen Aufschwung der Klimabewegung den Boden, der 2018/2019 zahlenmäßig über die Protestzyklen vergangener Jahrzehnte hinausging.

Fortan war der Klimawandel auch aus den Medien nicht mehr wegzudenken. Einerseits erweitert die gängige Berichterstattung unser Wissen über den Klimawandel durch einen permanenten Informationsfluss aus neuen Studienergebnissen, Graphiken und Zahlen. Andererseits nimmt dieses Wissen oft die Form einer unendlichen Aufzählung von Fakten an, sodass der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen ist.

Ähnlich unübersichtlich wie die Ausprägungen des Klimawandels stellen sich auch dessen Ursachen im gängigen Bewusstsein dar. Von Ernährung und Bekleidung über Fortbewegung und Reisen, bis hin zum Wohnen und zur Familienplanung ist beinahe jede Facette des eigenen Lebens mit energiebedingten Emissionen und auf diese Weise mit der Klimakrise verknüpft. Diese scheint sich als Problem von planetarischen Ausmaßen aus unzähligen, dezentralen Mikrohandlungen und »ökologischen Fußabdrücken« zu speisen. Dabei gelten vor allem die Annehmlichkeiten des individuellen Konsums als schädlich: Auto fahren, Fleisch essen oder der Urlaubsflug in den Süden. Die vermeintlich durch individuelle Entscheidungen erzeugte Krise soll folglich durch die Summe unendlich vieler kleiner Verhaltenskorrekturen wieder behoben werden.

Diese individuellen Lifestyle-Anpassungen bringen jedoch neue Probleme mit sich. Die damit einhergehende moralische Bürde auf den Einzelnen ist belastend, während die globalen Emissionen unbeeindruckt von allen Bemühungen Jahr für Jahr weiter ansteigen. Die Lösung soll mit dieser oder jener »klimaneutralen« Ware überall nur einen Kauf entfernt sein und entpuppt sich zugleich als unerreichbar. Diese Erfahrung fehlender Wirkmacht kann in Fatalismus und Resignation umschlagen.

Zudem verstärkt die Spaltung in normalen und »bewussten« Konsum kulturelle Statushierarchien in einer ohnehin ökonomisch extrem ungleichen Gesellschaft. Rechtspopulistische Kräfte nutzen dies aus und führen einen Kulturkampf um den Klimawandel, dessen Eindämmung vermeintlich nicht im Interesse der »einfachen Leute« ist. Schon allein deshalb kann eine linke Antwort auf die Klimakatastrophe nicht am individuellen Konsum ansetzen.

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Individualismus und Greenwashing

Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass individuelle Lifestyle-Entscheidungen die Klimakatastrophe niemals aufhalten werden. Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Individuen leben, werden davon nicht berührt. Diese treten uns im Alltag als eine Welt fertiger materieller und institutioneller Gegebenheiten entgegen: zersiedelte Städte, versiegelte Flächen, die Monokulturen der industriellen Landwirtschaft, das am motorisierten Individualverkehr orientierte Verkehrssystem, das fossile Energiesystem und die ungeheuren Warensammlungen in den Läden und die Fabriken, in denen nonstop Nachschub produziert wird.

All das muss sich ändern, um den Klimawandel wirklich einzudämmen. Doch als Einzelne können wir darauf keinen Einfluss nehmen. Die Profiteur*innen des fossilen Kapitalismus wissen das und wollen, dass es so bleibt. Daher versuchen sie, die spontanen ethischen Regungen vieler Menschen angesichts der Zerstörung von Mensch und Natur in die individualistischen Bahnen des »ethischen Konsums« zu leiten. So wurde etwa das Konzept des »persönlichen CO2-Fußabdrucks« Anfang der 2000er Jahre durch eine 250 Millionen Euro schwere PR-Kampagne des Erdölkonzerns British Petroleum (BP) erfolgreich im öffentlichen Bewusstsein verankert. Dabei griff das Unternehmen auf die seit den Umweltkrisen der 1970er Jahre bewährte Strategie der »Responsibilisierung« zurück, bei der einzelne Kund*innen für die Verschmutzung durch die Industrie verantwortlich gemacht werden.

Das Kapital zieht sich so aus der Schusslinie der Kritik und verkauft obendrein seine grün gewaschenen Produkte als Entlastung für einen geschundenen Planeten (beziehungsweise das schlechte Gewissen). Seine Vertreter*innen wissen, dass der Kampf um die gesellschaftlich vorherrschende Rahmenerzählung über die Klimakatastrophe ein wichtiger politischer Schauplatz ist und investieren seit Jahrzehnten in Leugnung, Individualisierung, »Greenwashing« und technologische Wunderversprechungen.

