Großstreik bei Volkswagen

Beschäftigte legen am Montag in fast allen Werken die Arbeit nieder

VW-Beschäftigte in Zwickau läuten die Streikphase ein. Auch dort wird am Montag die Arbeit niedergelegt.
VW-Beschäftigte in Zwickau läuten die Streikphase ein. Auch dort wird am Montag die Arbeit niedergelegt.

»Volkswagen hat unsere Tarifverträge in Brand gesteckt und statt in drei Tarifverhandlungen dieses Feuer zu löschen, wirft der Vorstand noch offene Benzinfässer hinein.« Mit diesen Worten ruft die IG Metall am Montag in fast allen Volkswagen-Werken die knapp 120 000 Beschäftigten zu Warnstreiks auf. »Wenn nötig, wird das der härteste Tarifkampf, den Volkswagen je gesehen hat«, zeigt sich Thorsten Gröger, IG Metall-Verhandlungsführer und Bezirksleiter, konfliktbereit. »Wir wollten ihn nicht, aber wir werden ihn so engagiert führen wie notwendig.« Nachdem der VW-Vorstand letzte Woche einen Kompromissvorschlag der Gewerkschaft ausgeschlagen hatte, endete am Wochenende die Friedenspflicht.

Gestreikt wird nicht nur in den niedersächsischen Hauptwerken – mit Ausnahme von Osnabrück, weil dort weiterhin der Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie gilt – sondern auch in Sachsen, etwa in der VW-Fabrik in Zwickau. Am größten Standort des Freistaats arbeiten knapp 10 000 Stammbeschäftigte. »Die Streiks sollen dem Arbeitgeber vor Augen führen, wozu die Belegschaft bereit ist«, sagt Kristin Oder im Gespräch mit »nd«. Die Elektronikerin arbeitet seit 2011 in Zwickau, wurde vor sechs Jahren das erste Mal zur Betriebsrätin im Bereich Fahrzeugmontage gewählt und ist seit Anfang 2023 stellvertretende Betriebsratsvorsitzende.

Ärger und Frust in Sachsen

Oder hat viel Erfahrung mit Verhandlungen und Arbeitsniederlegungen, doch diesmal ist die Stimmung anders. »Einerseits haben viele Kollegen und Kolleginnen im Betrieb Angst, wissen nicht, wie es weitergeht«, betont sie. »Andererseits herrscht Wut und Unverständnis über die Konzernentscheidungen.« Besonders übel stößt in Zwickau auf, dass Vorstandschef Thomas Schäfer noch im August »den Spirit der Belegschaft und die Modernität der Fabrik gelobt hatte«, ergänzt Martin Lehmann, Betriebsratsreferent am sächsischen Standort. Das Vorzeigewerk wurde als eines der Ersten komplett auf Elektromobilität umgestellt.

Doch gerade in diesem Segment waren bei Volkswagen wie bei vielen europäischen Herstellern die Absätze zuletzt rückläufig. Das hat laut Konzernvorstand mit einem Nachfragerückgang und einem verstärkten internationalen Wettbewerbsdruck zu tun. Die IG Metall kritisiert insbesondere strategische Fehlentscheidungen des Konzerns, etwa den teuren SUV-Markt zu bedienen, und fordert mehr strategische Mitbestimmung im Betrieb. Hinzu kommt der Schlingerkurs der Bundesregierung in Sachen Fördermaßnahmen für E-Autos. Die liefen im Dezember vergangenen Jahres aus und wurden nicht erneuert.

Konfrontationskurs seit September

Vor dem Hintergrund dieser Verwerfungen hatte der Konzern Anfang September angekündigt, ein rigides Sparprogramm durchzusetzen und einen seit knapp 30 Jahren geltenden Tarifvertrag aufzulösen. Der schloss betriebsbedingte Kündigungen aus und garantierte Auszubildenden eine unbefristete Übernahme in den Betrieb. Auch bis zu drei Standortschließungen sind geplant und der Konzern fordert von den Beschäftigten eine pauschale Lohnkürzung von zehn Prozent sowie Nullrunden für die nächsten zwei Jahre. »Das war eine krasse Kehrtwende und kam für die Beschäftigten überraschend«, erklärt Lehmann. »Der Konzernvorstand bietet keinerlei Perspektive«, bemängelt auch Betriebsrätin Oder. »Das kommt alles von der Arbeitnehmerseite«, sagt sie.

Die IG Metall hatte einen sogenannten Zukunftsplan vorgelegt, der sowohl Produktionsstätten als auch möglichst viele Arbeitsplätze sichern sollte. So sollten Beschäftigte die nächste Tariferhöhung als Arbeitszeit einbringen und vorerst nicht ausgezahlt bekommen. »Der Vorschlag zielt darauf ab, wie man das Thema Kosten und Arbeitszeit in Einklang bringen kann, um aufeinander zuzugehen«, sagt Oder. Doch zeigte sich der Konzernvorstand mit Blick auf die Sparpläne kompromisslos. »Da hat sich eine erhebliche Wut entwickelt«, betont sie. »Wie kann es sein, dass man ein Unternehmen so führt?«

Zäher Arbeitskampf in zwei Phasen

In Zwickau stellt man sich auf einen zähen Arbeitskampf ein, der sich ab Januar weiter verschärfen könnte. Derzeit geht es in erster Linie um die Entgeltforderungen der Gewerkschaft, die sich traditionell an den Tarifabschlüssen der Metall- und Elektroindustrie orientieren. Dort wurde im November ein Lohnplus von 5,1 Prozent sowie eine Erhöhung der Auszubildendenvergütungen in den kommenden zwei Jahren ausgehandelt. Bei Volkswagen läuft Ende Dezember zudem die Friedenspflicht für die seitens des Konzernvorstands gekündigten Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung aus. »Wir bewegen uns in zwei Szenarien, die gleichermaßen wichtig sind«, sagt Oder dazu.

Möglich wären schon jetzt 24-Stunden-Streiks. »Aber wenn sich der Vorstand nicht auf uns zubewegt, kommt auch eine Urabstimmung für unbefristete Streiks infrage«, betont die Betriebsrätin. »Für uns ist klar: Mit uns wird es keine Standortschließungen und Massenentlassungen geben.«

Unterstützung aus der Politik

Dafür habe man auch positive Signale aus der Politik bekommen, sagt Lehmann. So hatten der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) angekündigt, sich für den Standorterhalt einzusetzen. Auch aus der Landesregierung in Niedersachsen kamen von Stephan Weil (SPD) ähnliche Signale. Dort hält das Land eine Sperrminorität an VW-Aktien und kann somit erheblichen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen.

Das hatte in anderen Bundesländern die Sorge befeuert, man könnte unter die Räder geraten. Derzeit befinden sich die Werke in Sachsen in einem Übergangsprozess, der Anfang 2021 eingeleitet wurde und bis 2027 abgeschlossen sein soll. Danach werden die sächsischen Werke vollständig in die Volkswagen AG eingegliedert und so auch künftig unter das VW-Gesetz fallen. Der Betriebsübergang ist bereits eingeleitet worden. »Fast alle im Vorstand halten daran fest«, betont Oder.

Für diesen Mittwoch hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg mit den Beschäftigten zu sprechen. Oder und Lehmann sind zuversichtlich, dass man sich in dieser Frage auf die Politik verlassen kann. Das dürfte allerdings auch davon abhängen, ob die IG Metall es schafft, in der jetzigen Streikphase genug Druck aufzubauen. Die nächste Verhandlungsrunde findet am 9. Dezember statt.

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