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- Öffentliche Debatte über die FDP
Saudi-Arabien würde FDP wählen
Die D-Day-Debatte ist ein wenig naiv. Das eigentlich Interessante am politischen Berlin ist ohnehin, worüber es nicht debattiert.
Es geht mir in letzter Zeit häufiger so, dass ich nicht verstehe, wann sich das politische Berlin echauffiert und wann es das sein lässt. Ein Bundeskanzler, der sich vorm Cum-Ex-Untersuchungsausschuss an rein gar nichts erinnern kann? Ein paar mahnende Kommentare. Ein Vizekanzler, der Polizeirazzien bei Bürgern gutheißt, die ihn einen »Schwachkopf« nennen? Eine differenzierte Diskussion. Ich hätte da mal ganz undifferenziert gefragt, ob jemand noch in dieser Welt lebt, wenn er nicht mitbekommt, dass er derzeit nur eine Kneipentür öffnen müsste, um in wenigen Minuten ein paar Dutzend deutlich schlimmere Beleidigungen zu hören. Aber ich bin ja auch nicht Caren Miosga, die ihn stattdessen fragt, ob er lieber Bundeskanzler würde oder doch lieber den Nobelpreis bekäme.
Dass das eigentlich Interessante am politischen Berlin ist, worüber es nicht debattiert, ist sowieso klar. Die Welt erstickt im Plastikmüll? Die UN-Konferenz zum Thema ist gerade gescheitert, weil sich die Erdöl produzierenden Länder überraschenderweise für ihr Portemonnaie und gegen die Moral entschieden haben. Es ist, wie es ist: Letztlich setzen sich meist die Lobbys durch. Womit wir beim Thema wären, schließlich würde Saudi-Arabien, wäre es ein deutscher Staatsbürger, FDP wählen, als nachgewiesenermaßen engagierteste und zuverlässigste Schutzmacht für egoistische Kapitalinteressen. Das wäre schon mal der erste Punkt, der mich aufrichtig an der Aufregung über das D-Day-Papier wundert, mit dem die FDP den Ausstieg aus der Ampel vorbereitet hat. Viel war ja die Rede von der »Verantwortungslosigkeit« der Lindner-FDP, ihrem zynischen Demokratieverständnis und darüber, dass sie ihre eigenen Interessen über die der Gesellschaft stelle. Das ist natürlich alles richtig, hat aber keinen Neuigkeitswert. Zu keiner Tages- und Nachtzeit würde ich der FDP etwas anderes unterstellen, als dass sie FDP-Sachen macht. Wo es um Ellenbogen und Egoismus geht, ist die FDP nun mal vorne.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Dennoch sprach aus vielen Kommentaren, auch im Bekanntenkreis, aufrichtige Empörung über das Verhalten der Liberalen. Und die irritiert mich jetzt erst recht. Denn wenn ich ehrlich bin, gehe ich fest davon aus, dass es bei ausnahmslos jeder Fraktion im Bundestag spätestens seit dem Frühjahr mehrere Zusammenkünfte gab, bei denen diskutiert wurde, wie man sich bei einem Scheitern der Ampel positioniert. Und dass in allen drei Regierungsfraktionen, nicht nur bei der FDP, überlegt wurde, ob man den Sterbeprozess nicht auch aktiv beschleunigen könnte. Und bei jedem dieser Treffen dürfte die Frage im Vordergrund gestanden sein, wie man fürs eigene Lager Vorteil daraus ziehen könnte. Es soll sogar Minister geben, die drei Jahre lang so (nicht) regiert haben, dass sie ihre Wahlaussichten bei einer Kandidatur zum Ministerpräsidenten nicht gefährden. Zumindest behauptet das die »Süddeutsche« in einem sehr überzeugenden Text über den Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Die kindliche Empörung darüber, dass politische Parteien nicht rund um die Uhr politische Sachfragen erörtern, sondern stattdessen durchaus auch (ich fürchte sogar: primär) das Wohl des eigenen Apparates vor Augen haben, ist schlicht naiv, fürchte ich.
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