Die Welt richtig interpretieren

Um dem etwas entgegenzusetzen, müssen wir die skizzierten fragmentarischen Formen des Denkens und Handelns überwinden, in denen die Klimakrise noch immer oft verarbeitet wird. Wir argumentieren daher für eine Systematisierung im Denken wie im Handeln. Um die Welt zu verändern, muss man sie zunächst richtig interpretieren. Eine wissenschaftliche Analyse des Klimawandels ist daher unabdingbar. Doch was heißt wissenschaftlich überhaupt?

In der Linken herrscht mitunter eine gewisse Skepsis gegenüber dem Begriff der Natur und den Naturwissenschaften. Das ist kaum verwunderlich: »Natur« wurde in der Geschichte immer wieder in Anschlag gebracht, um die soziale Ungleichbehandlung zwischen Geschlechtern und Ethnien patriarchal und rassistisch zu rechtfertigen oder gesellschaftliche Verhältnisse als unveränderbar darzustellen. Linke Kritik zielt heute daher oft auf die Unterscheidung von Natur und Gesellschaft. Dabei will sie aufdecken, dass das, was auf den ersten Blick natürlich scheint, in Wahrheit »naturalisiert« wurde. Gesellschaft, Geschichte und Kultur werden somit kritisch als eigenständige Bereiche aus der Natur herausgelöst und als Resultate menschlicher Praxis verstanden, die somit potenziell durch kollektives Handeln verändert werden können.

Leider verbindet sich diese grundlegende Einsicht häufig mit einem Desinteresse an der stofflichen Welt und der Frage nach dem wirklichen Zusammenhang von Natur und Gesellschaft. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich sogar verschiedene Spielarten eines Sozialkonstruktivismus herausgebildet, der die Natur nur noch als gesellschaftliches Erzeugnis gelten lässt, sei es als Produkt der Arbeit oder als Effekt von Diskursen. Schon seit der Entstehung der Umweltbewegung in den 1970er Jahren steht die ökologische Sorge daher bei vielen Linken unter Ideologieverdacht. Daraus folgt, dass sie den Klimawandel zwar nicht leugnen, ihn jedoch aufgrund mangelhafter naturwissenschaftlicher Kenntnisse tendenziell unterschätzen. Damit liegt es nahe, sich stattdessen auf die ideologischen Irrwege und politischen Halbheiten der Klimabewegung zu konzentrieren.

Spiegelbildlich dazu verlassen sich große Teile der Klimabewegung vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die auch die politische Praxis anleiten sollen. So ist das wichtigste Ziel der Bewegung, die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad, den Berichten der Expertenkommissionen entlehnt. Sicher, nur die Klimaforschung kann uns die stofflichen Wirkzusammenhänge im Erdsystem erklären. Weil sie gesellschaftliche Ursachenzusammenhänge ausspart, kann die Klimaforschung aber nicht erklären, warum der Energie- und Ressourcenverbrauch permanent anwächst und ihre Warnrufe vor den katastrophalen Folgen wirkungslos verhallen. Beispielsweise machen die Klimakoryphäen Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber in ihrem vielfach aufgelegten Einführungsbuch »Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie« recht oberflächlich sensationshungrige Medien, Lobbyismus und Fragen der »Moral (bzw. ihre Abwesenheit)« für den Schlamassel verantwortlich, anstatt ernsthaft und systematisch die ökonomischen und politischen Triebkräfte hinter dem Klimawandel zu analysieren. Trotz des wissenschaftlichen Anspruchs der Bewegung weist sie hinsichtlich der Gesellschaftstheorie große Lücken auf.

Bedingung für die Praxis

Gegen solche Vereinseitigungen argumentieren wir für eine umfassende materialistische Herangehensweise, die die objektive Entwicklung der Klimakrise naturwissenschaftlich begreift und ihre tieferen sozialen und historischen Ursachen mithilfe einer marxistischen Gesellschaftstheorie und Geschichtsschreibung aufschlüsselt. Nur durch diese Verbindung entsteht eine realistische Erkenntnis der Wirklichkeit, auf deren Grundlage sinnvoll gehandelt werden kann. Die gesellschaftstheoretische Analyse zeigt dabei, dass die Klimakatastrophe weder als Frucht einer ewig zerstörerischen menschlichen Natur noch als zufällige Fehlentwicklung begriffen werden kann. Vielmehr ist sie eines von mehreren Phänomenen, in denen heute das fundamental gestörte Verhältnis von Natur und Gesellschaft im Kapitalismus erscheint.

Bereits die elementaren Formen der kapitalistischen Wirtschaftsweise wie Privateigentum, Ware, Geld, Wert, Markt und Kapital enthalten den Keim ökologischer Krisen, auch wenn deren konkrete Entfaltung von spezifischen historischen Umständen abhängt. Eine ökologische Gesellschaftskritik muss daher einerseits davon ausgehen, dass ökologische Krisen notwendig sind, solange die gesellschaftlichen Individuen in den bestehenden ökonomischen Formen leben und arbeiten. Andererseits sind diese ökonomischen Formen selbst nicht als naturnotwendig, sondern als historisch veränderbar zu begreifen. Aus der grundlegenden Bedeutung dieser sozialen Formen folgt zugleich, dass technologische Innovation, wissenschaftliche Aufklärung, moralische Läuterung oder politische Richtlinienänderungen als Antworten auf die ökologische Krise der Gegenwart nicht ausreichen, wenn sie die Frage der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse aussparen.

Das theoretische Wissen um die ökonomischen und politischen Verhältnisse, die die ökologische Krise ermöglicht haben und noch immer weiter antreiben, ist eine notwendige Bedingung für das bewusste praktische Eingreifen an den entscheidenden Hebelpunkten, um die verkehrte Ordnung aus den Angeln zu heben. Doch so notwendig sie auch ist, reicht diese theoretische Einsicht für sich genommen gleichwohl nicht hin. Denn die Entscheidungsgewalt über die materiellen und institutionellen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens ist der ungeheuren Mehrzahl der Menschen heute objektiv vorenthalten. Dieser entfremdete Zustand kann allein durch kritisches Bewusstsein nicht aufgehoben werden. Nur wenn dieses Bewusstsein sich in kollektivem Handeln äußert, können die verselbständigten gesellschaftlichen Verhältnisse in den Bereich politischer Gestaltungsmacht gerückt werden.

Sozialökologische Strategien

Auf dem Feld der Klimapolitik tummelt sich heute eine Vielzahl von Akteur*innen mit ganz unterschiedlichen Zielen und Überzeugungen, Interessen und Strategien. Begleitend zur offiziellen Klimapolitik der liberal dominierten Parlamente und zwischenstaatlichen Gremien kämpft die außerparlamentarische Klimabewegung seit vielen Jahren unermüdlich in Schulen und Universitäten, auf Straßen und Plätzen, in Fabriken, Kohlerevieren und Wäldern. Neben unmittelbar klimabezogenen Aktionsformen und Forderungen haben sich mit dem Green New Deal und Degrowth/Postwachstum in den letzten Jahren auch zwei weiterreichende sozialökologische Strategien und Orientierungen herausgebildet, die beide auf ihre Weise versuchen, ökologische Antworten auf den Klimawandel in umfassende Projekte wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erneuerung einzubetten.

Diese politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen stellen heute den wirklichen Ausgangspunkt jeder ökologischen Politik dar. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die Ansätze der letzten Jahrzehnte an Grenzen gestoßen sind: Die bürgerliche Klimapolitik hat es in über 35 Jahren zwischenstaatlicher Klimakonferenzen und Abkommen nicht geschafft, die Emissionen zu senken. Mehr als die Hälfte des CO2, das seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre geblasen wurde, wurde nach 1988 emittiert, dem Jahr der erwähnten UN-Klimakonferenz in Toronto.

Die seit den 1990er Jahren entstandenen Klimabewegungen konnten trotz einzelner Erfolge bisher nichts an dieser allgemeinen Tendenz ändern. In ihrer Orientierung an großen Gipfeltreffen, NGO-Arbeit und Aufklärung hat sie lange Zeit ignoriert, dass eine ökologische Klimapolitik nicht als technokratische Anwendung wissenschaftlicher Expertisen zu haben sein wird, sondern heftige Interessenkonflikte mit der herrschenden kapitalistischen Klasse voraussetzt, die von der gegenwärtigen Einrichtung der Welt profitiert. Weiterreichende Ansätze wie der Green New Deal oder Postwachstum, die bislang nicht auf gesellschaftlichem Maßstab verwirklicht wurden, bleiben an zentralen Stellen widersprüchlich, wenn sie entweder Wirtschaftswachstum ohne ökologische Zerstörung oder ein glückliches Leben in einem Kapitalismus ohne Wachstum propagieren.

Der Aufstieg der Rechten

Die Verzweiflung darüber, dass der Klimawandel nach jahrelangem Protest trotz allem – sogar beschleunigt – voranschreitet, ist mittlerweile auch an den Aktionen der Klimabewegung bemerkbar. Ein gewisser politischer Existenzialismus des bedingungslosen Selbstopfers zeigt sich an dem Auf-die-Straße-Kleben der Letzten Generation und den Hungerstreiks einzelner Aktivist*innen. Der Griff zu drastischeren Mitteln ist insofern nachvollziehbar, als sich die politischen Kräfteverhältnisse in dem halben Jahrzehnt seit 2018/2019 ungünstig entwickelt haben. Die Covid-19-Pandemie beendete 2020 nicht nur den Mobilisierungszyklus der Klimabewegung, sondern verrückte auch den Fokus der Aufmerksamkeit. Noch gravierender wirkte sich der russische Angriff auf die Ukraine 2022 aus, seit dem zunehmend eine im nationalen, militärischen und migrationspolitischen Sinn verstandene Sicherheitspolitik das politische Feld dominiert.

Parallel dazu setzte sich der lange Aufstieg der ökologiefeindlichen parlamentarischen Rechten in europäischen Kernstaaten wie Italien, Frankreich und Deutschland weiter fort, während neben der Klimabewegung auch die grünen Parteien ihr Momentum und gesellschaftlichen Rückhalt eingebüßt haben. Anders als das selbst immer weiter nach rechts rückende Zentrum der politischen Landschaft geben die aufstrebenden Rechten gar nicht erst vor, den Widerspruch zwischen kapitalistischer Ökonomie und Ökologie klimapolitisch eindämmen zu wollen. Stattdessen bringen sie diesen Widerspruch virtuell zum Verschwinden, indem sie die Gefahren des Klimawandelns herunterspielen oder leugnen. Eine neuere Strategie besteht darin, den Klimawandel als unabwendbare, schicksalhafte Härteprüfung darzustellen, in der sich die eigene Nation souverän, egoistisch und skrupellos gegen ihre Konkurrenz behaupten und gegen kommende Klimafluchtbewegungen abschotten muss. Ganz im Sinne dieser Entwicklung gingen Beobachter*innen nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen im Juni 2024 davon aus, dass der Klimaschutz in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre – allen alarmierenden Klimatrends zum Trotz – wieder zu einem Nebenschauplatz der europäischen Politik zurückgestuft werden wird.

Die Hoffnung der späten 2010er Jahre, dass durch anhaltende Straßenproteste und breit geteilte Infografiken »die Politik nun endlich aufwacht« und entschlossen gegen den eskalierenden Klimawandel vorgeht, hat sich mittlerweile zerschlagen. Der politische Kurs der Regierenden nährt in der Bewegung den Willen zur Radikalität. Erklärte die Protestikone Greta Thunberg noch 2019, die Klimabewegung habe kein selbständiges politisches Programm und fordere lediglich von der Politik, dass sie auf die Klimaforscher*innen höre, so sind Parolen wie »System Change, not Climate Change« inzwischen längst ebenso selbstverständlich, wie Versuche, Klimapolitik mit anderen politischen Kämpfen zu verknüpfen.

Welches System? Welcher Sozialismus?

Aller veränderten Rhetorik zum Trotz bleibt immer noch allzu oft vage, gegen welches »System« man eigentlich ankämpft, warum es entstanden ist, wie es funktioniert, wodurch es sich erhält und welche politische und ökonomische Ordnung an seine Stelle treten soll. Auch Auseinandersetzungen mit geeigneten politischen Strategien für einen umfassenden »System Change« sind rar, so dass es häufig bei markigen Slogans und Symbolpolitik bleibt.

Heute ist eine kollektive, öffentliche Auseinandersetzung über diese Fragen notwendiger denn je. Denn einerseits zeigen die gegenwärtigen Entwicklungen, dass ein effektiver Klimaschutz seitens der bürgerlichen Parteien nicht zu erwarten ist. Andererseits existiert leider kein zwingender Zusammenhang zwischen der Tiefe einer Krise und der Reife des Bewusstseins. Zudem münden linke Politisierungsprozesse nicht automatisch in Befreiung, sondern können auch auf eine schiefe Bahn geraten. Wut auf soziale Ungerechtigkeit und Hass gegen ein diffus bleibendes »System« können sich leicht mit gefährlichen Ressentiments verbinden.

Wirkliche Radikalität bestünde dagegen im theoretischen und praktischen Rückgang an die Wurzel des global gestörten Stoffwechsels zwischen Natur und Gesellschaft: Das kapitalistische Privateigentum, das der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung die Kontrolle über ihren Lebensprozess vorenthält und Mensch und Erde ruiniert, um seine »rastlose Bewegung des Gewinnens« (Karl Marx) fortzusetzen. Darum plädieren wir in unserem Buch für einen ökologischen Sozialismus, der den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur demokratisch, bedürfnisorientiert und ökologisch verantwortungsvoll umgestaltet.

Der Text ist ein leicht bearbeiteter und gekürzter Vorabdruck aus dem Buch »Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus« von Katja Wagner, Maximilian Hauer und Maria Neuhauss (erscheint im Januar 2025 im Schmetterling-Verlag, 200 S., br., 15 €).

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